Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungsanspruch. Brustverkleinerung
Orientierungssatz
Für den krankenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch kommt es nicht darauf an, ob die Medizin bzw eine ihre Teildisziplinen (hier: plastische Chirurgie) die festgestellte Erkrankung mit Rücksicht auf die vermutete Ursache als "Makromastie" bezeichnet und ob man dort zu Recht oder zu Unrecht von einem bestimmten "Normalzustand" der Brust ausgeht.
Normenkette
SGB 5 § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin, bei der nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) eine Mammahypertrophie bzw Makromastie besteht, begehrt die Übernahme der Kosten für eine Mamma-Reduktions-Operation. Während die Klägerin damit im Verwaltungsverfahren und in erster Instanz ohne Erfolg geblieben ist, hat das LSG die Beklagte unter Aufhebung der vorangegangenen Entscheidungen antragsgemäß zur Kostenübernahme verurteilt (Urteil vom 24. September 2003).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Sie erhebt eine Divergenzrüge und stützt sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Beklagten ist insgesamt zurückzuweisen.
Ob die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinsichtlich des ersten Fragenkomplexes entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt hat, kann offen bleiben. Jedenfalls kommt der Rechtssache insoweit keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihr Ergebnis von der Lösung einer ungeklärten Rechtsfrage abhängt, die über den Einzelfall hinausreicht (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160 RdNr 6 ff). Die Beschwerde hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"Gibt es eine genormte Größe/ein genormtes Gewicht der weiblichen Brust, sodass jede Abweichung von dieser Norm die Regelwidrigkeit begründet und damit eine behandlungsbedürftige Krankheit iS von § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorliegt? Kann unter Berücksichtigung der Definition daher die Makromastie eine behandlungsbedürftige Krankheit iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V sein?"
Diese Fragen sind im angestrebten Revisionsverfahren weder entscheidungserheblich noch klärungsbedürftig. Angesichts der Vielzahl der in der Medizin diskutierten Krankheitsbilder weckt es bereits Bedenken, der Bewertung eines bestimmten Leidens als "Krankheit im Rechtssinne" den Rang einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zuzumessen. Jedenfalls ist ein über den Einzelfall hinausgehender allgemeiner Klärungsbedarf in Bezug auf die krankenversicherungsrechtlichen Kriterien für eine "Krankheit" im Hinblick auf die umfassende höchstrichterliche Rechtsprechung zum Krankheitsbegriff zu verneinen (vgl zB BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 90, 289, 290 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 4, jeweils mwN). Ebenso wenig lässt sich ein Klärungsbedarf für die Fragen aus den konkreten gesundheitlichen Defiziten der Klägerin herleiten, etwa in Richtung auf neu zu entwickelnde Grundsätze für die Subsumtion unter den Krankheitsbegriff. Das LSG hat zwar angenommen, dass eine organische Störung bei der Brust der Klägerin selbst nicht vorliege und auch in der Brustgröße kein regelwidriger Körperzustand zu sehen sei. Es hat aber im konkreten Fall unter Auswertung der medizinischen Unterlagen das Vorliegen orthopädischer Beschwerden bejaht. Dass der vom LSG näher beschriebene Körperzustand eine behandlungsbedürftige Regelwidrigkeit und somit eine Krankheit darstellt, liegt auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Für den krankenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch kommt es nicht darauf an, ob die Medizin bzw eine ihre Teildisziplinen (hier: plastische Chirurgie) die festgestellte Erkrankung mit Rücksicht auf die vermutete Ursache als "Makromastie" bezeichnet und ob man dort zu Recht oder zu Unrecht von einem bestimmten "Normalzustand" der Brust ausgeht.
