Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 22.06.2021; Aktenzeichen L 8 AS 1087/16)

SG Chemnitz (Entscheidung vom 24.08.2016; Aktenzeichen S 5 AS 3233/12)

 

Tenor

Die Anträge der Kläger, ihnen zur Durchführung der Verfahren der Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 2021 - L 8 AS 1087/16 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt W, C, beizuordnen, werden abgelehnt.

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in der vorgenannten Entscheidung werden als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Anträge auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung des von den Klägern benannten Rechtsanwalts sind abzulehnen. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Das wäre nur der Fall, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder wenn ein bestimmter Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Nach summarischer Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Akten des LSG und des Beklagten sowie unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kläger ist nicht erkennbar, dass der von den Klägern benannte und zur Vertretung vor dem BSG zugelassene Prozessbevollmächtigte (vgl § 73 Abs 4 Satz 1 bis 3 SGG) erfolgreich einen der genannten Zulassungsgründe geltend machen könnte.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31).

Die Kläger begehren in der Hauptsache die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Das LSG hat höhere Ansprüche wegen der Unangemessenheit dieser Kosten verneint und sich dabei auf die Daten eines als schlüssig eingestuften Konzepts zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten des Beklagten gestützt. Nach der Rechtsprechung des BSG soll das schlüssige Konzept die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere ua Repräsentativität und Validität der Datenerhebung sowie Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation (grundlegend zu den Erfordernissen im Einzelnen BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 18 f ≪Wilhelmshaven≫). Ob ein Konzept im konkreten Fall die methodischen Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist, ist eine Frage tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 163 SGG). Dagegen sind die allgemeinen Fragen dazu, welche Daten einem schlüssigen Konzept zugrunde zu legen sind, und zur Repräsentativität dieser Daten in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärt (vgl nur BSG vom 11.5.2020 - B 4 AS 2/20 B - RdNr 11 mwN; BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 34/19 R - BSGE 131, 10 = SozR- 4-4200 § 22 Nr 110, RdNr 25 ff; BSG vom 21.1.2022 - B 4 AS 272/21 B - RdNr 3 mwN; BSG vom 8.2.2022 - B 4 AS 268/21 B, B 4 AS 269/21 B - RdNr 3 mwN).

Ausgehend hiervon stellt sich vorliegend keine (abstrakt) klärungsbedürftige Rechtsfrage. Die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen bezüglich der Schlüssigkeit des Konzepts des Beklagten betreffen vielmehr die tatrichterliche Beweiswürdigung, da sie sich auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls beziehen. Tatfragen können auch über den Umweg einer Rüge fehlerhafter tatrichterlicher Würdigungen nicht als Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht werden (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 90). Im Ergebnis würde hiermit die unrichtige Rechtsanwendung bzw fehlerhafte Tatsachenwürdigung des LSG gerügt werden.

Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung auf der Abweichung beruht (stRspr, vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34, SozR 3-1500 § 160 Nr 36, RdNr 13; zuletzt BSG vom 8.2.2022 - B 4 AS 268/21 B, B 4 AS 269/21 B - RdNr 5; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 119).

Eine solche abstrakt-generelle Abweichung lässt sich in der Entscheidung des LSG nicht erblicken. Es hat sich in seinen Obersätzen stets auf die einschlägigen Urteile des BSG gestützt und hat keine eigenen rechtlichen Maßstäbe aufgestellt. Soweit die Kläger geltend machen, das Urteil entspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht, bezieht sich dies auf die Subsumtion in ihrem konkreten Einzelfall. Mögliche Fehler der Rechtsanwendung können indes die Zulassung einer Revision wegen Divergenz nicht rechtfertigen (vgl Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160a RdNr 129; vgl ferner BSG vom 11.5.2020 - B 4 AS 2/20 B - RdNr 11; zuletzt BSG vom 8.2.2022 - B 4 AS 268/21 B, B 4 AS 269/21 B - RdNr 6).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung, ausgehend von der Rechtsansicht des LSG, auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (zu den Anforderungen etwa BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 169/15 B - RdNr 9 mwN).

Soweit die Kläger die Heranziehung des Konzepts des Beklagten wegen der aus ihrer Sicht fehlenden Repräsentativität der ermittelten Daten bemängeln, betrifft dies die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) durch das LSG. Darauf kann eine Verfahrensrüge nicht erfolgreich gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Einen Beweisantrag haben die im Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht gestellt oder - zumindest hilfsweise - aufrechterhalten (siehe zu diesem Erfordernis jüngst etwa BSG vom 23.3.2022 - B 8 SO 22/21 B - RdNr 9 mwN).

Da die Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH haben, sind auch ihre Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).

Die von den Klägern persönlich beim BSG erhobenen Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG sind schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften des § 73 Abs 4 SGG über den Vertretungszwang beim BSG entsprechen. Auf diese Zulässigkeitsvoraussetzung hat das LSG die Kläger in der Rechtsmittelbelehrung seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Meßling

Burkiczak

B. Schmidt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15203317

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