Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeutische Versorgung. bedarfsunabhängige Zulassung. Zeitfenster. Nichtberücksichtigung. Behandlungen von Angehörigen der Bundeswehr
Orientierungssatz
Behandlungen von Angehörigen der Bundeswehr sind im Rahmen des § 95 Abs 10 S 1 Nr 3 SGB 5 nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
SGB 5 § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die 1939 geborene Klägerin, Psychologische Psychotherapeutin, hat seit 1990 in eigener Praxis Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Kostenerstattungsverfahren der Krankenkassen (KKn) behandelt. Ihr Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung hat weder im Verwaltungsverfahren noch im vorinstanzlichen Gerichtsverfahren Erfolg gehabt. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, die Klägerin habe keine "Teilnahme" an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung im Sinne des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufzuweisen. Sie habe die vom Bundessozialgericht (BSG) als notwendig erachtete Behandlungszahl von durchschnittlich 11,6 Stunden je Woche in einem halben Jahr des Zeitfensters (Juni 1994 bis Juni 1997) oder von ca 15 Stunden je Woche im letzten Vierteljahr des Zeitfensters (April bis Juni 1997) nicht erreicht. In dem Dreijahreszeitraum habe sie insgesamt nur 401,5 Behandlungsstunden - also durchschnittlich 3,11 Stunden je Woche - bzw in dem von ihr als am günstigsten benannten Jahreszeitraum (15. April 1996 bis 14. April 1997) nur 216 Behandlungsstunden - also durchschnittlich 5,02 Stunden je Woche - erbracht. Selbst wenn man diese als in einem halben Jahr erbracht ansähe - was tatsächlich aber nicht der Fall sei -, wären mit einem Wochendurchschnitt von 10,05 Stunden noch nicht 11,6 Stunden erreicht. Ihr könnten nicht die Behandlungsstunden hinzugerechnet werden, die sie gegenüber Angehörigen der Bundeswehr erbracht habe - 296 im Dreijahreszeitraum bzw 79 in dem benannten Jahreszeitraum -. Diese würden nicht im System der GKV erbracht. Sie seien lediglich insofern mit der GKV verknüpft, als der Sicherstellungsauftrag den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) übertragen sei und als der mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) geschlossene Sicherstellungsvertrag die Abrechnung über die KÄV - entsprechend den Vergütungsregelungen des Ersatzkassenbereichs - vorsehe. Selbst wenn die Abrechnung in dieser Weise erfolgt sein sollte - und nicht lediglich direkt im Verhältnis zwischen der Klägerin und den Patienten nach der GOÄ, wofür die von der Klägerin zunächst vorgelegten Unterlagen sprächen -, habe es sich nicht um Behandlungen im Rahmen der GKV gehandelt.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, ist hinsichtlich einer von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage zulässig, aber unbegründet; die übrigen Rügen sind unzulässig.
Hinsichtlich der Rechtsfrage,
ob bei der Auslegung des Begriffs der bestandsgeschützten "Teilnahme" iSd § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V bei den im sog Zeitfenster nachzuweisenden Behandlungsstunden auch solche zu berücksichtigen sind, die Soldaten der Bundeswehr betreffen (so die sinngemäße Formulierung in der Beschwerdebegründung S 15),
hat sie die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) zwar entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Es fehlt aber an der Erfüllung der inhaltlichen Voraussetzungen für eine Revisionszulassung. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, ebenso dann, wenn zwar keine ausdrückliche normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne Weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35).
Die Frage der Anrechenbarkeit der Behandlungsstunden, die Soldaten der Bundeswehr betreffen, ist nicht klärungsbedürftig, denn sie lässt sich anhand der vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten. Die Grundlinien, an denen sich die Auslegung des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V orientieren muss, ergeben sich aus der Rechtsprechung des BSG und des Bundesverfassungsgerichts (s zB BSGE 87, 158, 171, 175 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 118 f, 122 ff; BVerfG ≪Kammer≫, NJW 2000, 3416, 3416 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 24 S 102 f; zuletzt BSG, MedR 2003, 359 = GesR 2003, 42, s dazu die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde durch BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 6. Dezember 2002 - 1 BvR 2021/02 -): Das Erfordernis einer Mindestzahl an Behandlungsstunden im Zeitfenster beruht auf dem Gedanken, dass bereits in dieser Zeit eine schutzwürdige Praxisstruktur, deren wirtschaftlicher Ertrag annähernd das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreichte, vorhanden gewesen sein muss (dazu zuletzt BSG MedR 2003, 359, 360, in GesR 2003, 42 insoweit nicht abgedruckt). Denn nur wenn eine selbst aufgebaute Praxis mit bereits schutzwürdiger Substanz sonst aufgegeben werden müsste, ist eine Zulassung in dem überversorgten Planungsbereich ausnahmsweise gerechtfertigt (s BSGE 87, 158, 165, 166 = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 112, 113). Geklärt ist in der Rechtsprechung auch, dass für die Zahl der erforderlichen Behandlungsstunden allein Behandlungen von Versicherten gesetzlicher KKn Bedeutung haben (BSGE 87, 158, 166 = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 113). Außer Betracht zu lassen sind Behandlungen privat versicherter und selbst zahlender Patienten und solcher, bei denen die Leistungen mit anderen Kostenträgern als den gesetzlichen KKn abzurechnen sind wie zB den Sozialhilfeträgern (aaO S 166 bzw S 113 f), ebenso wie auch Behandlungen im Beauftragungsverfahren (aaO S 173-175 bzw S 121 f). In allen diesen Fällen handelt es sich nicht, wie in § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V ausdrücklich gefordert, um eine Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung "der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen" (so explizit BSG aaO S 166 bzw S 113).
Aus diesen bereits erfolgten Klärungen folgt, dass es sich im Fall der Angehörigen der Bundeswehr nicht um Behandlungen der "Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen" gemäß § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V handelt. Für die Angehörigen der Bundeswehr sind zwar durch § 75 Abs 3 SGB V iVm dem "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die ärztliche Versorgung von Soldaten der Bundeswehr ...", der am 31. Januar 1989 abgeschlossen wurde und noch heute gilt, Bestimmungen in Anlehnung an diejenigen getroffen worden, die für die ambulante psychotherapeutische Versorgung der Versicherten der gesetzlichen KKn gelten. So obliegt die Sicherstellung der Versorgung der Angehörigen der Bundeswehr den KÄVen und der KÄBV (§ 75 Abs 3 Satz 1 SGB V, vgl dazu BVerfGE 62, 354, 370 ff), und die Vergütung erfolgt wie im Ersatzkassenbereich (§ 75 Abs 3 Satz 2 SGB V). Die KÄVen nehmen auch die Honorarabrechnungen und -zahlungen vor (s § 7 Abs 1 Satz 4, Abs 5 und Abs 6 des Vertrags), und behandlungsberechtigt sind grundsätzlich nur solche Ärzte, die gemäß § 95 Abs 1 und § 95 Abs 10 und Abs 11 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (§ 2 Abs 1 des Vertrags). Diese Ähnlichkeiten mit dem System der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen KKn reichen aber zur Anerkennung der Behandlungen von Angehörigen der Bundeswehr als "Teilnahme" im Sinne des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 3 SGB V nicht aus. Denn diese Regelung setzt voraus, dass es sich um die ambulante psychotherapeutische Versorgung von "Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen" gehandelt hat. Dieses Merkmal, dem das BSG unüberwindbare Relevanz beimisst, wie dessen ausdrückliche Zitierung (in BSG aaO S 166 bzw S 113) deutlich macht, ist bei Angehörigen der Bundeswehr nicht gegeben. Bei ihnen liegt es mithin - ungeachtet aller Unterschiede im Detail - im Ergebnis ebenso, wie das BSG dies zB für Sozialhilfeempfänger dargelegt hat (s hierzu BSG aaO S 166 bzw S 113 f und zB BSG, Beschluss vom 26. April 2004 - B 6 KA 116/03 B, in Juris dokumentiert, jeweils für die Rechtslage bis zum 31. Dezember 2003).
Somit ergibt sich ohne Weiteres - ohne dass es der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf - aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung, dass Behandlungsstunden der Klägerin, die Soldaten der Bundeswehr betrafen, nicht als Behandlungsstunden im Zeitfenster anerkannt werden können.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).
Fundstellen