Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Schwerbehinderte. Gleichheitsgrundsatz. Verfassungswidrigkeit. Klärungsbedürftigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Beruft sich ein Kläger auf die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung, bedarf es zur ordnungsgemäßen Begründung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage neben der genauen Bezeichnung der Norm substanzieller Argumentation unter Erörterung der Ausgestaltung und des Bedeutungsgehalts der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Regelung sowie der Auseinandersetzung mit der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Normenkette
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 4 S. 1, § 169 S. 3; ZPO §§ 114, 121; GG Art. 3
Verfahrensgang
SG Stralsund (Entscheidung vom 03.09.2018; Aktenzeichen S 5 SO 104/16) |
LSG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 19.08.2019; Aktenzeichen L 9 SO 35/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den bezeichneten Beschluss Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt S. beizuordnen, wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) anstelle der bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII vom 1.5.2016 bis 30.6.2017 bzw die Zuerkennung eines Mehrbedarfs.
Der 1968 geborene Kläger, der im streitgegenständlichen Zeitraum eine befristete Erwerbsminderungsrente bezog, begehrte erfolglos die Gewährung von Grundsicherungsleistungen anstelle der ihm bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt sowie höhere Leistungen wegen des festgestellten Merkzeichens "G". Die Klage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Stralsund vom 3.9.2018; Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern ≪LSG≫ vom 19.8.2019). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig. Der nach anwaltlichem Vortrag nur auf die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen des Merkzeichens "G" gerichteten Klage fehle schon deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil dieser Mehrbedarf im gesamten streitigen Zeitraum tatsächlich gewährt worden sei. Doch selbst wenn man das Vorbringen entgegen dem Vortrag des anwaltlich vertretenen Klägers umfassend als auf die Gewährung von Grundsicherungsleistungen gerichtet sehen wollte, fehle es für eine Anspruchsberechtigung an der dauerhaften Erwerbsminderung.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und beantragt zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Er beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Im SGB II existiere aber keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen des Merkzeichens "G". Dies verstoße gegen das Benachteiligungsverbot im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderung, den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung, dem Bundes- und Landesgleichstellungsgesetz sowie dem Grundgesetz.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Denn der Kläger hat noch nicht einmal eine konkrete Rechtsfrage formuliert, deren Entscheidung durch den Senat angestrebt wird. Zudem fehlt es an der ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Ein solcher Vortrag ist auch nicht ansatzweise dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen. Unverständlich ist bereits die Behauptung, nach dem SGB II leistungsberechtigt zu sein, obwohl tatsächlich Leistungen nach dem SGB XII gezahlt worden sind. Mit der Tatsache, dass der Beklagte den angestrebten Mehrbedarf tatsächlich gezahlt und das LSG deshalb die Klage bereits als unzulässig angesehen hat, setzt sich der Kläger in seinem Vorbringen schon gar nicht auseinander, sodass dem Senat auch nicht nachvollziehbar ist, wie er aus Sicht des Klägers zu einer Sachentscheidung gelangen können soll. Allein die pauschale Behauptung, Schwerbehinderte würden als Menschen zweiter Klasse behandelt und damit gegen Art 3 Grundgesetz (GG) verstoßen, verhilft nicht nur angesichts der dargestellten Umstände nicht zur Zulassung der Revision. Denn beruft sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung, bedarf es zur ordnungsgemäßen Begründung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage neben der genauen Bezeichnung der Norm substanzieller Argumentation unter Erörterung der Ausgestaltung und des Bedeutungsgehalts der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Regelung sowie der Auseinandersetzung mit der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14e mwN). Auch daran fehlt es gänzlich.
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫), woran es nach dem Ausgeführten fehlt. Deshalb kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 121 ZPO) nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13586836 |