Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 02.11.1977)

 

Tenor

1. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision wird abgelehnt.

2. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. November 1977 wird als unzulässig verworfen.

3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat durch ihren Ehemann als Bevollmächtigten Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 2. November 1977 eingelegt und zugleich die Bewilligung des Armenrechts für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) beantragt. In dem von ihr vorgelegten, von dem Sozialamt der Stadt Konstanz ausgestellten Vermögenszeugnis ist die Frage, ob sie (Klägerin) imstande sei, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses ganz oder teilweise zu bestreiten, mit „ja” beantwortet worden.

Durch Beschluß vom 7. September 1978 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Armenrechts abgelehnt, weil die Klägerin nicht arm im Sinne des Gesetzes ist. Zugleich ist ihre Revision mangels ordnungsgemäßer Vertretung durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten als unzulässig verworfen worden.

Die Klägerin hat nunmehr erneut Revision eingelegt und die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beantragt.

Dieser Antrag ist abzulehnen. Nach § 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift setzt voraus, daß auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgemäß Prozeßführenden die Versäumnis der Verfahrensfrist nicht vermieden worden wäre bzw daß ein Beteiligter diejenige Sorgfalt nicht außer acht gelassen hat, die einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (vgl. Großer Senat des BSG in BSGE 38, 248, 254 = SozR 1500 § 67 Nr. 1). Im Falle der Ablehnung eines Armenrechtsgesuchs ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Wiedereinsetzung nur dann gerechtfertigt, wenn der Antragsteller vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung des Gesuches wegen Verneinung der Armut hat rechnen müssen. Ist diese Erwartung nicht gerechtfertigt gewesen, weil der Antragsteller oder sein Vertreter hat erkennen können, daß die Armut in dem Gesuch nicht ausreichend dargetan worden ist, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt werden (BGHZ 26, 99, 101; BGH LM ZPO § 233 – Hc – Nr. 12; BGH VersR 1978, 824). Diese Grundsätze gelten auch für das sozialgerichtliche Verfahren. Demgemäß hat der 9. Senat des BSG in seinem Beschluß vom 2. August 1974 – 9 RV 288/74 – ausgesprochen, daß eine Fristversäumnis dann nicht verschuldet ist, wenn ein fristgerecht eingebrachter Antrag auf Bewilligung des Armenrechts wegen fehlender Armut abgelehnt worden ist, obgleich in dem von der Gemeinde ausgestellten Armenrechtszeugnis das Unvermögen des Klägers zur Kostenbestreitung ausdrücklich ohne Einschränkung bescheinigt worden war. In diesem Fall braucht ein Beteiligter im allgemeinen nicht damit zu rechnen, das an ein solches Zeugnis nicht gebundene Gericht werde an den Nachweis der Armut strengere Anforderungen stellen.

Etwas anderes muß für den Fall gelten, daß in dem Armenrechtszeugnis ausdrücklich und ohne weiteres erkennbar das Vermögen des Antragstellers zur Bestreitung der Kosten des Rechtsstreits bescheinigt worden ist. Dabei kann dahinstehen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Bescheinigung des Vermögens zur Bestreitung der Kosten des Rechtsstreits ohne Verschulden des Antragstellers auf unzutreffenden tatsächlichen Grundlagen insbesondere bezüglich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse beruht. Jedenfalls muß dann, wenn die Bescheinigung des Vermögens zur Bestreitung der Kosten auf zutreffenden tatsächlichen Grundlagen beruht, der Antragsteller „vernünftigerweise” mit der Verweigerung des Armenrechts wegen Verneinung der Armut rechnen. Er kann in diesem Falle nicht darauf vertrauen, daß ihm gleichwohl das Armenrecht bewilligt werde. Die Versäumnis der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels, zu dessen Durchführung die Bewilligung des Armenrechts beantragt worden ist, ist dann nicht unverschuldet und damit die Gewährung von Wiedereinsetzung gegen diese Fristversäumnis nicht zulässig.

So liegt der Fall hier. In dem von der Stadtverwaltung Konstanz ausgestellten „Vermögenszeugnis” vom 2. Januar 1978 ist die vorgedruckte Frage, ob die Klägerin imstande sei, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses ganz oder teilweise zu tragen, mit „ja” beantwortet worden. Die dem zugrunde liegenden Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin treffen nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten ergänzenden Sachaufklärung zu. Die Klägerin ist sich über die Bedeutung der Bescheinigung im klaren gewesen. Das zeigen ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 3. Januar 1978. Bei dieser Sachlage hat sie bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht mit der Bewilligung des Armenrechts rechnen können. Damit hat sie die Frist zur Einlegung der Revision nicht unverschuldet versäumt. Dies muß zur Ablehnung ihres Wiedereinsetzungsantrages führen.

Zugleich ist ihre Revision wegen Versäumung der einmonatigen Einlegungsfrist (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG) als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926264

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