Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor eine Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 128 Abs 2, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.06.1989; Aktenzeichen L 10 U 546/89)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm wegen der Folgen eines als Fußgänger erlittenen Verkehrsunfalls bei der Erledigung von Besorgungen während der Mittagspause am 28. August 1986 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 14. Juli 1987 und Widerspruchsbescheid vom 2. November 1987; Urteile des Sozialgerichts vom 9. Februar 1989 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 29. Juni 1989). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe sich im Unfallzeitpunkt auf dem Rückweg von einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (privaten Einkauf) befunden. Daß der Weg daneben insbesondere im Unfallzeitpunkt auch der Besorgung von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verbrauch gedient habe, sei nicht hinreichend wahrscheinlich.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob bei einem Nahrungsmittelkauf nur derjenige Weg unter Versicherungsschutz stehe, der sich nachträglich als der kürzeste Weg herausstelle. Darüber hinaus beruhe das Urteil auf Verfahrensfehlern. Das LSG sei zu der für ihn - den Kläger - überraschenden Entscheidung gelangt, daß er sich in der damaligen Mittagspause überhaupt nicht auf Nahrungsmittelsuche befunden habe. Zu dieser entscheidenden Frage sei das rechtliche Gehör verletzt. Außerdem habe das Gericht entgegen § 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seine Entscheidung auf ein Beweisergebnis gestützt, das ihm vorher nicht mitgeteilt worden sei. Schließlich habe das LSG gegen § 103 SGG verstoßen, weil es bei Zweifeln an der Richtigkeit seines Klagevortrags geeignete Beweise hätte erheben können.

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird (vgl Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, RdNr 84 mwN). Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht - ausreichend - geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSG Beschluß vom 19. Oktober 1989 - 2 BU 184/89 -). Demgemäß muß der Beschwerdeführer, welcher die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen hat, aufzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind, und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht erforderlich erscheint. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen. Der Beschwerdeführer setzt sich insbesondere nicht mit der bisher zur Frage des rechtlichen zulässigen Weges bei einem Nahrungsmitteleinkauf während einer Arbeitspause ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auseinander (s ua BSG SozR 2200 § 550 Nr 28 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 486 l mwN). Davon abgesehen legt der Kläger auch nicht dar, inwieweit diese Rechtsprechung im Hinblick auf den vorliegenden Fall einer Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung bedarf.

Auch die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach §§ 62 und 128 Abs 2 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der sich aus den genannten Vorschriften ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dementsprechenden Hinweispflichten des Gerichts beziehen sich nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen, die dem Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Solche hat das LSG im vorliegenden Fall aber nicht in das Verfahren eingebracht. Streitentscheidend war hier die Frage, ob der Weg des Klägers in der Mittagspause dazu bestimmt war, Nahrungsmittel einzukaufen oder einen privaten Einkauf zu tätigen oder ob der Weg sowohl betrieblichen als auch privaten Zwecken diente. Die dazu erheblichen Tatsachen und Angaben waren dem Kläger bekannt. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor eine Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (s Beschluß des erkennenden Senats vom 27. Juli 1989 - 2 BU 191/88 -).

Soweit der Kläger darüber hinaus rügt, das LSG habe den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt, ist die Beschwerde unzulässig, weil sie sich auf keinen Beweisantrag bezieht, den das LSG ohne hinreichende Begründung übergangen haben soll (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649180

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge