Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Zurückweisung der Berufung als unbegründet wegen fehlender Passivlegitimation des Beklagten. Bindung des Gerichts an das klägerische Begehren. Auslegung der Berufungsschrift. Verpflichtung zur Korrektur einer offenbar falschen Beklagtenbezeichnung
Orientierungssatz
Ein Verfahrensmangel im Sinne einer Verletzung der gerichtlichen Bindung an das klägerische Begehren (§ 123 SGG) liegt vor, wenn das LSG eine offenbar falsche Beklagtenbezeichnung nicht mittels Rubrumsberichtigung korrigiert, obwohl keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit der Berufung ein Beklagtenwechsel vorgenommen werden sollte.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 153 Abs. 4 S. 1, § 123
Verfahrensgang
SG Neubrandenburg (Urteil vom 08.05.2018; Aktenzeichen S 12 AS 1243/14) |
LSG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 26.11.2018; Aktenzeichen L 8 AS 273/18) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 2018 - L 8 AS 273/18 - aufgehoben, soweit er ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 8. Mai 2018 - S 12 AS 1243/14 - zurückweist. Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Klägerin zu 1 wird für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. bewilligt. Es sind weder Monatsraten aus dem Einkommen noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge zu leisten.
Die Beschwerden der Kläger zu 2 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 2018 - L 8 AS 273/18 - werden zurückgewiesen. Ihre Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. werden abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten der Kläger zu 2 und 3 sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Kläger begehren höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für die Klägerin zu 1 von dem beklagten Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte Süd. Der Beklagte hat dies ua mit Widerspruchsbescheiden vom 1.9.2014 abgelehnt. Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben, die das SG abgewiesen hat (Urteil vom 8.5.2018). Mit der dagegen erhobenen Berufung haben die Kläger das angegriffene SG-Urteil vorgelegt, als Beklagten in der Berufungsschrift aber das Jobcenter Vorpommern-Greifswald Süd genannt. Das LSG hat dieses Jobcenter als Beklagten eingetragen und ihm die Berufung zugestellt. Die Kläger wurden gebeten, die Berufung zu begründen, was nicht erfolgte. In seiner Berufungserwiderung hat das Jobcenter Vorpommern-Greifswald Süd darauf hingewiesen, dass die Kläger bei ihm nicht im Leistungsbezug seien und im SG-Urteil der Beklagte genannt sei. Das LSG hat die Berufung mit Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG wegen fehlender Passivlegitimation des Jobcenters Vorpommern-Greifswald Süd zurückgewiesen (Beschluss vom 26.11.2018). Hiergegen richten sich die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger.
II. 1. Die Beschwerde der Klägerin zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 26.11.2018 ist zulässig und iS der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG) begründet. Die Klägerin zu 1 hat in ihrer Beschwerdebegründung Tatsachen substantiiert dargetan, die eine Verletzung der gerichtlichen Bindung an das klägerische Begehren (§ 123 SGG; vgl hierzu BSG vom 29.3.2001 - B 7 AL 214/00 B - SozR 3-1500 § 123 Nr 1) ergeben. Dieser Verfahrensmangel liegt auch vor. Die Berufungsschrift war im Lichte des beigefügten erstinstanzlichen Urteils auszulegen. Danach hätte das LSG die offenbar falsche Beklagtenbezeichnung mittels Rubrumsberichtigung korrigieren müssen. Es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1 mit der Berufung einen Beklagtenwechsel vornehmen wollte, zumal das Jobcenter Vorpommern-Greifswald Süd für sie nicht zuständig war.
Die angegriffene Entscheidung kann auf dem Verfahrensmangel beruhen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), weil dem geltend gemachten Anspruch jedenfalls nicht die fehlende Passivlegitimation des Beklagten entgegensteht.
2. Die Beschwerden der Kläger zu 2 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind jedenfalls unbegründet, weil ein schutzwürdiges Interesse ihrerseits an der Fortführung des gerichtlichen Verfahrens nicht ersichtlich ist. Ausweislich des Sitzungsprotokolls des SG haben die Kläger zu 2 und 3 ihre Klagen in der mündlichen Verhandlung vom 8.5.2018 zurückgenommen, wodurch der Rechtsstreit - soweit er sie betraf - in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG) und nicht mehr rechtshängig war. Warum sie gleichwohl sowohl in der Berufungs- als auch in der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift als Kläger genannt sind, erschließt sich nicht.
PKH ist den Klägern zu 2 und 3 nicht zu bewilligen, da ihre Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). Da die Kläger zu 2 und 3 keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH haben, sind auch ihre Anträge auf Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
3. Im Hinblick auf die Klägerin zu 1 wird das LSG auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben. Die Kostenentscheidung im Hinblick auf die Kläger zu 2 und 3, die aufgrund des teilbaren Streitgegenstands gesondert zu ergehen hat (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 20a), beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13777038 |