Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Ablehnungsbescheid auf neuen Antrag. keine analoge Anwendung des § 96 SGG -Befangenheitsantrag. Anspruch auf gesetzlichen Richter. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Ein ablehnender Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, wird nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Eine analoge Anwendung des § 96 SGG kommt nicht in Betracht (vgl BSG vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R= NJW 2008, 2458 und vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R = SozR 4-3500 § 21 Nr 1).
2. Bei der Zurückweisung eines Befangenheitsantrags (hier: durch das LSG) handelt es sich um eine unanfechtbare Vorentscheidung. Eine im Zusammenhang mit einer solchen Entscheidung erhobene Rüge ist nur zulässig, wenn sie sich nicht gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung als solche wendet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Entscheidung sich mit dem angefochtenen Urteil perpetuiert.
3. Bei der Zurückweisung eines Befangenheitsantrags kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel nur dann vorliegen, wenn die Behandlung des Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch weitere Mitwirkung der ablehnenden Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG verletzt wird. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend waren.
4. Willkürlich ist die Entscheidung eines Gerichts nur dann, wenn sie sich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht zu rechtfertigen ist (vgl BVerfG vom 30.6.1970 - 2 BvR 48/70 = BVerfGE 29, 45).
Normenkette
SGG § 60 Abs. 1, §§ 96, 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 2005-03-22, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 5 Fassung: 2005-03-22; ZPO § 42 Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 4. Oktober 2005 bis 7. Februar 2006 sowie vom 1. September 2006 bis 28. Februar 2007.
Der Kläger studiert Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität. Bis zum Ablauf der Förderungshöchstdauer am 30. September 2005 bezog er Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nach der Neuregelung der Juristenausbildung in Berlin im Jahr 2003 konnte er wählen, ob er die Prüfung nach neuem oder altem Recht ablegen wollte. Er entschied sich für das neue Recht, wonach er sich erst nach dem 1. Juli 2006 für die Staatliche Pflichtfachprüfung (SPP) anmelden konnte. Am 30. Mai 2005 wurde er zur Universitären Schwerpunktprüfung (USP) zugelassen, die er im Juni 2006 abschloss (mündliche Prüfung noch im Jahr 2005, Klausur am 20. Februar 2006, Studienarbeit von März bis Juni 2006). Eine Anmeldung zur SPP ist bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht erfolgt.
Seinen Antrag auf Leistungen vom 4. Oktober 2005 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12. Oktober 2005 ab, weil er als Student vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Den Widerspruch hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2006 zurück. Nachdem der Beklagte in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Leistung verpflichtet worden war, bewilligte er mit Bescheid vom 9. Mai 2006 Leistungen für die Zeit vom 8. Februar bis 31. August 2006. Mit Bescheid vom 19. Mai 2006 hob der Beklagte die Bewilligungsentscheidung auf, den Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2006 zurück. Am 30. August 2006 stellte der Kläger einen erneuten Antrag, der mit Bescheid vom 20. Oktober 2006 abschlägig beschieden wurde. Der Widerspruchsbescheid datiert vom 3. August 2007.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 19. Dezember 2006 den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 12. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 sowie des Bescheides vom 19. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2006 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 4. Oktober 2005 bis 7. Februar 2006 Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von monatlich 491,68 Euro als Darlehen zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen. Soweit der Kläger Leistungen für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 28. Februar 2007 begehre, sei die Klage unzulässig. Hierüber sei im zunächst durchzuführenden Verwaltungsverfahren auf den erneuten Leistungsantrag des Klägers zu entscheiden.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat, nachdem der Beklagte die Berufung hinsichtlich des Aufhebungsbescheides zurückgenommen hat, mit Urteil vom 10. Oktober 2007 auf die Berufung des Beklagten das Urteil aufgehoben, soweit das SG den Beklagten zur Gewährung von Alg II für die Zeit vom 4. Oktober 2005 bis 7. Februar 2006 verurteilt hatte. Auch insoweit hat es die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Außerdem hat es die Klage gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 abgewiesen. Gestützt auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 (SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 30) ist das LSG davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 20. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Der Kläger habe im gesamten streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Eine besondere Härte iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II liege nicht vor. Der Kläger habe mit seiner Entscheidung für die Prüfung nach neuem Recht in Kauf genommen, dass schon weit vor der möglichen letzten Prüfungsphase die finanziellen Grundlagen für sein Studium entfielen. Bei einer Prüfung nach altem Recht hätte er sein Studium innerhalb der nach § 15 Abs 3a BAföG möglichen Studienabschlussförderungsphase abschließen können. Dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift bei einer Zulassung zur SPP erfüllt würden, habe bereits das Studentenwerk in einem Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2006 im Verfahren über Hilfe zum Studienabschluss bejaht. Innerhalb der streitigen Zeiträume habe der Kläger keine Prüfungsleistungen erbringen müssen, sodass ihm eine ergänzende Erwerbsarbeit möglich gewesen sei. Von einer akuten Examensphase könne nicht ausgegangen werden, weil der Kläger sich aus von ihm nicht näher bezeichneten persönlichen Gründen nicht zur SPP angemeldet habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend. Das LSG habe fehlerhaft den Ablehnungsbescheid vom 20. Oktober 2006 nach § 96 SGG in das Verfahren miteinbezogen. Im Falle der Rechtskraft des angefochtenen Urteils wäre die gegen den erneuten Ablehnungsbescheid vom 20. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 erhobene Klage S 104 AS 16420/07 beim SG Berlin unzulässig. Damit werde ihm die Möglichkeit zu ergänzendem Sachvortrag genommen. Es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass er sich in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG auch zu diesem Zeitraum habe äußern können. Außerdem rügt der Kläger, dass das LSG über seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Befangenheitsantrag gegen alle Richter des Senats noch in der Sitzung entschieden habe. Schließlich komme der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob bei einer aus zwei Teilen bestehenden Abschlussprüfung mit der Meldung zur ersten Prüfung ein besonderer Härtefall nach § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II anzunehmen sei, wenn zugleich die gesamten Voraussetzungen für die zweite Teilprüfung vollständig vorlägen und beide Teilprüfungen in beliebiger Reihenfolge abgelegt werden könnten.
