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BSG Beschluss vom 20.08.1976 - 4 RJ 37/76

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Leitsatz (amtlich)

An der Rechtsprechung, daß die Rechtsmittelbelehrung im Urteil eines SG nicht unrichtig iS des SGG § 66 ist, wenn darin nicht auf die Möglichkeit der Einlegung der Sprungrevision hingewiesen wird (vgl BSG 1956-10-04 8 RV 179/54 = SozR Nr 5 zu § 161 SGG und BSG 1957-08-05 3 RK 9/55 = SozR Nr 10 zu § 161 SGG), wird auch für die Zeit seit dem 1975-01-01 (Änderung der Vorschrift des SGG § 161) und für den Fall, daß die Revision im Urteil ausdrücklich zugelassen worden ist, festgehalten.

Es bleibt offen, ob über die Sprungrevision zu belehren ist, wenn sie durch Beschluß zugelassen wird.

 

Normenkette

SGG § 66 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 161 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Februar 1976 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat gegen das ihr am 6. März 1976 zugestellte Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin Revision eingelegt. Nach § 164 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hätte die Revision innerhalb einer Frist von 2 Monaten - also bis zum 6. Mai 1976 - begründet werden müssen. Die Begründung ist jedoch erst am 18. Mai 1976 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß eine Versäumung der Begründungsfrist nicht vorliege. Da das SG in dem angefochtenen Urteil die Revision ausdrücklich nach § 161 SGG zugelassen habe, sei es notwendig gewesen, über Einzelheiten der Einlegung der Revision eine Belehrung zu erteilen. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils enthalte jedoch einen Hinweis nur auf die Berufung, nicht dagegen auf die Sprungrevision. Hiernach habe die Revisionsfrist noch nicht zu laufen begonnen (§ 66 SGG).

Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, daß eine Belehrung über die Sprungrevision nicht erforderlich ist, daß es vielmehr ausreicht, wenn in dem Urteil des SG über die Berufung belehrt wird. In seiner Entscheidung vom 4. Oktober 1956 (vgl. SozR Nr. 5 zu § 161 SGG) ist dies wie folgt begründet: Die Berufung sei grundsätzlich dasjenige Rechtsmittel, mit dem die Beteiligten ein Urteil des ersten Rechtszuges bei dem übergeordneten Gericht anfechten könnten. Zwar müsse über die Möglichkeit der Einlegung des Rechtsmittels eine Belehrung erteilt werden. Dies bedeute aber nicht, daß das Gericht des ersten Rechtszuges neben der Belehrung über das regelmäßige Rechtsmittel der Berufung auch noch eine solche über die Sprungrevision zu erteilen hätte. Sinn und Zweck einer Rechtsmittelbelehrung lägen darin, den streitenden Parteien den Weg zu weisen, wie sie in der Regel ein ihren Wünschen nicht entsprechendes Urteil beseitigen könnten. Die Sprungrevision trete aber in den dafür vorgesehenen Fällen nur ausnahmsweise und als Ersatz an die Stelle der Berufung. Wer von dem Rechtsmittel der Sprungrevision Gebrauch machen wolle, müsse von sich aus und mit besonderer Sorgfalt darauf achten, die für die Revision geltenden Form- und Fristvorschriften einzuhalten. Diese Begründung ist in einer Entscheidung vom 5. August 1957 (SozR Nr. 10 zu § 161 SGG) dahin ergänzt worden, daß die Rechtsmittelbelehrung vor allem dem Zweck diene, rechtsunkundige Beteiligte darüber zu unterrichten, auf welchem Wege sie die ergangene Entscheidung anfechten könnten. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die Belehrung so einfach und klar wie möglich gehalten sei. Deshalb könne es nicht beanstandet werden, wenn das Gericht sich darauf beschränke, die Beteiligten über das in erster Linie in Betracht kommende Rechtsmittel - bei erstinstanzlichen Urteilen also die Berufung - aufzuklären.

Der erkennende Senat hält an dieser Auffassung fest. Dabei verkennt er nicht, daß die vorbezeichnete Rechtsprechung des BSG zu § 161 SGG in der Fassung, die bis zum 31. Dezember 1974 gegolten hat, ergangen ist. Damals konnten Urteile der Sozialgerichte, die nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbar waren, beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen unmittelbar mit der Revision angefochten werden. Mit Wirkung vom 1. Januar 1975 ist die Vorschrift des § 161 SGG geändert worden. Diese Änderung hat die Möglichkeit, Sprungrevision einzulegen, erweitert. Das Rechtsmittel der Sprungrevision kann beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen entweder von Amts wegen oder auf Antrag zugelassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG vorliegen, d. h. also, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Trotz dieser Erweiterung bleibt die Berufung - dies folgt aus § 143 SGG - das Rechtsmittel, das in erster Linie gegen erstinstanzliche Urteile gegeben ist. Nur in den Ausnahmefällen des § 161 SGG kann unmittelbar Revision eingelegt werden. Die Gründe, die vom BSG bisher dafür angeführt worden sind, daß eine Belehrung über die Sprungrevision nicht erforderlich sei, gelten daher auch weiter. Die Sprungrevision ist ein Rechtsmittel geblieben, das nur ausnahmsweise an die Stelle der Berufung tritt. Aus Gründen der Klarheit muß es ausreichen, wenn über das in erster Linie in Betracht kommende Rechtsmittel belehrt wird. Wer ein Rechtsmittel einlegen will, das ihm nur beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen gegeben ist, muß sich - dies ist in den vorbezeichneten Ersatzleistungen dargetan - von sich aus und mit besonderer Sorgfalt darüber informieren, welche Form- und Fristvorschriften insoweit bestehen. Ob es anders sein kann, wenn die Revision durch Beschluß zugelassen wird (vgl. § 161 Abs. 1 SGG), kann hier offen bleiben. Die Revision der Klägerin muß hiernach wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen werden (§ 169 SGG).

Die Klägerin hat zwar wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt; sie hat jedoch nichts vorgetragen und es ist auch sonst nichts ersichtlich, was diesen Antrag rechtfertigen könnte. Insbesondere ist nicht dargetan, daß sie ohne Verschulden verhindert gewesen sein könnte, die Frist einzuhalten (vgl. § 67 Abs. 1 SGG). Der Hinweis darauf, daß es an einer Belehrung über die Sprungrevision in dem angefochtenen Urteil fehle, reicht nicht aus. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649102

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