Entscheidungsstichwort (Thema)

Beteiligung von Chefärzten. Verletzung rechtlichen Gehörs. Beteiligungswiderruf. Handlungsermessen

 

Orientierungssatz

1. Die Beteiligung von Chefärzten nach § 368a Abs 8 RVO hat ihrer Rechtsnatur nach auch ohne den ausdrücklichen Ausspruch eines Widerrufsvorbehalts gegenüber der Versorgung durch niedergelassene Ärzte nur eine subsidiäre Bedeutung. Sie hängt immer von einer Minderversorgung ab, die zu überwinden den Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzlich aufgegeben ist (vgl BSG vom 23.5.1984 - 6 RKa 21/83 = SozR 5520 § 29 Nr 4).

2. Zur formgerechten Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, daß die Verletzung entweder vor der Berufungsinstanz erfolglos beanstandet worden ist oder daß dies nicht möglich war, sowie welches Vorbringen durch die Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs verhindert worden ist und inwiefern die Entscheidung der Berufungsinstanz darauf beruhen kann.

3. Den Zulassungsinstanzen steht beim Widerruf der Beteiligung kein Handlungsermessen zu. Vielmehr ist die Beteiligung eines Krankenhausarztes zu widerrufen, wenn sie nicht zur Gewährleistung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten notwendig ist (vgl BSG vom 23.5.1984 - 6 RKa 2/83 = SozR 5520 § 29 Nr 3 und BSG vom 6.6.1984 - 6 RK 13/83 = USK 84175).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 62; RVO § 368a Abs. 8; ZO-Ärzte § 29

 

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung. Er ist seit 1. Oktober 1978 Chefarzt der Chirurgischen Abteilung der Missionsärztlichen Klinik W.      . Die ursprünglich eingeräumte Beteiligung an der (ambulanten) kassenärztlichen Versorgung war ab 1. Oktober 1979 auf folgende Leistungen auf Überweisung durch Kassenärzte beschränkt worden: ambulante Behandlung und Nachbehandlung von Osteosynthesen, Vor- und Nachbehandlung auf dem Gebiet der Proktologie, Nachbehandlung auf dem Gebiet der Stomatologie, Vor- und Nachbehandlung von handchirurgischen Fällen. Mit Bescheid vom 8. Dezember 1982 widerrief der Zulassungsausschuß die Beteiligung zum 30. Juni 1983, weil seit dem 21. Juli 1982 drei weitere Chirurgen im Planungsbereich W.       zugelassen seien und damit eine quantitative Versorgungslücke nicht mehr vorliege; im übrigen habe der Kläger nicht geltend gemacht, daß er Leistungen erbringe, die die niedergelassenen Fachkollegen nicht durchführten. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision nicht zugelassen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

Die Beschwerde ist unbegründet. Dem Beschwerdevorbringen ist kein Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu entnehmen. Im Beschwerdeverfahren hat sich die gerichtliche Prüfung auf das form- und fristgerechte Vorbringen des Beschwerdeführers zu beschränken (folgt aus § 160a Abs 2 Sätze 1 und 3 SGG).

Der Kläger macht geltend, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe der Widerruf einer Beteiligung nach § 45 bzw §48 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB X) zu erfolgen. Nach den Entscheidungen des BSG in SozR 5520 § 29 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) Nrn 3 bis 5 stehe die Beteiligung unter dem Vorbehalt des Widerrufs. Diese Rechtsprechung habe in der Literatur nicht nur Zustimmung erfahren, ihr sei auch in einem nicht geringfügigen Umfang mit Ablehnung begegnet worden. Die vom BSG entschiedene Rechtsfrage sei daher erneut klärungsbedürftig (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13).

Die vier Literaturangaben des Klägers sind nicht geeignet, die den zitierten Entscheidungen des erkennenden Kassenarztsenats des BSG zugrundeliegende Rechtsauffassung erneut in Frage zu stellen. Der Aufsatz von Plagemann ist zeitlich vor den genannten Urteilen des BSG veröffentlicht worden. Zwar ist Plagemann anderer Meinung als das BSG, aber die für seine Ansicht angeführten Gründe sind in den Urteilen bereits berücksichtigt. Das gilt insbesondere für den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Eine Äußerung von Narr, auf die sich der Kläger berufen könnte, läßt sich an der angegebenen Stelle - MedRecht 1984, 50 f - nicht finden. Schimmelpfeng-Schütte in SGb 1985, 334 und Krause in SGb 1985, 485 besprechen jeweils nur eine der oa Entscheidungen (die am 25. Mai 1984 ergangenen Entscheidungen in den Sachen 6 RKa 2/83 bzw 6 RKa 21/83 = SozR 5520 § 29 ZO-Ärzte Nrn 3 und 4). Es ist zwar richtig, daß sie sich kritisch und zum Teil ablehnend äußern, sie beschränken sich dabei aber auf die besprochene Entscheidung, insbesondere auf Begründungselemente der jeweiligen Entscheidung; die gesamte Rechtsprechung des Senats erfährt durch sie keine umfassende und abschließende Würdigung. Beide Rezensenten weisen ausdrücklich auf andere Entscheidungen des Senats hin, auf deren Begründungen ihre Kritik nicht in gleicher Weise zutrifft. So meint Krause, die Begründung in der ebenfalls vom Kläger zitierten Entscheidung aaO Nr 5 "erscheint (ihm) eher tragfähig". In dem von Schimmelpfeng-Schütte besprochenen Urteil wird hervorgehoben, die Beteiligung setze nach § 368a Abs 8 RVO ihre Notwendigkeit zur Gewährleistung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten voraus. Sie sei zu widerrufen, wenn sie nicht mehr notwendig sei. Da es auf die Sicherstellung der aktuellen ärztlichen Versorgung ankomme, seien für den Widerruf die jeweils gegenwärtigen Verhältnisse maßgebend (BSG SozR 5520 § 29 ZO-Ärzte Nr 3). Diese Begründung, auf die im Kern auch das Urteil in SozR 5520 § 29 ZO-Ärzte Nr 4 gestützt ist (S 17), wird von Schimmelpfeng-Schütte nicht kritisiert; jene Entscheidung enthält die von Schimmelpfeng-Schütte vermißte Begründung für die Nichtanwendung der Fristvorschriften der §§ 48 und 45 SGB X.

Mit der von Schimmelpfeng-Schütte besprochenen Entscheidung hatte sich das Bundesverfassungsgericht zu befassen. Es hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte; nach seiner Ansicht war die Entscheidung des Senats von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Beschluß vom 5. November 1984 - 1 BvR 1320/84 -). Im übrigen berücksichtigt der Kläger nicht, daß der Senat die angegriffene Rechtsauffassung auch nach den oa Entscheidungen und nach den dazu im Schrifttum veröffentlichten zustimmenden und ablehnenden Stellungnahmen aufrechterhalten, zur Grundlage zahlreicher weiterer Entscheidungen gemacht und damit im grundsätzlichen bestätigt hat.

Auch die sonstige Begründung des Klägers führt nicht zur erneuten Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage. Der Hinweis, in den Bestimmungen des SGB X und der Vorschrift des § 29 ZO-Ärzte stehe ein Gesetz der Verordnung gegenüber, so daß dem Gesetz der Vorrang zukomme, geht an der Begründung des Senats vorbei, besonderer Teil des SGB sei auch die RVO; abweichende Regelungen sind die gesetzlichen Vorschriften der §§ 368a Abs 8, 368c RVO iVm § 29 Abs 5 ZO-Ärzte (BSG SozR 5520 § 29 ZO-Ärzte Nr 5).

In den weiteren Ausführungen vertritt der Kläger weitgehend lediglich im Ergebnis eine andere Auffassung als das BSG, ohne sich mit der Begründung in den veröffentlichten Entscheidungen auseinanderzusetzen. Der Kläger meint, § 29 Abs 5 ZO-Ärzte sei gemäß Art 2 § 40 Abs 1 Satz 2 SGB X aufgehoben worden. Dagegen hat das BSG entschieden, § 37 SGB I idF durch Art II § 15 Buchst p des SGB X vom 4. November 1982 (BGBl I, 1450) habe wie vorher § 1 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) die Fortgeltung von abweichendem Recht bestimmt. Dem tritt der Kläger mit dem Hinweis auf § 37 Satz 2 SGB I entgegen. Er zitiert die Vorschrift aber unvollständig; sie schließt den Vorbehalt abweichender Regelungen nicht nur für § 1 SGB X aus, sondern für §§ 1 bis 17, 31 bis 36 und für das 2. Kapitel des SGB X, so daß die §§ 44 ff SGB X nicht erfaßt werden. In den weiteren Darlegungen zieht der Kläger nur Folgerungen aus der von ihm entgegen der Rechtsprechung des BSG vertretenen Ansicht. Soweit der Kläger geltend macht, nach der Rechtsauffassung des Senats (SozR 5520 § 29 Nr 4) gälten die §§ 45 ff SGB X nur für Sozialleistungen iS des § 11 SGB I, diese Auffassung widerspreche aber der Rechtsprechung des 11. Senats des BSG (SozR 1200 § 44 Nr 9), wird er den Ausführungen des Senats an der angegebenen Stelle nicht gerecht. Was er als Rechtsauffassung des Senats bezeichnet, war lediglich eine Erwägung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. Entscheidend stellte der Senat in der zitierten und anderen Entscheidungen darauf ab, "daß die Beteiligung von Chefärzten nach § 368a Abs 8 Reichsversicherungsordnung (RVO) ihrer Rechtsnatur nach auch ohne den ausdrücklichen Ausspruch eines Widerrufsvorbehalts gegenüber der Versorgung durch niedergelassene Ärzte nur eine subsidiäre Bedeutung hat, also immer von einer Minderversorgung abhängt, die zu überwinden den Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzlich aufgegeben ist" (SozR 5520 § 29 Nr 4).

Soweit der Kläger lediglich den materiell-rechtlichen Auffassungen des LSG entgegentritt, dienen die Ausführungen nicht der Begründung der Zulässigkeit der Revision.

Die Zulässigkeit ergibt sich auch nicht aus den Verfahrensmängelrügen. Mit dem Vorbringen, das LSG hätte sich zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, hat der Kläger die Verletzung des § 103 SGG gerügt. Dieser Verstoß kann aber nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn der Beschwerdeführer auch den Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das hat der Kläger jedoch unterlassen.

Den Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zur formgerechten Rüge dieses Mangels ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, daß die Verletzung des rechtlichen Gehörs entweder vor dem LSG erfolglos beanstandet worden ist oder daß dies nicht möglich war, sowie welches Vorbringen durch die Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs verhindert worden ist und inwiefern die Entscheidung des LSG darauf beruhen kann (Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG § 160a Erl 7.9.4 mwN). Der Kläger hat insbesondere nicht angegeben, daß er die mangelnde Offenlegung der Grundlagen, auf denen die Feststellungen der Beklagten beruhen, vor dem Sozialgericht (SG) oder LSG beanstandet habe. Wenn er von Anfang an den Sachverhalt bestritten hat, so liegt darin keine derartige Beanstandung; der Kläger hätte insoweit einen Beweisantrag stellen sollen.

Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache schließlich nicht wegen der Rechtsfrage, ob bei der Entziehung der Beteiligung sich der Beurteilungsrahmen auch auf Zweckmäßigkeits- und kostendämpfende Aspekte zu erstrecken habe. Den Zulassungsinstanzen steht beim Widerruf der Beteiligung kein Handlungsermessen zu. Vielmehr ist die Beteiligung eines Krankenhausarztes zu widerrufen, wenn sie nicht zur Gewährleistung einer ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten notwendig ist. Dies hat der Senat sowohl zu § 29 Abs 5 ZO-Ärzte wie auch zu § 7 EKV-Ärzte ausgesprochen (BSG SozR 5520 § 29 ZO-Ärzte Nr 3; BSG 6. Juni 1984 - 6 RKa 13/83 -). Ob die Beteiligung zweckmäßig oder wirtschaftlich war, ist nicht ausschlaggebend. Sie wäre dem Chefarzt zur Behandlung vor und nach operativen Eingriffen zuzusprechen, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, also zur Nachbehandlung insbesondere dann, wenn der Operateur aufgrund der Operation die Heilung deutlich besser fördern kann als jeder andere Arzt. Ob dies der Fall ist, ist eine Tatfrage. Eine Beteiligung ist dem Chefarzt auch nicht deshalb zu belassen, weil er einen Lehrauftrag zur Ausbildung medizinischer Nachwuchskräfte hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663903

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