Entscheidungsgründe
Auf die Beschwerde des Klägers ist das Urteil des LSG in entsprechender Anwendung von § 160a Abs 5 SGG aufzuheben, soweit es die Klage gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 abgewiesen hat. Das angefochtene Urteil beruht insofern auf einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Einer Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung bedarf es aber nicht, weil bei korrekter Anwendung der Verfahrensvorschriften das LSG keine Sachentscheidung über den Bescheid vom 30. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 getroffen hätte. Im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig.
1. Der Kläger rügt zu Recht, dass das LSG den Bescheid vom 20. Oktober 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 in das Verfahren einbezogen hat. Der ablehnende Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, wird nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens (vgl Urteil des Senats vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 59/06 R - RdNr 13; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R - RdNr 8 unter Hinweis auf das anders lautende obiter dictum in BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 30), weil die Ablehnung der Leistung kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und mit Wirkung für die Zukunft weder geändert noch ersetzt werden kann. § 96 SGG kann insofern auch nicht analog angewendet werden. Das LSG hat damit verfahrensfehlerhaft erstinstanzlich sachlich entschieden. Die Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel. Der Senat hebt das Urteil insoweit auf. Zwar ermächtigt § 160a Abs 5 SGG nach seinem Wortlaut nur dazu, die Sache nach Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das BSG kann aber im Rahmen des § 160a Abs 5 SGG auch dann abschließend entscheiden, wenn für das Berufungsgericht kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 6). So liegt der Fall hier. Der Fehler des LSG liegt allein darin, dass es zu Unrecht über den nicht nach § 96 SGG in das Verfahren einbezogenen Bescheid entschieden hat. Einer erneuten Entscheidung des LSG bedarf es nicht. Der Kläger kann vielmehr seinen Anspruch in dem gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2007 angestrengten Klageverfahren verfolgen. Es verbleibt im Übrigen in diesem Verfahren bei der Zurückweisung der Berufung des Klägers, weil das SG zutreffend die Klage betreffend die Zeit ab der erneuten Antragstellung als unzulässig angesehen hat.
2. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig. Weitere Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat der Kläger nicht formgerecht bezeichnet. Soweit er beanstandet, sein Befangenheitsantrag sei zu Unrecht von den abgelehnten Richtern beschieden worden, mit der Folge, dass die Richter an der angefochtenen Entscheidung nicht hätten beteiligt werden dürfen, bezeichnet er mit diesem Vorbringen einen Verfahrensmangel nicht hinreichend (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 6 ff). Bei der Zurückweisung eines Befangenheitsantrages durch das LSG handelt es sich um eine unanfechtbare Vorentscheidung. Eine im Zusammenhang mit einer solchen Entscheidung erhobene Rüge ist nur zulässig, wenn sie sich nicht gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung als solche wendet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Entscheidung sich mit dem angefochtenen Urteil perpetuiert. Bei der Zurückweisung eines Befangenheitsantrags kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel nur dann vorliegen, wenn die Behandlung des Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz verletzt ist. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend waren (vgl BSG aaO RdNr 9 mwN). Willkürlich ist die Entscheidung eines Gerichts nur dann, wenn sie sich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht zu rechtfertigen ist (vgl BVerfGE 29, 45, 49 mwN). Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung des Senats des LSG schlechterdings unverständlich gewesen wäre, unvertretbar und damit willkürlich, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Nicht ausreichend vorgetragen ist auch für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) Eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre abstrakte Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre konkrete Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 31, 59, 65; SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht. Bei der vom Kläger formulierten Frage handelt es sich schon nicht um eine abstrakte Rechtsfrage, sondern um eine Frage der konkreten Subsumtion unter den Begriff des besonderen Härtefalles. Der Kläger wendet sich gegen die konkrete Wertung des LSG in seinem Einzelfall. Er hat sich im Übrigen auch nicht mit den für das LSG maßgeblichen Argumenten auseinander gesetzt, dass er zum einen in Kauf genommen habe, dass die finanziellen Grundlagen für sein Studium weit vor der Möglichkeit der Zulassung zum zweiten Prüfungsabschnitt wegfielen und er zum anderen seine Zulassung zur "SPP" im streitigen Zeitraum nicht betrieben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen