Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenübernahme von Krankenbehandlungen einer Ehefrau, die sich aus freien Stücken gemeinsam mit ihrem privat krankenversicherten Ehegatten im Nichtvertragsausland aufhält. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Den Beschlüssen des BVerfG (vgl BVerfG vom 25.7.1994 - 2 BvR 806/94 = NJW 1995, 1478 und vom 6.4.1976 - 2 BvR 61/76 = BVerfGE 42, 95) ist nicht zu entnehmen, dass aus Art 6 Abs 1 GG die Pflicht zumindest der Rechtsprechung abzuleiten ist, für Ehefrauen, die sich aus freien Stücken gemeinsam mit ihrem privat versicherten Ehegatten im vertragslosen Ausland aufhalten, Kostenerstattungsansprüche über den gesetzlichen, bewusst in § 16 Abs 1 Nr 1 SGB 5 eingegrenzten Rahmen hinaus zu begründen.
2. Das Grundrecht aus Art 2 Abs 1 GG schützt den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Daraus lässt sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zwar kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung ableiten. Jedoch sind gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen daraufhin zu prüfen, ob sie im Rahmen des Art 2 Abs 1 GG gerechtfertigt sind.
3. Ein Versicherter, der sich vorübergehend im vertragslosen Ausland aufhält, hat keinen allgemeinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Behandlungen vor Ort, ohne dass dies gegen die Verfassung verstößt (vgl BSG vom 24.9.1996 - 1 RK 32/94 = USK 96177).
4. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 26.9.2006 - 1 BvR 2239/06).
Normenkette
SGB 5 § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin lebte als Ehegattin ihres privat krankenversicherten Ehemannes, eines Landesvertreters der F. Stiftung, von 1995 bis April 2000 in Jordanien und wohnt seitdem in Indien. In Deutschland hält sie sich für einige Wochen jährlich auf. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, die Kosten für die in Jordanien und Indien durchgeführten ärztlichen Behandlungen erstattet zu erhalten, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua - teilweise unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz - ausgeführt, einem Kostenerstattungsanspruch stehe schon entgegen, dass der Sachleistungsanspruch der Klägerin durch den Aufenthalt im Nichtvertragsausland nach der nicht teleologisch reduzierbaren Regelung in § 16 Abs 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geruht habe. Auch die Voraussetzungen des § 17 SGB V seien nicht erfüllt gewesen, da die Klägerin weder im Ausland beschäftigt noch familienversichert gewesen sei. § 18 SGB V sei nicht einschlägig. Das Ergebnis verstoße weder gegen Art 6 noch gegen Art 3 Grundgesetz - GG - (Urteil vom 30. November 2005).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht trotz des umfänglichen Vorbringens nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen (§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG).
1. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG beruft und geltend macht, das LSG sei von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. Juli 1994 - 2 BvR 806/94 - ( NJW 1995, 1478 ) und vom 6. April 1976 - 2 BvR 61/76 - ( BVerfGE 42, 95 =NJW 1976, 1311 ) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Darlegungen. Die Revision ist nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nur zuzulassen, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Abweichung (Divergenz) im Sinne dieser Vorschrift bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind. Die Beschwerdebegründung muss die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnen (vgl § 160 Abs 2 Satz 3 SGG) und nach der Rechtsprechung des BSG insoweit erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht ( vgl Senat, Beschluss vom 26. September 2005 - B 1 KR 54/05 B -; Senat, Beschluss vom 25. Juli 2005 - B 1 KR 9/05 B -; Senat, Beschluss vom 20. Juni 2005 - B 1 KR 28/04 B -; BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 90 f) . Darzulegen ist, dass sowohl das LSG als auch das BSG ein und dieselbe Rechtsfrage in unvereinbarer Weise verschieden mit unterschiedlichen Konsequenzen beantwortet haben.
Daran fehlt es. Dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt haben sollte, der bei gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen in dem vom BVerfG entschiedenen Fall im Gegensatz zu einem Rechtssatz des BVerfG steht und aus dem daher das Bedürfnis nach Herbeiführung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren abgeleitet werden kann ( vgl hierzu Senat, Beschluss vom 5. April 2006 - B 1 KR 107/05 B - RdNr 4 ), ist nicht ersichtlich. Dem Gesamtzusammenhang der Beschwerdebegründung lässt sich allenfalls sinngemäß entnehmen, das LSG habe die Rechtssätze aufgestellt, die Grundrechte seien zum Einen primär Abwehrrechte, aus denen keine Leistungsansprüche abgeleitet werden könnten, auch nicht im Sinne einer teleologischen Auslegung. Zum andern dienten die Grundrechte nur dazu, zielgerichtete Eingriffe in ihren Schutzbereich abzuwehren. Dagegen habe das BVerfG Art 6 Abs 1 GG in den zitierten Beschlüssen als Leistungsrecht angesehen.
Insoweit berücksichtigt die Beschwerde nicht ausreichend, dass die Beschlüsse des BVerfG die Besuchserlaubnisse für Ehegatten von Untersuchungsgefangenen außerhalb der allgemeinen Besuchszeiten betrafen, mithin die Reichweite der Beschränkungen, die mit der Untersuchungshaft verknüpft sind. In diesem Zusammenhang hat das BVerfG in den angeführten Entscheidungen betont, den in Art 6 Abs 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznormen komme auch im Haftvollzug besondere Bedeutung zu. Die zuständigen Behörden müssten die erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um in angemessenem Umfang Besuche von Ehegatten zu ermöglichen. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen könne es geboten sein, für besuchsberechtigte Ehegatten Besuchsgelegenheiten außerhalb der allgemeinen Besuchstage zu schaffen. Dass aus Art 6 Abs 1 GG die Pflicht zumindest der Rechtsprechung abzuleiten ist, für Ehefrauen, die sich aus freien Stücken gemeinsam mit ihrem privat versicherten Ehegatten im vertragslosen Ausland aufhalten, Kostenerstattungsansprüche über den gesetzlichen, bewusst in § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V eingegrenzten Rahmen hinaus zu begründen, ist den zitierten Entscheidungen des BVerfG dagegen nicht zu entnehmen.