Hinsichtlich der zweiten Grundsatzrüge ist die Beschwerde unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht genügt. Sie wirft als weitere grundsätzliche Fragen auf:
"Bedarf der Eingriff in ein organisch gesundes Organ (hier: Brustverkleinerung bei Makromastie), ohne alle denkbar möglichen Ursachen und Gründe für die geklagten Beschwerden definitiv auszuschließen und ohne andere Maßnahmen der unmittelbaren Krankenbehandlung aufzuführen und gegeneinander abzuwägen, einer speziellen Rechtfertigung? Gibt es ein Rangverhältnis zwischen mehreren unmittelbaren Therapien?"
Dieser Fragestellung liegt die Prämisse zu Grunde, dass das LSG den Möglichkeiten einer unmittelbaren Behandlung der bei der Klägerin bestehenden Beschwerden nicht nachgegangen sei und ihnen nicht den gebührenden Vorrang gegenüber der begehrten Brustverkleinerung eingeräumt habe. Damit unterstellt die Beschwerde einen Sachverhalt, der durch das LSG-Urteil nicht gedeckt ist, sodass der Senat nicht nachvollziehen kann, warum die Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren von den aufgeworfenen Rechtsfragen abhängen soll. Denn das LSG ist unter Würdigung der medizinischen Ermittlungsergebnisse auf Seite 15 bis 19 des Urteils zum Ergebnis gekommen, dass die konventionellen Behandlungsmöglichkeiten speziell im Falle der Klägerin erfolglos ausgeschöpft worden seien und die Mamma-Reduktions-Operation nun als einzig noch verbleibende Therapie Erfolg verspreche: Die orthopädischen Beschwerden hätten durch physiotherapeutische und krankengymnastische Behandlung keine Linderung erfahren; die empfohlene Gewichtsreduzierung sei erreicht worden (Verminderung des Körpergewichts von 80 kg auf 67,6 kg bis in den Bereich des Normalgewichts), ohne zu einer Veränderung der Brustgröße geführt zu haben; nach Abschluss eines Rehabilitationsverfahrens im Jahre 2001 seien die Beschwerden erneut aufgetreten; es sei davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach der Brustoperation erheblich bessere oder zur Beschwerdefreiheit ohne die Notwendigkeit einer dauerhaften physiotherapeutischen Behandlung führe. Da die Beklagte gegen die der Würdigung des LSG zu Grunde liegenden medizinischen Feststellungen keine Verfahrensrügen erhoben hat, wären diese Feststellungen für den Senat in einem Revisionsverfahren bindend (§ 163 SGG).
Soweit die Beklagte geltend macht, das LSG sei von mehreren - näher bezeichneten - Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zur mittelbaren Behandlung einer Krankheit abgewichen, ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig; denn es fehlt an der Darlegung einer Rechtsprechungsabweichung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend wird eine solche Abweichung nur dann "bezeichnet", wenn die Beschwerde die Entscheidung tragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellt und begründet, weshalb diese miteinander unvereinbar seien (vgl zB Meyer-Ladewig, aaO, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN). Daran fehlt es hier, weil die Beschwerde keinen abstrakten Rechtssatz des LSG benennt, aus dem sich die Notwendigkeit zur Herstellung von Rechtseinheit durch eine höchstrichterliche Entscheidung ergeben kann. Der Vortrag, das LSG habe weder eine organische Störung bei der Brust selbst noch einen regelwidrigen Körperzustand bei der Brustgröße bejaht und die Beklagte gleichwohl zur Kostenübernahme verurteilt, lässt außer Ansatz, dass das LSG vom Vorliegen einer - von ihm als Makromastie bezeichneten - "Krankheit" ausgegangen ist, die bei der Klägerin zu erheblichen statischen Problemen geführt und chronische Schmerzen des Haltungsapparates verursacht habe. Dann aber richtet sich das Beschwerdevorbringen letztlich nur dagegen, dass das LSG die sich aus der BSG-Rechtsprechung ergebenden Maßstäbe für eine (mittelbare) Krankenbehandlung verkannt und insoweit eine fehlerhafte Entscheidung getroffen habe. Ein solcher Vortrag ergibt jedoch keinen Revisionszulassungsgrund iS von § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen