Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 11.04.2017; Aktenzeichen L 10 SB 37/15) |
SG Hannover (Entscheidung vom 26.02.2015; Aktenzeichen S 40 SB 18/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. April 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 11.4.2017 hat das LSG Niedersachen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 verneint. Dem Kläger stehe gemäß §§ 44 Abs 1, 48 Abs 1 SGB X iVm § 69 Abs 1 SGB IX kein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 80 ab August 2010 zu. Nach Aktenlage lasse sich bei dem Kläger für die koronare Herzerkrankung bei Bluthochdruck kein höherer Einzel-GdB als 10 feststellen. Bei der vom Universitätsklinikum Greifswald am 11.12.2013 festgestellten mittelgradigen Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit handle es sich um einen einmaligen Befund, der im Übrigen ausdrücklich vorläufig und unter Vorbehalt erhoben worden sei. Die Feststellung eines GdB setze jedoch eine nicht nur vorübergehende, das heißt eine sich über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten erstreckende, Gesundheitsstörung voraus. Folglich könne allein auf Grund dieses einmaligen Befundes nicht von einer wesentlichen, den Gesamt-GdB erhöhenden, kardiopulmonalen Leistungsminderung ausgegangen werden. Dies entspreche auch der Einschätzung des Sachverständigen Dr. Meinecke in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8.1.2017. Dessen Ausführungen sei im Ergebnis zu folgen. Ferner ergäben sich nach Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine Höherbewertung der übrigen bei dem Kläger festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen sowie für das Hinzutreten neuer, sich auf den Gesamt-GdB erhöhend auswirkender Gesundheitsbeeinträchtigungen. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen sei dem Gericht auf Grund fehlender Mitwirkung des Klägers nicht möglich. Auch sei das Land Niedersachsen entgegen der Auffassung des Klägers zu Recht aus dem Rechtsstreit entlassen worden, da durch den Wohnortwechsel des Klägers im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ein gesetzlicher Beklagtenwechsel eingetreten sei. Hiergegen wende sich der Kläger auch nicht mehr.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.
Das LSG habe den medizinischen Sachverhalt, welcher vorgetragen und aktenkundig sei, im entscheidungserheblichen Umfang nicht zur Kenntnis genommen. Der Behauptung des LSG, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen auf Grund fehlender Mitwirkung des Klägers nicht möglich gewesen sei, werde entschieden widersprochen. Weiterhin beruhe das Urteil des LSG auf einem Sachverständigengutachten des Dr. Meinecke, der ganz offensichtlich befangen gewesen sei, da er ein unschlüssiges Gutachten erstellt und dem Kläger einen unzulässigen Rat erteilt habe. Der gegen den Sachverständigen gerichtete Befangenheitsantrag sei durch das LSG in unzulässiger Art und Weise abgewiesen worden. Das LSG habe dem Kläger diesbezüglich auch keine Gelegenheit zur Anfechtung seiner Entscheidung vom 6.4.2017 gewährt, da ihm schon einen Tag nach der am 11.4.2017 erfolgen Zustellung dieses Ablehnungsbeschlusses das fertige Urteil zugestellt worden sei. Schließlich leide das Urteil des LSG an einem unauflöslichen Widerspruch und verstoße gegen Denkgesetze.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassung darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
a) Mit seinen Ausführungen hat der Kläger einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Nach § 160a Abs 2 S 3 SGG müssen die einen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen substantiiert dargetan, im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hier fehlt es bereits an der Entscheidungserheblichkeit des Vorbringens. Insoweit hätte der Kläger ua Ausführungen dazu machen müssen, weshalb bei einer Berücksichtigung weiterer funktioneller Einschränkungen die Einzel-GdB-Werte nach der Rechtsauffassung des LSG höher ausfallen müssten mit der Folge, dass der Gesamt-GdB nach der Rechtsauffassung des LSG mit 100 einzuschätzen gewesen wäre. Hierzu hätte sich die Beschwerdebegründung mit den rechtlichen Voraussetzungen nach §§ 44 Abs 1, 48 Abs 1 SGB X iVm § 69 Abs 1 SGB IX und der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 zur Feststellung des GdB beschäftigen müssen und hiervon ausgehend das entscheidungsrelevante Vorbringen aufzeigen müssen das infolge verfahrensfehlerhafter Vorgehensweise des LSG unberücksichtigt geblieben ist und ggf die Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen in Frage stellen müssen. Daran fehlt es.
b) Selbst wenn man eine fehlerhafte Sachaufklärung durch das LSG als ausreichend dargelegt annehmen wollte, so genügt - mangels Beweisantrages - auch dieses Vorbringen nicht. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereiteten Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie hier - sind die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob sie einen schriftlichen Beweisantrag gestellt oder zu erkennen gegeben haben, dass sie eine weitere Sachaufklärung für erforderlich halten (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5, 6). Wird ein Verfahren - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, so ist ein zuvor gestellter Antrag dann nicht mehr aufrecht erhalten, wenn sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklären, ohne den zuvor bereits formulierten Beweisantrag gleichzeitig zu wiederholen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 74 mwN). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen, er behauptet selbst nicht, einen entsprechenden Beweisantrag gestellt oder ein Ermittlungsbegehren geäußert zu haben. Auch ein mögliches Beweisverwertungsverbot des Gutachtens (vgl hierzu: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 118 RdNr 12n mwN) des Sachverständigen Dr. Meinecke hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt, da nach seinem eigenen Vortrag der insoweit gestellte Befangenheitsantrag vom LSG mit Beschluss vom 6.4.2017 abgelehnt worden ist. Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Eine willkürliche Ablehnung durch das LSG oder manipulative Erwägungen legt der Kläger nicht dar (vgl hierzu insgesamt auch: Leopold in Roos/Wahrendorf, SGG 2014, § 118 RdNr 121 mwN).
2. Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) durch das LSG darin sieht, dass dieses seine drei Schriftsätze vom 1.12.2016, 19.2.2017 und 28.2.2017 sowie den von ihm vorgetragenen medizinischen Sachverhalt nicht zur Kenntnis genommen habe und gegen Denkgesetze verstoße, genügt sein Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Mit der Behauptung, das LSG habe sich mit seinem Vorbringen zum medizinischen Sachverhalt und an der Kritik des Sachverständigen Dr. Meinecke und dessen Gutachten nicht hinreichend auseinander gesetzt und verstoße gegen Denkgesetze, wird eine Verletzung des § 62 SGG nicht ausreichend dargestellt. Der Kläger kritisiert, dass das Gericht und der Gutachter nur die koronare Erkrankung erfasst hätten und hierbei auch nur das "gute Ergebnis" der erfolgreich implantierten vier Stents registriert hätten, während die zweite Koronararterie zu 100 % verschlossen sei und wegen eines Herzrissrisikos nicht operabel sei. Insoweit hat der Kläger aber versäumt, konkrete erläuterungsbedürftige Punkte zu benennen, wegen derer ein weiterer Aufklärungsbedarf bestanden haben könnte und dass diese Fragen objektiv sachdienlich und auch nach Zustimmung zur Durchführung der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrechterhalten worden sind (s dazu unter II 1 b). Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte der Kläger substantiiert vortragen müssen, dass es sich bei seinem Vortrag um den Kernvortrag handelt und dass das LSG auch ausgehend von seiner Rechtsansicht sich damit hätte befassen müssen. Daran fehlt es. Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung durch das LSG, welche aber gerade nach § 128 Abs 1 S 1 SGG einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen ist. Auch legt der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - nicht die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Gesamt-GdB dar und führt aus, weshalb auch nach der Rechtsauffassung des LSG nach den bei ihm tatsächlich bestehenden funktionellen Einschränkungen ein GdB von 100 erfolgen müsste. Ferner legt der Kläger auch nicht dar, dass er alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN).
Soweit der Kläger im Beschwerdeverfahren erneut den durch den Wohnortwechsel erfolgten Beklagtenwechsel für unzulässig erachtet, so hat er dies entgegen der Rechtsprechung des Senats (vgl BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 - Juris RdNr 13) lediglich behauptet und nicht unter Auswertung der hierzu ergangenen Rechtsprechung schlüssig dargelegt, weshalb in seinem Fall der gesetzliche Beklagtenwechsel im Falle einer Feststellungsklage unzulässig sein soll.
Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11261229 |