Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 14.09.2018; Aktenzeichen S 2 R 163/15) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 27.05.2020; Aktenzeichen L 1 R 402/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 27.5.2020 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 25.6.2020 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch denjenigen der Divergenz in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.
a) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung vom 25.6.2020 nicht.
Die Klägerin erkennt zunächst eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache
"im Hinblick auf die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bei fehlender Belehrung in einem Aufhebungsbescheid über die Folgen des Nichtvorliegens von Anrechnungszeiten".
Damit formuliert sie schon keine hinreichend bestimmte und aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer Vorschrift des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht.
Soweit die Klägerin damit unter Berücksichtigung ihres Gesamtvorbringens die Frage andeutet, ob eine dem Rentenversicherungsträger zurechenbare, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründende Pflichtverletzung darin liegt, dass ein Träger von SGB II-Leistungen einen Leistungsempfänger anlässlich des Ausscheidens aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II nicht auf die möglichen Auswirkungen auf das Vorliegen einer Anrechnungszeit hinweist, legt sie die grundsätzliche Bedeutung auch dieser unterstellten Rechtsfrage nicht anforderungsgerecht dar. Es fehlt jedenfalls an einer hinreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Der Klägerin hätte es oblegen, die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu untersuchen und darzulegen, warum sich ihrer Meinung nach damit die unterstellte Rechtsfrage nicht genügend beantworten lässt. Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Urteil vom 21.01.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit etwa BSG Beschluss vom 24.01.2018 - B 13 R 450/14 B - juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin sich insbesondere mit den in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auseinandersetzen müssen (vgl etwa BSG Urteil vom 22.3.2018 - B 5 RE 1/17 R - BSGE 125, 252 = SozR 4-2600 § 6 Nr 15, RdNr 36 mwN) und dem - nach ihrem Vorbringen vom LSG sogar herangezogenen - Grundsatz, dass sich die fehlende Arbeitslosmeldung eines Versicherten nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzen lässt (vgl BSG Urteil vom 11.3.2004 - B 13 RJ 16/03 R - BSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3, RdNr 24). Daran fehlt es. Auf das letztgenannte Urteil nimmt die Klägerin bloß zur Wiedergabe der Entscheidungsgründe des LSG Bezug. Hinsichtlich des von ihr mehrfach angeführten Urteils des BSG vom 24.3.1988 (5/4a RJ 59/87) bringt sie zwar vor, das BSG habe es darin in einem Fall, in dem Arbeitslosengeld (aus der Arbeitslosenversicherung) nicht beantragt worden war, selbst als "klärungsbedürftig" angesehen, ob eine Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anzurechnen sei. Ihrem Vorbringen lässt sich indes nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen, dass das BSG dabei - zumindest nach ihrem Dafürhalten - die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage gemeint und nicht etwa bloß weitere Tatsachenfeststellungen für erforderlich gehalten habe. Zudem fehlt Vorbringen dazu, dass eine damit ihres Erachtens vom BSG angerissene Rechtsfrage auch nach der Entscheidung vom 24.3.1988 offengeblieben sei. Sollte die Klägerin vorbringen wollen, die unterstellte Rechtsfrage sei mit der Entscheidung des BSG vom 24.3.1988 bereits in ihrem Sinne beantwortet worden, hätte sie deren Klärungsbedürftigkeit erst recht nicht dargelegt. Dann hätte sie lediglich die inhaltliche Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend gemacht. Hierauf kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht gestützt werden (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Die Klägerin formuliert zudem als Rechtsfrage:
"ob nur allein der tatsächliche Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für das Vorliegen einer Anrechnungszeit erforderlich ist oder ob das Vorliegen eines Anspruchs ausreiche."
Sie legt aber auch die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht anforderungsgerecht dar. Insoweit fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 6 SGB VI und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
b) Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz wird in der Beschwerdebegründung ebenso wenig in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nicht-Übereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein entscheidungstragender Rechtssatz oder mehrere derartige Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 15 ff mwN). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin benennt darin schon keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das LSG von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte. Soweit sie vorbringt, das LSG sei von der erwähnten Entscheidung des BSG vom 24.3.1988 abgewichen, wendet sie sich im Kern gegen die Richtigkeit der LSG-Entscheidung. Derartiges Vorbringen reicht wie erwähnt zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz nicht aus.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14492608 |