2. Auch soweit sich die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, werden die dazu notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dargelegt. Für diesen Zulassungsgrund muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt werden, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist ( vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beschwerdebegründung enthält zunächst die Fragestellung, ob ein Grundrecht auf Gesundheit aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG und Art 28 Abs 1 GG anzuerkennen ist und eine Verletzung dieses Rechts zur Erstattung der von der Klägerin geltend gemachten Behandlungskosten führen kann. Ungeachtet der weiteren Voraussetzungen fehlt es insoweit jedenfalls an hinreichenden Darlegungen der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage. Die Frage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein ( vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Deshalb hätte sich die Beschwerde näher mit dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 347/98 - NZS 2006, 84 ff = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164 = GesR 2006, 72 ) auseinander setzen müssen, wonach das Grundrecht aus Art 2 Abs 1 GG den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung schützt. Daraus lässt sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zwar kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung ableiten. Jedoch sind gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen daraufhin zu prüfen, ob sie im Rahmen des Art 2 Abs 1 GG gerechtfertigt sind. Insoweit erscheint die in der Beschwerdebegründung aufgeführte Frage als geklärt. Soll mit der Beschwerde gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht werden, obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen worden bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist ( vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52, mwN) . Das ist indes nicht geschehen. Die Beschwerde führt hierzu überhaupt nur Literaturstellen an, die zeitlich vor der zitierten Entscheidung des BVerfG veröffentlicht worden sind.
Soweit die Beschwerde darüber hinaus vorträgt, es sei die Frage zu klären, ob die Ablehnung der Erstattung der Behandlungskosten die Klägerin in ihren Rechten aus Art 3 Abs 1 GG verletzt, formuliert sie damit schon keine Rechtsfrage, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist, sondern eine speziell auf die Klägerin bezogene Rechtsfrage.
Aber auch wenn man in der Beschwerdebegründung sinngemäß die Rechtsfrage formuliert sehen will, ob es gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstößt, dass § 17 Abs 1 SGB V an das Vorliegen einer Familienversicherung anknüpft, fehlt es an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Dazu hätte sich die Beschwerde mit der Rechtsprechung des BVerfG auseinander setzen müssen, wonach der Staat durch das Schutzgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht gehalten ist, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf andere öffentliche Belange zu fördern. Die staatliche Familienförderung steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann (vgl BVerfGE 97, 332, 349; BVerfGE 87, 1, 35 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6, mwN). Im Übrigen hätte es auch eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats bedurft, wonach ein Versicherter, der sich vorübergehend im vertragslosen Ausland aufhält, keinen allgemeinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Behandlungen vor Ort hat, ohne dass dies gegen die Verfassung verstößt ( Senat, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 32/94 - USK 96177; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil durch BVerfG 1. Senat 2. Kammer, Beschluss vom 13. Juni 1997 - 1 BvR 2447/96 mwN ).
3. Mit dem Vorbringen, das LSG habe gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verstoßen, legt die Beschwerde auch einen Verfahrensfehler (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Form dar. Sie beachtet nicht, dass eine Verfahrensrüge gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG auf die Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn das LSG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergangen hat. Dazu wäre mit Blick auf § 160 Abs 2 Satz 3 SGG besonderes Vorbringen nötig gewesen ( vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 f; Nr 29 S 49; Nr 31 S 51 f; zuletzt Senat, Beschluss vom 10. April 2006, B 1 KR 47/05 B, RdNr 9 ), an dem es fehlt.
Der Verfahrensmangel muss sich insoweit auf einen Beweisantrag beziehen, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung wird insoweit auf die Berufungsbegründung verwiesen, wonach eine Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht dazu einzuholen sei, dass für Auslandsaufenthalte bei einer Situation wie derjenigen der Klägerin private Krankenversicherungen gar nicht bzw nur zu einem außerordentlich teuren Tarif mit Monatskosten von ca 1.000 € bei gleichzeitigem Ausschluss aller Vorerkrankungen und Risiken angeboten würden. Dabei bleibt unbeachtet, dass sich die Klägervertretung zu späteren Zeitpunkten im Berufungsverfahren mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 27. Juli 2005, gegenüber dem LSG mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat, ohne dabei den angeblichen Beweisantrag zu wiederholen. Die Beschwerde geht weder darauf ein, dass mit dem aufgezeigten Vorgehen nicht nur eine Beweiserhebung angeregt, sondern ein formeller Beweisantrag iS von §§ 373, 404 Zivilprozessordnung iVm § 118 SGG gestellt worden sein muss, noch darauf, dass der Antrag bis zur Entscheidung des LSG aufrecht erhalten geblieben sein muss. Ein Beteiligter hält aber einen zuvor mit Schriftsatz gestellten Beweisantrag regelmäßig nicht mehr aufrecht, wenn er sich, ohne den Beweisantrag zu wiederholen, gemäß § 124 Abs 2 SGG vorbehaltlos mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt ( vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 22; BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 ). Er muss sich dann so behandeln lassen, als sei sein Beweisantrag erledigt ( vgl auch BSG SozR 1500 § 160a Nr 56 ). So aber liegt es hier.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen