Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 17.12.2018; Aktenzeichen S 41 R 369/16) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 02.04.2020; Aktenzeichen L 2 R 48/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 2. April 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung anstatt der ihm von dem beklagten RV-Träger bewilligten befristeten.
Mit seinem Begehren war der Kläger sowohl im Widerspruchs-, als auch im Klage- und Berufungsverfahren erfolglos. Das LSG hat im Wesentlichen darauf abgestellt, die Voraussetzungen für eine unbefristete Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor, denn es lasse sich keine Unwahrscheinlichkeit einer rentenrechtlich relevanten Besserungsaussicht feststellen. Das LSG hat die Revision in seinem Beschluss (vom 2.4.2020) nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG und macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 2.6.2020 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl Senatsbeschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - juris RdNr 4, stRspr). Um seiner Darlegungspflicht (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine konkrete Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN - juris RdNr 6).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Ihr ist bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) zu entnehmen. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl BSG Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - juris RdNr 23, stRspr). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag des Klägers daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe (vgl BSG Beschluss vom 12.5.1999 - B 4 RA 181/98 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48, stRspr).
Selbst wenn man jedoch annehme wollte, der Kläger hielte es für klärungsbedürftig,
a) "nach wie vielen Verlängerungen (statt) einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente eine Rente unbefristet gewährt werden muss"
und
b) wie der Begriff der "Unwahrscheinlichkeit" iS des § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI auszulegen sei,
erfüllt er mit der Begründung seiner Beschwerde die zuvor dargelegten Formerfordernisse nicht, insbesondere mangelt es an Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit der benannten Fragen.
So fehlt es an Ausführungen dazu, warum sich die Antwort zu der unter Buchstabe a) benannten Frage nicht bereits aus dem Gesetz ergibt. Der Text des von dem Kläger selbst zitierten § 102 Abs 2 SGB VI lautet: Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ... werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Unabhängig davon, dass sich aus der Beschwerdeschrift nicht ergibt, ob der Anspruch für die dem Kläger bewilligte Rente in Abhängigkeit zur jeweiligen Arbeitsmarktlage steht oder nicht, mangelt es an Darlegungen dazu, warum die Zeitbestimmungen in § 102 Abs 2 SGB VI: "längstens drei Jahre" oder "nach neun Jahren" die aufgeworfene Frage nicht klären.
Zur Frage b) und zum Begriff der "Unwahrscheinlichkeit" bringt der Kläger vor, seiner Ansicht nach sei unter "unwahrscheinlich" nicht zu verstehen, dass eine Besserungsmöglichkeit gänzlich ausgeschlossen sei. Vielmehr müssten adäquate Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden und eine Besserung dennoch nicht eingetreten sein. Allerdings mangelt es in der Beschwerdeschrift insoweit an einer Auseinandersetzung mit dem auch schon vom LSG zitierten Urteil des BSG vom 29.3.2006 (B 13 RJ 31/05 R - BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2) zur Auslegung dieses Rechtsbegriffs iS des § 102 Abs 2 SGB VI. Denn eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit ist nur dann gegeben, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht schon aufgrund einer und mehrerer Entscheidungen des BSG beantworten lässt. Zumindest ist die einschlägige Rechtsprechung des BSG daraufhin zu untersuchen, ob diese ggf ausreichende Hinweise für die Beantwortung der formulierten und als klärungsbedürftig angesehenen Fragen enthält. Denn selbst wenn das BSG eine Frage noch nicht ausdrücklich entschieden hat, so ist eine Rechtsfrage doch bereits dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 3.4.2017 - B 12 KR 92/16 B - juris RdNr 19).
Es hätte daher wenigstens Ausführungen zu Letzterem im Hinblick darauf bedurft, dass das BSG bereits befunden hat (Urteil vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R - BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2, RdNr 21 - 23): "'Unwahrscheinlich' iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI ist ... dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann jedoch erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Daher liegt es nahe, Unwahrscheinlichkeit iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI ... dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen - auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten - eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde. ... Erheblich ist allein, dass alle therapeutischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, um ein qualitatives oder quantitatives Leistungshindernis zu beheben." § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI stelle ausdrücklich darauf ab, ob unwahrscheinlich sei, dass die Erwerbsminderung behoben "werden könne", nicht aber darauf, ob sie behoben "werden werde". Dabei seien alle Therapiemöglichkeiten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse in die Betrachtung einzuschließen.
Schließlich legt der Kläger auch nicht dar, dass die durch die vorstehend zitierte BSG-Rechtsprechung geklärte Rechtsfrage zur Auslegung des Begriffs "unwahrscheinlich" iS von § 102 Abs 2 SGB VI erneut klärungsbedürftig geworden wäre. Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist, oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13 juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.8.2018 - B 10 ÜG 7/18 B - juris RdNr 8 mwN). Der Kläger stellt hier jedoch lediglich seine eigene rechtliche Bewertung zu dieser Frage in den Raum, ohne gewichtige andere Auffassungen in Literatur oder Rechtsprechung oder bisher nicht berücksichtigte, eine andere Bewertung ermöglichende, Gesichtspunkte darzulegen.
Im Grunde geht es dem Kläger nach seinen Ausführungen auch weniger um die abstrakte Klärung des Inhalts des Begriffs "unwahrscheinlich", als vielmehr darum, dass er die Würdigung des LSG insoweit im konkreten Fall für unzutreffend hält. Denn er bringt vor, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es dem Kläger wegen einer tiefgreifenden psychischen Störung nicht möglich sei, eine anderweitige Therapie zu absolvieren und der Behandlungserfolg einer solchen sei sehr unwahrscheinlich. Mit einem darin zum Ausdruck kommenden Angriff auf die Beweiswürdigung des Vordergerichts kann er jedoch bereits wegen des Ausschlusses durch § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zur Revisionszulassung gelangen.
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14226147 |