Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 22.02.1995; Aktenzeichen L 5 Ka 46/93)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Februar 1995 wird verworfen.

Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Soweit der Kläger als Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) rügt, das Landessozialgericht (LSG) habe zu Unrecht keinen Sachverständigenbeweis über die Zuordnung der Knochendichtemessung zu einem ärztlichen Fachgebiet erhoben, ist der Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Rüge eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht des Gerichts gemäß § 103 SGG bedarf nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG der schlüssigen Darlegung, daß das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu muß der Beweisantrag so genau bezeichnet werden, daß er für das Bundessozialgericht (BSG) ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4). Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Klägers nicht, weil er keinen Beweisantrag aus dem Berufungsverfahren bezeichnet hat. Der Hinweis auf das in der Klageschrift gegenüber dem Sozialgericht (SG) angebotene Sachverständigengutachten reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, weil sich § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausdrücklich auf das Übergehen eines Beweisantrages durch das LSG bezieht und der Kläger nicht dargelegt hat, ob und in welcher Form er den Beweisantrag aus dem Klageverfahren im Berufungsverfahren aufrechterhalten hat.

Soweit die Beschwerde geltend macht, das Urteil des LSG weiche von den Entscheidungen des Senats vom 27. Oktober 1987 (BSGE 62, 224 ff = SozR 2200 § 368a Nr 19) und vom 13. März 1991 (BSGE 68, 190 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 1) ab (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), ist die Divergenz nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Eine Abweichung im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht und diese zu der in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. In der Beschwerdebegründung muß deshalb dargelegt werden, mit welcher konkreten Rechtsaussage das LSG von welchem näher bezeichneten Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Klägers nicht. Er benennt keinen abstrakten Rechtssatz, den das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und der vom Senat daraufhin geprüft werden könnte, ob er zu den Rechtsausführungen in den Urteilen vom 27. Oktober 1987 und 13. März 1991 in Widerspruch steht. Die These des Klägers, das LSG habe aus dem Senatsurteil vom 28. Oktober 1987 (SozR 2200 § 368a Nr 20) geschlossen, Fachgebietsgrenzen seien nur dann unbeachtlich, wenn durch ihre Einhaltung eine ausreichende ärztliche Versorgung gefährdet wäre, macht die behauptete Divergenz zu den Senatsurteilen vom 27. Oktober 1987 und 13. März 1991 nicht deutlich. Damit wird allenfalls dargetan, das LSG habe die verschiedenen einschlägigen Urteile des Senats nicht hinreichend beachtet, also in der Sache falsch entschieden. Die unrichtige oder unterbliebene Anwendung eines vom Revisionsgericht entwickelten und im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall bedeutet aber noch keine Abweichung im Sinne der Zulassungsvorschriften (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 260).

Auch die grundsätzliche Bedeutung der zu klärenden Rechtsfrage (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Wer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, muß schlüssig vortragen, daß sich die zu treffende Entscheidung des BSG über den Einzelfall hinaus auswirken wird und daß die Rechtsfrage im Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob zur „gynäkologischen Endokrinologie” in Nr I Ziff 6 der Niedersächsischen Weiterbildungsordnung auch die Diagnose hormonell bedingter Knochenveränderungen gehört und ob eine „gynäkologische Röntgenaufnahme” im Sinne der Niedersächsischen Weiterbildungsordnung sich auf die weiblichen Geschlechtsorgane beziehen muß oder auch Aufnahmen erfaßt werden, die für die Diagnosestellung bei „gynäkologisch zu therapierenden Pathologien” durchgeführt werden. Für beide Rechtsfragen ist nicht hinreichend dargelegt, inwieweit sie klärungsbedürftig sind. Der Kläger hat eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung zwar pauschal behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Er hat nicht konkret belegt, daß zu diesen Rechtsfragen eine „Vielzahl von Parallelverfahren” anhängig ist. Dasselbe gilt für seine Behauptung, die Genehmigungspraxis sei bei einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) unterschiedlich, zumal das LSG eine solche Feststellung nicht getroffen sondern lediglich ausgeführt hat, der Kläger könne, wenn eine solche unterschiedliche Praxis tatsächlich existiere, für sich daraus keine Rechte herleiten. Die vom Kläger im Berufungsverfahren zu den Akten gereichte Entscheidung der KÄV Thüringen (Bl 76/77), aus der nicht einmal hervorgeht, daß sie gegenüber einem Gynäkologen ergangen ist, ersetzt nähere Darlegungen in dieser Hinsicht nicht.

Auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage, ob Knochendichtemessungen nicht zumindest ausnahmsweise zulässige fachfremde Leistungen eines Gynäkologen darstellen können, ist nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger verkennt nicht, daß der Senat im Urteil vom 28. Oktober 1987 (SozR 2200 § 368a Nr 20) die frühere Senatsrechtsprechung bestätigt hat, wonach wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung der ärztlichen Fachgebiete im einzelnen Behandlungsfall dem Vertragsarzt eine gewisse Toleranzbreite zugestanden werden könne, kraft derer er hin und wieder unbeanstandet Leistungen erbringen dürfe, die als solche nicht mehr zu seinem Fachgebiet gehören. Weshalb auf der Grundlage dieser Rechtsprechung der Frage, ob im Einzelfall ausnahmsweise fachfremde Leistungen honoriert werden können, (noch) grundsätzliche Bedeutung zukommen kann, legt der Kläger nicht schlüssig dar. Im übrigen hat der Senat in dem genannten Urteil vom 28. Oktober 1987 ausdrücklich ausgeführt, daß bei der Anerkennung einer Toleranzbreite vor allem an die einzelnen Behandlungsfälle gedacht worden ist, mit denen sich der Arzt in seiner täglichen Praxis befassen muß, daß daraus aber keinesfalls eine grundsätzliche Ermächtigung eines Gebietsarztes hergeleitet werden kann, bestimmte fachfremde Leistungen generell in sein Leistungsangebot einzubeziehen. Genau auf eine solche generelle Ermächtigung zielt die vom Kläger als klärungsbedürftig angesehene Rechtsfrage. Wenn indessen zu einer Rechtsfrage aktuelle Rechtsprechung des zuständigen Senats des BSG vorliegt, kann sie allenfalls dann in einem (erneuten) Revisionsverfahren klärungsbedürftig sein, wenn diese Rechtsprechung in Praxis und Wissenschaft erheblichen Bedenken ausgesetzt ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13) und/oder geltend gemacht wird, zentrale Gesichtspunkte seien in der bisherigen Rechtsprechung nicht oder nicht hinreichend gewürdigt worden. In dieser Hinsicht trägt die Beschwerde nichts vor.

Schließlich ist nicht erkennbar, wie in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte, „ob eine verfassungskonforme Auslegung der WBO im Lichte der Berufsfreiheit fordert, daß technisch neue Diagnosemethoden bis zu einer verbindlichen satzungsmäßigen Fachgebietszuordnung von allen berührten und interessierten Gebietsärzten durchgeführt werden können muß”. Der Kläger hat schon nicht dargelegt, inwieweit die Knochendichtemessung im Sinne der aufgeworfenen Rechtsfrage als „technisch neu” zu beurteilen ist. Er hat Ende Dezember 1991 bei der Beklagten beantragt, ihm die Genehmigung zur Durchführung von Knochendichtemessungen zu erteilen, und diese ärztliche Leistung ist zumindest seit dem 1. Oktober 1987 Bestandteil der Vertragsgebührenordnungen (Ziff 5485/5486 BMÄ/E-GO in den bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassungen und Ziff 5300/5301 BMÄ/E-GO in den ab 1. Juli 1990 geltenden Fassungen). Darüber hinaus ist nicht erkennbar, was mit einer „verbindlichen satzungsmäßigen Fachgebietszuordnung” als zeitlicher Begrenzung einer generellen Abrechnungsermächtigung für alle „berührten und interessierten Ärzte” gemeint ist. Nach der Rechtsprechung des Senats steht fest, daß die im ärztlichen Berufsrecht wurzelnden Fachgebietsabgrenzungen den einzelnen Arzt auch in seiner Eigenschaft als Kassen- bzw Vertragsarzt binden (BSG SozR 2200 § 368a Nr 20). Die in den Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern enthaltenen Beschreibungen der einzelnen ärztlichen Fachgebiete und ihre darauf beruhende Abgrenzung voneinander sind für alle Kammermitglieder verbindlich und gelten prinzipiell auch für neue Diagnosemethoden. Aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt sich ergeben könnte, für neue Diagnosemethoden könnten Fachgebietsgrenzen generell aufgehoben sein, bis verbindlich (von wem?, in welcher Form?) geklärt ist, welchem Fachgebiet ein neues Diagnoseverfahren zuzuordnen ist, legt der Kläger nicht dar.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174226

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