Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 05.08.2019; Aktenzeichen S 10 R 2194/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.06.2020; Aktenzeichen L 8 R 2853/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 26.6.2020 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint, weil die medizinischen Voraussetzungen erstmals für April 2015 nachgewiesen seien, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch letztmalig im Januar 2012 erfüllt gewesen seien.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensmängel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. Die Beschwerdebegründung vom 14.10.2020 genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 45/20 B - juris RdNr 5).
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
"ob nach Einholung eines von der Klägerin beantragten Gutachtens nach § 109 SGG noch ein weiterer Beweisantrag zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten werden muss, um die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes überhaupt erst geltend machen zu können".
Unabhängig davon, ob es sich insoweit um eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG handelt, zeigt die Klägerin deren Klärungsfähigkeit nicht auf. Dazu wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste (vgl BSG Beschluss vom 28.8.2020 - B 1 KR 31/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 - juris RdNr 7 f). Insoweit hätte die Klägerin dartun müssen, dass das Revisionsgericht gerade nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage sein wird, über die Rechtsfrage auch sachlich zu entscheiden (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 324 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 9). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht, denn die Klägerin zeigt nicht auf, dass sich die formulierte Frage nicht ausschließlich auf die Voraussetzungen der Revisionszulassung als solcher bezieht, die in dem nach erfolgter Zulassung und Einlegung der Revision durchzuführenden Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen sind.
2. Die Beschwerdebegründung genügt zudem nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 4). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG). Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN).
a) Vorliegend hat die Klägerin den mit der Beschwerdebegründung ausschließlich gerügten Verfahrensmangel wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) nicht formgerecht bezeichnet. Vielmehr räumt sie ausdrücklich ein, nach Erstattung des von ihr nach § 109 SGG beantragten Gutachtens des Sachverständigen M keinen weiteren Beweisantrag gestellt zu haben. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin kann auf das Erfordernis der Bezeichnung eines Beweisantrags auch nach einem vorangegangenen Gutachten nach § 109 SGG nicht verzichtet werden. Nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG soll die Übergehung von Beweisanträgen die Revisionsinstanz nämlich nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch den Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass der Beteiligte die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG Beschluss vom 11.11.2020 - B 3 KR 33/20 B - juris RdNr 6). Dass ein Antrag nach § 109 SGG, dem das Berufungsgericht durch Einholung des beantragten Gutachtens vollständig nachgekommen ist, dem Gericht auch danach noch hinreichend verdeutlichen könnte, dass der Beteiligte weitere Sachaufklärung für notwendig erachtet, ist nicht erkennbar.
b) Soweit die Klägerin mit der Beschwerdebegründung bemängelt, dass das LSG dem Gutachten des Sachverständigen M nicht gefolgt ist und sich im Ergebnis dem bereits in erster Instanz eingeholten Gutachten angeschlossen hat, wird auch damit kein Verfahrensmangel formgerecht bezeichnet.
Es ist Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 8). Auf eine vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung kann - wie bereits dargestellt - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der der Revision nicht gestützt werden, was § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich klarstellt. Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14476477 |