Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.05.1987; Aktenzeichen L 16 Kr 107/86) |
Tenor
Der Antrag des Klägers/Revisionsklägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung der Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1987 – L 16 Kr 107/86 – wird abgelehnt.
Gründe
Der Kläger begehrt von der Beklagten, der er als versicherungspflichtiges Mitglied angehört, die Freistellung von der Zahlung des Krankenkostenanteiles für die Zeit seiner stationären Behandlung im Westfälischen Landeskrankenhaus Münster vom 10. April bis 19. April 1985.
Der am 10. November 1962 geborene Kläger wurde in der Zeit vom 10. April 1985 bis 19. April 1985 im Westfälischen Landeskrankenhaus in Münster, dessen Träger der Beigeladene ist, stationär behandelt. Der Neurologe und Psychiater Dr. Neumann aus Rheine hatte am 10. April 1985 wegen neurologischer und psychischer Störungen bei chronischer Intoxikation und weil ambulante Behandlungen nicht ausreichend waren, Krankenhauspflege angeordnet. Am 20. April 1985 wurde der Kläger ins St. Antonius-Krankenhaus, Fachkrankenhaus für Entgiftung in Hörste, verlegt. Dort blieb er bis zum 1. Juni 1985. Für die 10-tägige stationäre Behandlung im Westfälischen Landeskrankenhaus in Münster wurde der Kläger seitens des Krankenhauses mit einem Betrag von 50,– DM belastet (5,– DM pro Aufenthaltstag). Zur Zeit der stationären Behandlung bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von 142,20 DM wöchentlich. Am 19. April 1985 beantragte der damalige Vormund des Klägers die Befreiung von der Zuzahlungspflicht wegen des geringen Einkommens des Klägers. Mit Bescheid vom 20. September 1985 lehnte die Beklagte die Befreiung von der Zuzahlungspflicht ab: Eine Härtefallregelung sehe § 184 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vor; der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß während eines vollstationären Krankenhausaufenthaltes eine häusliche Ersparnis zumindest in Höhe des Zuzahlungsbetrages eintrete, die Entrichtung des Eigenanteils in Höhe von höchstens 70,– DM jährlich also in jedem Fall zumutbar sei. Hiergegen legte der Kläger am 21. September 1985 Widerspruch ein: In verfassungskonformer Auslegung des § 184 Abs 3 RVO sei eine Befreiung in Härtefällen anzuordnen; wer ins Krankenhaus gehe, dem entstünden eher zusätzliche Kosten, die durch die häusliche Ersparnis aufgefangen würden. Zur Begründung ihres ablehnenden Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1985 führte die Beklagte weiterhin aus, auch im Hinblick auf die Begrenzung auf 14 Tage habe sich der Gesetzgeber nicht veranlaßt gesehen, eine Härteregelung einzuführen.
Der Versicherte hat Klage erhoben. Mit Urteil vom 19. August 1986 hat das Sozialgericht (SG) Münster den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger von der Zuzahlung zum Krankenhausaufenthalt in Höhe von 50,– DM freizustellen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: In entsprechender Anwendung der §§ 182, 182c Abs 3, insbesondere 184a Abs 2 und 187 Abs 5 RVO sei die in diesen Bestimmungen enthaltene Härteregelung auf den normalen Krankenhausaufenthalt nach § 184 RVO auszudehnen. Das Argument, bei einem Krankenhausaufenthalt würden häusliche Ersparungen eintreten, sei nicht überzeugend, denn nach § 184a RVO sei in der gleichen Situation eine Härteregelung geschaffen worden. Bei dem Kläger liege ein Härtefall vor, denn er beziehe vom Sozialhilfeträger laufende Leistungen zum Lebensunterhalt. Das SG hat die Berufung und Revision zugelassen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen; die Revision wurde zugelassen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Befreiung von der Zuzahlungspflicht nach § 184a Abs 2 Satz 4 RVO (Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen). Jedenfalls gelte diese Befreiungsmöglichkeit nicht, wenn die konkret erbrachte Leistung mit Krankenhauspflege nach § 184 RVO vergleichbar sei; dann gelte § 184 Abs 3 RVO entsprechend. Hier habe es sich um eine Krankenhauspflege gehandelt; die Entziehungskur sei erst anschließend erfolgt. Zumindest sei die konkret erbrachte Leistung mit einer Krankenhauspflege vergleichbar, so daß nach § 184a Abs 2 Satz 5 RVO auch insoweit § 184 Abs 3 RVO anzuwenden sei. Darin, daß hier eine Härtefallregelung nicht vorgesehen sei, liege keine unbewußte planwidrige Gesetzeslücke, sondern eine bewußte und gewollte Regelung des Gesetzgebers. Er habe die Zuzahlung insbesondere wegen der Einsparungen während des Krankenhausaufenthaltes als gerechtfertigt angesehen. Im Entwurf werde hervorgehoben, daß dadurch, weil die Zuzahlung auf 14 Tage begrenzt sei, kein Anlaß für eine Härtefallregelung bestehe. Insoweit bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Unterschiedlichkeit der Regelungen sei nicht willkürlich im Sinne des Art 3 des Grundgesetzes (GG); sie sei vielmehr durch nicht vergleichbare Sachverhalte gerechtfertigt. Die Zuzahlungspflicht von 10,– DM pro Kalendertag zu Behandlungen in Kur- und Spezialeinrichtungen sowie zu Vorbeugungs- und Genesendenkuren sei nämlich zeitlich und die Eigenbeteiligung bei der Verordnungsblattgebühr, bei Zahnersatz und bei Arznei- und Heilmitteln der Höhe nach nicht begrenzt, sodaß hier Härteregelungen gerechtfertigt seien. Die Begrenzung der Zuzahlungspflicht bei Krankenhauspflege auf 5,– DM kalendertäglich für längstens 14 Tage im Jahr enthalte dagegen gleichsam immanent eine Härtefallregelung und grenze darüber hinaus den „Härtefall” von den für alle Versicherten tragbaren Belastungen ab. Soweit die Befreiung dazu führen könne, daß der Versicherte gänzlich von der Eigenbeteiligung entbunden werde, während er bei § 184 Abs 3 RVO immer mit einem bestimmten Betrag, höchstens mit 70,– DM jährlich belastet werde, sei diese Ungleichbehandlung durch die regelmäßig eintretende Einsparung von Ausgaben zum Lebensunterhalt während eines vollstationären Aufenthaltes im Krankenhaus gerechtfertigt. Diese Einsparung trete zwar auch bei den Kurbehandlungen auf. Das sei jedoch nicht verfassungswidrig, zumal unter Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers, die Beitragssätze zu stabilisieren und die Finanzierung der Krankenversicherung zu sichern (BT-Drucks 9/2074 S 99) auch bei der Behandlung der Härteregelungen in den übrigen Vorschriften dem gesetzgeberischen Anliegen aus § 184 Abs 3 RVO Rechnung getragen und eine gleiche Eigenbelastung als zumutbar angesehen werden könne. Auch ein Verstoß gegen Art 14, 20 GG liege nicht vor.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat durch seinen Anwalt Revision eingelegt und zugleich beantragt, ihm unter Beiordnung des Rechtsanwaltes Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Die Revision wurde (innerhalb der Frist) begründet. Die Beklagte ist der Revision entgegengetreten.
Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-, § 114 der Zivilprozeßordnung -ZPO-).
Die nach § 114 ZPO zu prüfende Erfolgsaussicht braucht zwar nicht gewiß zu sein, muß aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Das ist hier nicht der Fall. Die maßgebliche Frage, ob nämlich bei der konkreten Eigenbeteiligungs-Regelung des § 184 Abs 3 Satz 1 RVO das Fehlen einer Härtefallregelung gegen Art 3 GG verstößt, ist zu verneinen. Das würde nur dann zutreffen, wenn die Regelung des Gesetzgebers gegenüber den vergleichbaren Härtefallregelungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als vertretbar und insoweit als willkürlich anzusehen wäre. Die vom LSG sehr ausführlich herausgearbeitete Unterschiedlichkeit der Regelungen läßt einen solchen Vorwurf gegenüber dem Gesetzgeber, dem ein breiter Regelungsspielraum zusteht, nicht zu, ganz abgesehen davon, daß selbst bei einer hier bestehenden Verfassungswidrigkeit der Kläger noch keinen Anspruch auf eine im Wege der Härtefallregelung vorzunehmende Befreiung von der nach § 184 Abs 3 Satz 1 RVO bestehenden Eigenbeteiligung hätte, sondern der Gesetzgeber nur zu einer anderweitigen Normierung der vergleichbaren, einer Härtefallregelung zu unterwerfenden Eigenbeteiligungsfälle angehalten werden könnte.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe war daher abzulehnen.
Fundstellen