Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anforderungen an eine Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten

 

Orientierungssatz

Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG vom 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 = DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG vom 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 aaO und zB BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 = SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14).

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.10.2016; Aktenzeichen L 7 KA 55/13)

SG Berlin (Urteil vom 08.05.2013; Aktenzeichen S 71 KA 111/12)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20 000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die als Ärztin für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Klägerin begehrt die Festsetzung eines höheren Individualbudgets für die Zeit ab dem 1.7.2003. Der Ermittlung des Individualbudgets legte die beklagte KÄV zunächst die Vergütung in den Quartalen I bis IV/2002 zugrunde. Die dagegen gerichtete Klage der Klägerin war im Berufungsverfahren (Urteil des LSG vom 14.11.2010) im Sinne der Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung erfolgreich.

Mit ihrer erneuten Klage gegen die daraufhin ergangenen Bescheide der Beklagten war die Klägerin vor dem SG wiederum im Sinne einer Verurteilung zur Neubescheidung erfolgreich. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 12.10.2016 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass dem Begehren der Klägerin die rechtskräftigen Maßgaben aus der Entscheidung vom 14.11.2010 entgegenstünden. Unabhängig davon seien die angefochtenen Bescheide der Beklagten auch in der Sache nicht zu beanstanden.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 12.10.2016 macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

II. 1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen entspricht. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-Rspr und zB BVerfG ≪Kammer≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung bereits deshalb nicht, weil die Klägerin keine konkrete Rechtsfrage bezeichnet, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Sie legt vielmehr nur dar, warum die Entscheidung der Beklagten aus ihrer Sicht unzutreffend ist. Es ist auch nicht Aufgabe des entscheidenden Senats, aus dem Vortrag der Klägerin möglicherweise klärungsbedürftige und klärungsfähige Fragen selbst "herauszufiltern" (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017 § 160a RdNr 14a mwN).

Soweit die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung bezogen auf Fragen der "Rechtskrafterstreckung eines Urteils" geltend macht, fehlt es auch an den erforderlichen Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Auf die bereits vorliegende umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung, die sich mit der Rechtskraft von Entscheidungen befasst (zur Rechtskraft bei der Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vgl zB das - auch im Urteil des LSG mehrfach erwähnte - Urteil des Senats vom 27.6.2007 - B 6 KA 27/06 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 1) geht die Klägerin nicht ein.

Zudem legt sie die Entscheidungserheblichkeit von Fragen der Rechtskrafterstreckung nicht dar. Da sich das LSG zur Begründung seiner Entscheidung nicht allein auf die Rechtskraft der zuvor in dieser Sache ergangenen Entscheidung vom 14.11.2010, sondern unabhängig davon auch darauf gestützt hat, dass die angefochtenen Bescheide inhaltlich nicht zu beanstanden seien, hätte die Klägerin darlegen müssen, weshalb es für die Entscheidung in dem angestrebten Revisionsverfahren auf Fragen der Rechtskrafterstreckung ankommen soll.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11261120

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