Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 07.09.2020; Aktenzeichen S 1 SO 100/19) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.05.2021; Aktenzeichen L 4 SO 78/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit sind Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Hausgebärdensprachkurs.
Der Beklagte bewilligte dem 2017 geborenen Kläger, bei dem eine Hörrestigkeit und eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorliegt, seit 2017 Leistungen der Frühförderung nach §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Den Antrag auf Übernahme der Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs lehnte der Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 24.1.2019; Widerspruchsbescheid vom 25.6.2019). In der Folge erkannte er noch im Jahr 2019 seine Zuständigkeit an und bewilligte mehrfach Unterrichtseinheiten im Umfang von 40 bzw 48 Stunden (Bescheide vom 5.9.2019, 9.9.2020, 9.4.2021). Die auf weitergehende Kostenübernahme im Umfang von mindestens 400 Unterrichtseinheiten abzüglich bewilligter Einheiten gerichtete Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Mainz vom 7.9.2020; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 19.5.2021). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die abschnittsweise Bewilligung durch den Beklagten, der seine Leistungspflicht nicht beschränkt habe und regelmäßige Bedarfskontrollen durchführe, sei rechtmäßig.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache sowie Verfahrensfehler geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) noch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Wegen der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf ein Gesamtplanverfahren nach § 117 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung - (SGB IX) bestehe und ob ein Rechtsschutzinteresse hinfällig sei, wenn zwar ein Bedarf anerkannt worden sei, aber dieser nicht einem Gesamtplanverfahren zugrunde gelegt worden sei und weder Kriterien noch Ziel, Umfang, Qualität und Konzeption der Leistungserbringung erkennbar seien, legt er schon nicht dar, inwieweit sie im vorliegenden Rechtsstreit klärungsfähig sind, also im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünden. Diese Fragen betreffen ausschließlich die ab 1.1.2020 geltende Eingliederungshilfe nach dem SGB IX, wovon auch der Kläger selbst ausdrücklich ausgeht. Er trägt zwar insoweit die Rechtsentwicklung seit 2018 vor und kommt zum Schluss, es sei bereits vom LSG über neues Recht zu entscheiden gewesen. Es fehlt aber eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats, wonach ein auf den Regelungen des Sechsten Kapitels des SGB XII begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Träger der Sozialhilfe zum 31.12.2019 geendet hat und der Träger der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX in der seit dem 1.1.2020 geltenden Fassung nicht Funktionsnachfolger des bis zum 31.12.2019 für die Eingliederungshilfe zuständig gewesenen Sozialhilfeträgers ist (vgl BSG vom 28.1.2021 - B 8 SO 9/19 R - BSGE 131, 246 = SozR 4-3500 § 57 Nr 1, RdNr 19; BSG vom 24.6.2021 - B 8 SO 19/20 B; BSG vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B). Auch wenn das LSG - ohne nähere Begründung - angenommen hat, nach dem 1.1.2020 erlassene Bescheide seien nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, fehlt es damit an Darlegungen dazu, mit welcher Begründung vorliegend Leistungen der Eingliederungshilfe nach neuem Recht zulässiger Streitgegenstand des Rechtsstreits sein könnten. Es fehlen hinsichtlich der (konkreten) Klärungsfähigkeit auch Ausführungen zur behördlichen Zuständigkeit/Passivlegitimation ab dem 1.1.2020 (vgl BSG vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B). Solche Darlegungen sind nicht allein deshalb entbehrlich, weil Parallelen zu dem bis 31.12.2019 geltenden Recht bestehen; denn insoweit ist seit dem 1.1.2020 eine systematisch andere Leistung im Streit, selbst wenn der heutige Eingliederungshilfeträger nach Maßgabe des Landesrechts mit dem früheren Sozialhilfeträger identisch sein mag.
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit den von ihm ausformulierten Fragen sinngemäß die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Befristung von Eingliederungshilfeleistungen aufwirft, fehlt es ebenfalls an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats, wonach es sich bei Eingliederungshilfeleistungen für wesentlich behinderte Menschen grundsätzlich nicht um abschnittsweise zu bewilligende Leistungen handelt; denn erst wenn das Teilhabeziel erreicht ist, ist die Sachleistung vollständig erbracht (vgl BSG vom 28.1.2021 - B 8 SO 9/19 R - BSGE 131, 246 = SozR 4-3500 § 57 Nr 1, RdNr 35). Der Kläger legt nicht dar, weshalb sich vor diesem Hintergrund weiterer Klärungsbedarf ergeben sollte und die Rechtsfrage nicht schon - in seinem Sinne - geklärt ist.
Der Kläger hat auch einen Verfahrensfehler des LSG nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Wer sich - wie der Kläger - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier der Kläger - einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B - RdNr 10; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN) oder einen im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag aufrechterhalten hat (BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3). Hieran fehlt es. Der Kläger bezeichnet schon keinen Beweisantrag, den er gestellt und aufrechterhalten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Krauß Scholz Luik
Fundstellen
Dokument-Index HI15148904 |