Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.07.2021; Aktenzeichen L 3 AS 1027/19)

SG Heilbronn (Urteil vom 13.02.2019; Aktenzeichen S 7 AS 1912/17)

 

Tenor

Die Beschwerden der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Juli 2021 werden als unzulässig verworfen.

Die Anträge der Klägerinnen, ihnen zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen, werden abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig, weil die Klägerinnen die von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe einer grundsätzlichen Bedeutung und einer Divergenz nicht in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet haben (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerden sind daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Daran fehlt es.

Die Beschwerdebegründung der Klägerinnen wird diesen Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Sie begehren in der Sache höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für Bedarfe für Unterkunft und Heizung, weil sie das von Beklagtem und LSG zugrunde gelegte Konzept zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten für unrichtig halten. Die vier aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen die für die Ermittlung der Angemessenheitswerte herangezogenen Datenbanken und die Überprüfung dieser Daten. Es ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei diesen Fragen überhaupt um abstrakt-generelle, aus sich heraus verständliche Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht handelt (vgl zu diesen Anforderungen Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160a RdNr 94 ff mwN). Alle Fragen beziehen sich eher auf tatsächliche Umstände des vorliegenden Einzelfalles, nämlich auf die Würdigung konkret herangezogener Daten in einem erstellten Konzept zur Angemessenheit von Unterkunftskosten. Die Beschwerde nennt als einschlägige Rechtsnorm zwar § 22 SGB II, macht aber nicht deutlich, warum sich die Fragen auf die Auslegung eines Tatbestandmerkmals dieser Norm und nicht auf die Subsumtion beziehen.

Dies kann dahinstehen, denn jedenfalls fehlt es an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit der Fragen. Es besteht umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Angemessen heit der Kosten der Unterkunft, auch dazu, welche Daten Grundlage eines schlüssigen Konzepts sein müssen, welche Anforderungen an diese Daten zu stellen sind und in welcher Weise ein Konzept möglicherweise nachgebessert werden kann (vgl - die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend - BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 10/18 R, B 14 AS 41/18 R, B 14 AS 12/18 R, B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101; zuletzt Senatsurteil vom 5.8.2021 - B 4 AS 82/20 R - vorgesehen für SozR 4). Die Beschwerde geht auf diese Rechtsprechung nur am Rande ein und zeigt insbesondere nicht auf, warum sich die aufgeworfenen Fragen anhand dieser Rechtsprechung nicht beantworten lassen. Das Vorbringen, dass das BSG "bisher keine entsprechende Entscheidung zu § 22 SGB II getroffen" habe, wird den Darlegungsanforderungen nicht gerecht.

2. Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 119).

Auch diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Bei den zitierten Aussagen des LSG, die als divergierende Rechtssätze benannt werden, handelt es sich schon nicht um abstrakte Rechtssätze, sondern um die Würdigung konkreter tatsächlicher Umstände im Einzelfall. Damit, dass sich das LSG in seinen Obersätzen demgegenüber stets auf Entscheidungen des BSG gestützt, also ausdrücklich gerade keine anderen rechtlichen Maßstäbe entwickelt hat, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Soweit die Beschwerde meint, dass das Urteil des LSG anders ausgefallen wäre, wenn es sich an die Rechtsprechung des BSG gehalten hätte, wird daraus deutlich, dass sie sich tatsächlich nicht auf fehlende Übereinstimmungen im Grundsätzlichen, sondern auf eine behauptete Unrichtigkeit im vorliegenden Einzelfall eines konkreten Konzepts stützt und damit gegen die Rechtsanwendung des LSG. Indessen können mögliche Fehler der Rechtsanwendung im Einzelfall die Zulassung einer Revision nicht rechtfertigen (vgl Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160a RdNr 73 ff; so - ebenfalls im Zusammenhang mit der Würdigung eines schlüssigen Konzepts - bereits Senatsbeschluss vom 11.5.2020 - B 4 AS 2/20 B - RdNr 11).

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO), ist den Klägerinnen auch keine PKH zu bewilligen. Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meßling

Burkiczak

Söhngen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15098636

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