Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge. Divergenz
Orientierungssatz
1. Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liegt nur vor, wenn infolge einer unrichtigen Anwendung oder infolge Nichtanwendung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift das Verfahren des LSG fehlerhaft geworden ist (vgl BSG vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 = BSGE 2, 81 = juris RdNr 4).
2. Eine Divergenz im sozialgerichtlichen Verfahren kann lediglich auf die Abweichung von einer Entscheidung der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG abschließend genannten Gerichte und nicht auch anderer Bundesgerichte gestützt werden (vgl BSG vom 30.10.2019 - B 6 KA 22/19 B = juris RdNr 5 mwN).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB X § 20
Verfahrensgang
SG Chemnitz (Urteil vom 29.11.2016; Aktenzeichen S 11 P 206/14) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 16.12.2020; Aktenzeichen L 1 P 32/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Beitragserhebung zur sozialen Pflegeversicherung auf die Kapitalauszahlung einer betrieblichen Altersversorgung.
Der 1944 geborene Kläger ist seit 2006 in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert und bei der Beklagten Mitglied. Im September 2008 erhielt er eine Auszahlung in Höhe von 38 172,37 Euro aus einer Direktversicherung, die 1991 durch seinen damaligen Arbeitgeber abgeschlossen worden war. Die Beitragszahlungen erfolgten zunächst im Wege der Gehaltsumwandlung. Mit Vertragsänderung vom 17.8.2001 wurde der Kläger anstelle des Arbeitgebers Versicherungsnehmer. Die Krankenkasse berücksichtigte - im Namen der beklagten Pflegekasse - bei der Beitragsbemessung zur sozialen Pflegeversicherung ab Oktober 2008 für einen Zeitraum von zehn Jahren monatlich 1/120 der ausgezahlten Kapitalleistung, die sie zuletzt auf der Grundlage einer prämienratierlichen Berechnung in Höhe von 22 454,34 Euro zur Verbeitragung heranzog (Änderungsbescheid vom 24.6.2014; Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014). Das SG hat die Klage hinsichtlich der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung abgetrennt und abgewiesen (Urteil vom 29.11.2016), das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Das Vorbringen des Klägers, er falle als Gesellschafter-Geschäftsführer und damit mangels Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis nicht in den Schutzbereich des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG), sei nicht relevant; der beitragsrechtliche Begriff der "betrieblichen Altersversorgung" sei ohne Bindung an die Legaldefinition des BetrAVG auszulegen. Nur ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass er mit einem Gesellschafteranteil von nur 20 % (später 25 %) Beschäftigter gewesen sei und der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Die prämienratierliche Berechnung entspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung und sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Urteil vom 16.12.2020). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Die Begründung des Klägers erfüllt diese Darlegungsanforderungen nicht.
a) Er rügt die Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) und des behördlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 20 SGB X). Weder im behördlichen noch im sozialgerichtlichen Verfahren sei seine Gesellschafter-Geschäftsführerstellung einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung unterzogen worden. Das LSG habe ihn im Gegensatz zum SG zumindest angehört, weitergehende Ermittlungen aber lapidar als nicht relevant zurückgewiesen. Außerdem habe die Beklagte nicht einmal die Vertragsunterlagen der Direktversicherung angefordert.
Mit diesen Ausführungen genügt der in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretene Kläger nicht den Anforderungen an eine zulässige Sachaufklärungsrüge. Eine solche erfordert die Darlegung, dass das LSG einem bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Der Kläger zeigt in seiner Beschwerdebegründung aber weder auf, einen bestimmten Beweisantrag gestellt zu haben, noch, aus welchen Gründen sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (vgl BSG Beschluss vom 20.8.2020 - B 12 KR 15/20 B - juris RdNr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 f).
Soweit der Kläger der Beklagten eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 20 SGB X) vorwirft, handelt es sich nicht um einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Ein solcher Mangel liegt nur vor, wenn infolge einer unrichtigen Anwendung oder infolge Nichtanwendung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift das Verfahren des LSG fehlerhaft geworden ist (vgl bereits BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4). Der Kläger bemängelt demgegenüber das verfahrensrechtliche Vorgehen der Beklagten. Sollte er damit rügen wollen, das LSG habe zu Unrecht das Vorgehen der Beklagten gebilligt, würde es sich um die Geltendmachung der vermeintlich inhaltlichen Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung handeln. Hierauf kann aber eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
b) Zu der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt der Kläger nichts weiter aus. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (vgl BSG Beschluss vom 14.12.2020 - B 12 R 29/20 B - juris RdNr 10).
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Eine solche Abweichung hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
Soweit er ausführt, das Berufungsgericht sei von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs abgewichen, hat er eine Divergenz nicht hinreichend bezeichnet. Denn eine Divergenz im sozialgerichtlichen Verfahren kann lediglich auf die Abweichung von einer Entscheidung der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG abschließend genannten Gerichte und nicht auch anderer Bundesgerichte gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 30.10.2019 - B 6 KA 22/19 B - juris RdNr 5 mwN).
Auch die Rüge, das LSG sei von einer Entscheidung des BVerfG (Beschlüsse vom 27.6.2018 - 1 BvR 100/15 und 1 BvR 249/15 - SozR 4-2500 § 229 Nr 27) abgewichen, entspricht nicht den Darlegungsanforderungen. Der Kläger zitiert eine Textpassage aus der Entscheidung des BVerfG, stellt dem aber nicht - wie erforderlich - einen bestimmten Rechtssatz des LSG gegenüber. Soweit er die prämienratierliche Berechnung des LSG im Ergebnis für nicht zutreffend hält, weil sie mit den zitierten Ausführungen des BVerfG nicht in Einklang zu bringen sei, greift er letztlich die Richtigkeit des Berufungsurteils an. Mit der Behauptung, eine Entscheidung des LSG entspreche nicht den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung und sei inhaltlich fehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision aber nicht erreichen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14892288 |