Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Apothekenrabatt. Patientenzuzahlungsbeträge
Leitsatz (redaktionell)
Die Prüfgremien müssen grundsätzlich den Apothekenrabatt und die Patientenzuzahlungsbeträge bei der Festsetzung von Arzneikostenregressen berücksichtigen, können davon jedoch absehen, wenn sie den betroffenen Ärzten eine Überschreitung der Verordnungskosten oberhalb der festgelegten Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis belassen, also den als unwirtschaftlich festgestellten Mehraufwand nicht in vollem Umfang abschöpfen.
Normenkette
SGB V § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2001 wird verworfen.
Der Kläger hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der als Arzt für Urologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Arzneikostenregresse für die Quartale II/1993 bis I/1994 in Höhe von 31.478,11 DM. In den streitbefangenen Quartalen überschritten seine Verordnungskosten den Durchschnitt der Arztgruppe um 84 %, 116 %, 85 % und 85 %. Der beklagte Beschwerdeausschuss setzte Regresse in Höhe von 7,5 % bzw 13,5 % (im Quartal III/1993) fest und führte die Überschreitungen des Klägers damit auf 71 % gegenüber dem Fachgruppendurchschnitt zurück.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger die Abweichung des Berufungsurteils von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und macht die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe.
Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG gerügt, so ist die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu „bezeichnen”. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger entnimmt dem Berufungsurteil den Rechtssatz, bei Festsetzung von Arzneikostenregressen seien Abzüge für Apothekenrabatt und Patienteneigenanteile nicht vorzunehmen, wenn die Prüfgremien den betroffenen Ärzten eine Überschreitung der Verordnungskosten oberhalb der festgelegten Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis belassen haben. Diese Rechtsauffassungen seien mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Januar 1997 – 6 RKa 5/96 – (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 38) unvereinbar. In seinem Urteil vom 29. Januar 1997 hat der Senat ausgeführt, dass die Prüfgremien grundsätzlich den Apothekenrabatt und die Patientenzuzahlungsbeträge bei der Festsetzung von Arzneikostenregressen berücksichtigen müssen, dass sie davon jedoch absehen können, wenn sie den betroffenen Ärzten eine Überschreitung der Verordnungskosten oberhalb der festgelegten Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis belassen, also den als unwirtschaftlich festgestellten Mehraufwand nicht in vollem Umfang abschöpfen (aaO S 212/213; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 269). Inwieweit das Landessozialgericht (LSG) von dieser Rechtsprechung abgewichen sein könnte, ist aus der Beschwerdebegründung nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen des LSG hat der beklagte Beschwerdeausschuss die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts der Verordnungskosten pro Fall um 50 % gesehen und dem Kläger gleichwohl Restüberschreitungen von 71 % gegenüber den durchschnittlichen Verordnungskosten seiner Fachgruppe belassen. Dass das Berufungsgericht durch die Billigung dieser Grenzziehungen von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein könnte, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit sie auf die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen gestützt wird. Für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ist gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich, dass in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage in eigener Formulierung klar aufgezeigt sowie dargelegt wird, inwiefern diese Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hält zunächst für grundsätzlich bedeutsam, ob der statistische Fallkostenvergleich aussagekräftig ist, wenn die zu Grunde liegenden Daten unzutreffend ermittelt wurden, weil neben den Arzneiverordnungen auch Heil- und Hilfsmittelverordnungen erfasst worden sind. Die Beschwerdebegründung legt jedoch nicht dar, inwieweit diese Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre und weshalb ihr Bedeutung über den Einzelfall des Klägers, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unzulässigerweise Heil- und Hilfsmittel als Arzneimittel verordnet hat, zukommen könnte. Entscheidungserheblich wäre die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage allenfalls dann, wenn Anlass für die Annahme bestünde, bei Herausrechnung der Kosten für die unzulässigerweise als Arzneimittel verordneten Heil- und Hilfsmittel könne der durchschnittliche Arzneikostenaufwand des Klägers in Relation zur Fachgruppe deutlich sinken. Das ist nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts aber ausgeschlossen, weil für die auf einigen Rezepten verordneten Heil- und Hilfsmittel Kosten nur in Höhe zwischen 798,00 DM und 1.996,00 DM pro Quartal angefallen sind. Im Hinblick auf die vom Kläger verursachten Arzneikosten in den hier streitbefangenen Quartalen würden nach Herausrechnen der auf die Heil- und Hilfsmittel entfallenden Kosten die Überschreitungswerte lediglich um wenige Prozentpunkte zurückgehen und immer noch weit im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liegen. Im Übrigen setzt sich der Kläger nicht mit dem Einwand des Berufungsgerichts auseinander, er sei durch die Einbeziehung der fehlerhaft verordneten Heil- und Hilfsmittel in die Arzneikosten im Ergebnis nicht beschwert, weil er für diese unzulässigen Verordnungen ohnehin hätte in Regress genommen werden können.
Weiterhin hält der Kläger für grundsätzlich bedeutsam, ob ein von einem Arzneiregress betroffener Vertragsarzt relevanten Tatsachenvortrag zum Vorwurf einer angeblich unwirtschaftlichen Verordnungsweise noch im Berufungsverfahren vorbringen könne, wenn er zuvor aus tatsächlichen Gründen gehindert gewesen sei, dazu etwas vorzutragen. Die Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage ist jedoch nicht hinreichend dargetan. Das Vorbringen des Klägers zielt auf den Umstand ab, dass er im Berufungsverfahren seinen Hinweis auf die Vielzahl der von ihm behandelten schwerkranken Patienten durch den Vortrag untermauert hat, zahlreiche dieser Patienten seien in späteren Quartalen verstorben. Das habe zur Folge gehabt, dass die von ihm verursachten Arzneikosten stark zurückgegangen und zwischenzeitlich sogar den Durchschnitt der Gebietsgruppe unterschritten hätten. Diesem Einwand ist das Berufungsgericht mit einer zweifachen Begründung nicht gefolgt. Es hat zum einen ausgeführt, mit dem Hinweis auf die Vielzahl der schwerkranken und bis 1999 verstorbenen Patienten habe der Kläger keine „rechtserhebliche Praxisbesonderheit” dargelegt. Ergänzend hat das LSG seine Entscheidung damit begründet, dass aus diesem Vorbringen im Berufungsverfahren keine Rechtswidrigkeit des Bescheides des Beklagten hergeleitet werden könne. Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, inwieweit die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Hinweis eines Urologen auf eine größere Zahl von tumorkranken Patienten in seiner Praxis reiche für die substantiierte Darlegung einer Praxisbesonderheit nicht aus, angesichts der Rechtsprechung des Senats zu den Praxisbesonderheiten (vgl etwa BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 240) der Überprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf. Deshalb käme es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, inwieweit Umstände aus der Zeit nach Zustellung des angefochtenen Bescheides zu dessen Rechtswidrigkeit führen könnten, nicht an. Ist ein Berufungsurteil zu einer entscheidungserheblichen Frage auf zwei selbständige Begründungen gestützt, von denen jede für sich die Entscheidung trägt, müssen für beide Begründungen die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung erfüllt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 38 S 55; Beschluss vom 13. November 1996 – 6 BKa 40/95 –; Hennig, SGG, § 160a RdNr 207, mwN). Diesem Erfordernis trägt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend Rechnung.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung).
Fundstellen