Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 19.10.2017; Aktenzeichen L 1 KR 75/16 ZVW)

SG Hamburg (Entscheidung vom 18.12.2014; Aktenzeichen S 28 KR 1936/13)

 

Tenor

Der Klägerin wird für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Oktober 2017 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L., bewilligt, soweit die Klägerin Kostenerstattung und Versorgung mit dem Nahrungsergänzungsmittel "indische Flohsamenschalen" sowie mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten zur Behandlung ihrer Hautkrankheiten (einschließlich Analekzem) begehrt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

 

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, gerichtet auf Erstattung von Kosten in unbezifferter Höhe für einen unbekannten Zeitraum infolge - zumindest teilweise mit Privatrezepten - selbst verschaffter, nicht verschreibungspflichtiger Rezeptur- und Fertigarzneimittel und eines Nahrungsergänzungsmittels ("indische Flohsamenschalen"), sowie deren künftige Kostenübernahme bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben (LSG-Urteil vom 14.10.2015). Das BSG hat das LSG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil das LSG das Jobcenter team.arbeit.hamburg als möglichen leistungspflichtigen Grundsicherungsträger nicht nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG notwendig beigeladen hat (BSG-Beschluss vom 5.7.2016). Das LSG hat die Beiladung nachgeholt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, auch der Beigeladene sei nach § 21 Abs 6 SGB II hinsichtlich der Arzneimittel nicht leistungspflichtig, weil zum Teil (Aspirin, Buscopan) die befragten Ärzte die Notwendigkeit eines medizinischen Bedarfs nicht bejaht hätten und im Übrigen die von der Klägerin geltend gemachten, auf den Monat umgerechneten Kosten den dafür im Regelsatz vorgesehenen Betrag nicht überschritten hätten. Der Beigeladene sei nach § 21 Abs 5 SGB II auch nicht hinsichtlich der "indischen Flohsamenschalen" leistungspflichtig. Dieses Mittel wirke durch die Formung des Stuhls einer Kontinenzstörung aufgrund Schließmuskelminderfunktion entgegen (Proktologin Dr. H.), eine Normalisierung der Stuhlbeschaffenheit sei aber schon durch Vollkost zu erreichen. Die Ernährung mit Vollkost werde jedoch von § 21 Abs 5 SGB II nicht erfasst (Urteil vom 19.10.2017).

Die Klägerin begehrt, ihr für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.

II

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist er abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es - ausgenommen die vom LSG abgelehnte Kostenerstattung und Versorgung mit "indischen Flohsamenschalen" - hinsichtlich der begehrten Kostenerstattung und Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, soweit nicht die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente zur Behandlung von Hautkrankheiten (einschließlich Analekzem) betroffen sind. Die Klägerin kann insoweit aller Voraussicht nach mit ihrem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach Durchsicht der Akten fehlen auch unter Würdigung ihres Vorbringens Anhaltspunkte dafür, dass sie einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG; vgl dazu bereits den Beschluss des erkennenden Senats vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - RdNr 6 f). Gleiches gilt - anders als bei dem streitigen Anspruch auf Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten zur Behandlung von Hautkrankheiten (einschließlich Analekzem) - für die übrigen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur Behandlung nicht schwerwiegender Erkrankungen, die bereits der Gesetzgeber aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen hat (§ 34 Abs 1 S 1 und 2 SGB V; vgl dazu auch BVerfGK 20, 159, RdNr 27).

2. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend bewusst von Rspr des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

3. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin - ausgenommen die vom LSG abgelehnte Kostenerstattung und Versorgung mit "indischen Flohsamenschalen" - einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Insbesondere dürfte es der Klägerin nicht gelingen, eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes darzulegen. Die Klägerin hat eine mögliche höhere Kostenbelastung durch die Beschaffung nicht verschreibungspflichtiger erforderlicher Medikamente gegenüber dem LSG nicht konkret belegen können, obwohl es ihr - auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer des Verfahrens - ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, seither Rechnungsbelege zu sammeln und vorzulegen. Weder hat sie dies getan noch mögliche Kosten zumindest plausibel dargestellt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat die Klägerin nämlich in der mündlichen Verhandlung erklärt: "Wenn ich alle Belege sammeln soll, dann ist mir das zwar möglich, aber das ist sehr aufwändig (…). Mit dem im Regelsatz enthaltenen Betrag kann ich nicht alles abdecken". Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem LSG eine Feststellung der monatlichen Kostenbelastung ohne konkrete Angaben der Klägerin möglich gewesen wäre.

Soweit die Klägerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis ihrer Erkrankungen beantragt hat, dürfte die Klägerin - ausgenommen die vom LSG abgelehnte Kostenerstattung und Versorgung mit "indischen Flohsamenschalen" - nicht darlegen können, dass das LSG sich nach seiner Rechtsauffassung hätte gedrängt fühlen müssen, ein solches Sachverständigengutachten einzuholen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12641641

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