Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.10.2022; Aktenzeichen L 3 U 181/21)

SG Hannover (Entscheidung vom 30.08.2021; Aktenzeichen S 22 U 9/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Oktober 2022 - L 3 U 181/21 - wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit noch darüber, ob beim Kläger Kniebeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach Nr 2102 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen sind.

Die im Anschluss an ein erfolgloses Verwaltungsverfahren erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.8.2021). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26.10.2022).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

a) Soweit der Kläger rügt, dass die Zurückweisung der Berufung aufgrund mangelnder Beweiserhebung durch das LSG erfolgte, macht er eine unzureichende Sachaufklärung (§ 103 SGG) geltend. Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme erkannt hätte (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Diese Warnfunktion des Beweisantrags verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind (zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Ebenso sind bloße Beweisanregungen im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Sachaufklärungsrüge (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) nicht ausreichend (zB BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN; allg zur Abgrenzung eines Beweisantrags von einer unbeachtlichen Beweisanregung BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 = juris RdNr 4).

So liegt es hier, wenn die Beschwerdebegründung pauschal auf den gesamten vorinstanzlichen Vortrag Bezug nimmt. Eine substantiierte Darlegung der maßgeblichen Tatsachen gehört zu den Mindestanforderungen an die Bezeichnung eines gerügten Verfahrensmangels. Denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die entscheidungserheblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (zB BSG Beschluss vom 15.12.2022 - B 2 U 4/22 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 31.5.2022 - B 2 U 120/21 B - juris RdNr 5 mwN). Nicht ausreichend ist ferner, wenn der Kläger auf einen Hinweis in der mündlichen Verhandlung zur Einvernahme des Betriebsarztes abstellt. Er legt nicht dar, dass es sich hierbei um einen für eine Sachaufklärungsrüge erforderlichen prozesskonformen förmlichen Beweisantrag und nicht nur um eine unbeachtliche Beweisanregung gehandelt hat.

Unabhängig davon legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar, dass das LSG dem Hinweis zur Vernehmung des Betriebsarztes ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt ist. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung indes keinerlei Vortrag. Sie zeigt insbesondere nicht den maßgeblichen sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG auf. Erforderlich wäre die Darstellung des vom LSG festgestellten (§ 163 SGG) entscheidungserheblichen Sachverhaltes einschließlich der Verfahrensgeschichte gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten (zB BSG Beschluss vom 1.12.2022 - B 2 U 67/22 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 8 mwN). Die pauschale Bezugnahme der Beschwerdebegründung auf das vorinstanzliche Vorbringen genügt hierfür nicht. Nicht maßgeblich sind dagegen Ausführungen dazu, dass der Kläger aus seiner Sicht weiteren Aufklärungsbedarf durch Vernehmung des Betriebsarztes angenommen hat. Soweit er sich damit auch gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz wendet, vermag dies die Zulassung der Revision ohnehin nicht zu begründen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).

b) Mit der Rüge, dass der Betriebsarzt des Klägers nicht gehört worden sei, bezeichnet die Beschwerdebegründung auch keinen Verfahrensmangel wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG). Dieses Vorbringen richtet sich hier gegen die Sachaufklärung des LSG (§ 103 SGG). Dadurch, dass die Beschwerdebegründung diese Rüge zusätzlich formal in das Gewand einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) kleidet, können die Anforderungen an die geltend gemachte Aufklärungsrüge nicht umgangen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos

Karmanski

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15718892

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