Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
1. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob der Tatrichter von der in den ärztlichen Gutachten vorgenommenen Schätzung der MdE völlig unabhängig ist, bzw wie die Abgrenzung zwischen dem Ergebnis der ärztlichen Meinungsäußerung und der Schätzung der MdE durch das Gericht vorzunehmen ist.
2. Die Bewertung der MdE ist nicht die eigentliche Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen. Dessen Sachkunde beziehe sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, hätten keine bindende Wirkung; sie seien jedoch eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, wegen der Folgen einer 1969/70 erlittenen Mumpsmeningitis Verletztenrente zu erhalten, ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 25. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1985; Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 9. Juni 1986 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 19. Januar 1989). Das LSG ist aufgrund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht in rentenberechtigendem Grad gemindert. Angesichts der divergierenden Äußerungen der ärztlichen Sachverständigen habe das Gericht die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vornehmen müssen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung. Ferner sei das LSG von den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. November 1956 (BSGE 4, 147, 149) und vom 17. Dezember 1975 (BSG SozR 2200 § 581 Nr 5) abgewichen. Schließlich leide das angefochtene Urteil an Verfahrensfehlern, weil das LSG gegen Denkgesetze verstoßen und die Amtsermittlungspflicht vernachlässigt habe. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob der Tatrichter von der in den ärztlichen Gutachten vorgenommenen Schätzung der MdE völlig unabhängig sei, bzw wie die Abgrenzung zwischen dem Ergebnis der ärztlichen Meinungsäußerung und der Schätzung der MdE durch das Gericht vorzunehmen sei. Die Divergenz sei darin zu sehen, daß das LSG ausgesprochen habe, "die Bemessung der MdE liege allein in der Kompetenz des Gerichts". Dieser Satz sei in den zitierten Urteilen des BSG nicht enthalten. Gegen die Denkgesetze habe das LSG insofern verstoßen, als es die von Prof. Dr. Sch vorgenommene MdE-Bewertung für nicht näher begründet erachtet und die von Prof. Dr. S vorgenommene Einschätzung als quantitativ ungenau kritisiert habe, obwohl diese Sachverständigen nachvollziehbare Kriterien angeführt hätten.
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Erfordernissen.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht - ausreichend - geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSG Beschluß vom 9. Dezember 1988 - 2 BU 97/88 -). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Im Gegenteil: Aus der Bezugnahme auf die Entscheidungen des BSG vom 29. November 1956 und 17. Dezember 1975 (aaO) ergibt sich gerade, daß die für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage bereits ausreichend beantwortet ist. In jenen Urteilen hat das BSG grundsätzlich entschieden, daß die Bewertung der MdE nicht die eigentliche Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist. Dessen Sachkunde bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine bindende Wirkung; sie sind jedoch eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE. Aus diesen Ausführungen des BSG ergibt sich auch, daß die behauptete Divergenz nicht vorliegt. Das LSG hat die tragenden Rechtssätze der genannten Entscheidungen in ihren hier bedeutsamen Passagen nicht nur teilweise wörtlich wiedergegeben, sondern sie ihrem Inhalt entsprechend angewandt. Aus der zusätzlichen Formulierung des LSG - "Die Bemessung der MdE liegt vielmehr allein in der Kompetenz des Gerichts" - kann nicht auf eine Divergenz geschlossen werden. Sie ist im Kontext mit den übrigen Ausführungen des angefochtenen Urteils zu sehen und bezieht sich nicht etwa auf die Unbeachtlichkeit der gutachterlichen Aussagen, sondern auf die auch vom BSG hervorgehobene Ausübung des Rechts des Tatsachengerichts, nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung zu entscheiden (vgl BSGE 4, 147, 149, 2. Absatz, 2. Satz).
Soweit die Beschwerde im übrigen geltend macht, das LSG habe aus den ärztlichen Gutachten denkgesetzlich nicht haltbare Schlußfolgerungen gezogen, rügt sie eine unzutreffende Beweiswürdigung durch das Gericht. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann ein Verfahrensmangel aber ebensowenig gestützt werden (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 26) wie auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG), wenn, wie hier, kein Beweisantrag bezeichnet worden ist, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sein soll (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen