Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust des Rügerechts

 

Orientierungssatz

1. Gemäß § 558 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren in der Berufungsinstanz betreffende Vorschrift in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, sofern das Rügerecht bereits in der Berufungsinstanz nach § 295 ZPO verlorengegangen sei. Das ist ua dann geschehen, wenn in der auf den Mangel folgenden nächsten mündlichen Verhandlung der Mangel nicht gerügt worden ist, obgleich er bekannt gewesen ist oder bekannt gewesen sein mußte (§ 295 Abs 1 ZPO). Die genannten Vorschriften der ZPO sind im sozialgerichtlichen Verfahren über § 202 SGG anzuwenden (vgl BSG vom 30.12.1987 - 5a BKn 10/86 = SozR 1500 § 160a Nr 61).

2. Da Mängel eines Gutachtens heilbar sind (so BSG aaO mwN), muß das auch für etwaige Mängel der Beweisanordnung gelten, auf der die Begutachtung beruht.

 

Normenkette

ZPO §§ 558, 295 Abs. 1; SGG § 202

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 28.06.1988; Aktenzeichen L 12 J 721/87)

 

Gründe

Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann Prozeßkostenhilfe gewährt und ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt; denn die nicht formgerecht begründete Beschwerde der Klägerin ist unzulässig.

Die Klägerin rügt als Mangel des Berufungsverfahrens (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), die Beweisanordnung des Landessozialgerichts (LSG) vom 17. September 1987 sei unzureichend gewesen. In der Beschwerdebegründung hätte dargelegt werden müssen, daß der behauptete Verfahrensmangel nicht geheilt ist. Das ist nicht geschehen. Das BSG hat im Beschluß vom 30. September 1987 (SozR 1500 § 160a Nr 61) ausgeführt, gemäß § 558 ZPO könne die Verletzung einer das Verfahren in der Berufungsinstanz betreffenden Vorschrift in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, sofern das Rügerecht bereits in der Berufungsinstanz nach § 295 ZPO verlorengegangen sei. Das sei ua dann geschehen, wenn in der auf den Mangel folgenden nächsten mündlichen Verhandlung der Mangel nicht gerügt worden sei, obgleich er bekannt gewesen sei oder bekannt gewesen sein mußte (§ 295 Abs 1 ZPO). Die genannten Vorschriften der ZPO seien im sozialgerichtlichen Verfahren über § 202 SGG anzuwenden. Die Klägerin hätte folglich in der Beschwerdebegründung aufzeigen müssen, wann und wo sie den von ihr angenommenen Mangel des Berufungsverfahrens, der ihren Prozeßbevollmächtigten bekannt sein mußte, gerügt hat. Da Mängel eines Gutachtens heilbar sind (so BSG aaO mwN), muß das auch für etwaige Mängel der Beweisanordnung gelten, auf der die Begutachtung beruht.

Die Klägerin macht weiter geltend, das LSG habe ohne hinreichende Begründung einen Beweisantrag abgelehnt. Aus einem mit Schriftsatz vom 2. Mai 1988 vorgelegten ärztlichen Attest gehe hervor, daß die Klägerin unter Schwindelanfällen leide und es sei beantragt worden, vom Hausarzt einen Befundbericht einzuholen. Die Klägerin hat ihre Anregung, den Hausarzt zu befragen, später nicht, auch nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, wiederholt. Dazu hätte hier aber Veranlassung bestanden, weil nach dem 2. Mai 1988 ein vom LSG eingeholtes ärztliches Gutachten bei Gericht eingegangen ist und der Sachverständige keine Schwindelerscheinungen bei der Klägerin festgestellt hat. Das räumt sie auch in der Beschwerdebegründung ein. Nach Kenntnis dieses Gutachtens hätte die Klägerin auf eine etwa noch von ihr für notwendig gehaltene weitere Beweiserhebung hinweisen müssen. In der Beschwerdebegründung hätte daher schlüssig dargelegt werden müssen, inwiefern für das LSG erkennbar ein durch die angestellten Ermittlungen nicht erledigter oder nicht überholter Beweisantrag vorhanden war (vgl BSG aaO Nr 56). Dieser Darlegungspflicht hat die Klägerin nicht genügt.

Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sei hier zu klären, "inwieweit die Taubheit bzw die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit eines Menschen in Verbindung mit dem Nichtverstehen und Nichtsprechen der Landessprache eine Beeinträchtigung im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit darstellt". Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, daß die angestrebte Entscheidung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Es muß aufgezeigt werden, inwiefern von der Entscheidung des BSG zu erwarten ist, sie werde in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen (so BSG aaO Nr 39). An einer grundsätzlichen Bedeutung fehlt es dann, wenn sich die Rechtsanwendung einer Verallgemeinerung entzieht (vgl BSG aaO Nr 7). Die Klägerin hat keine klärungsbedürftige und im konkreten Fall klärungsfähige, entscheidungserhebliche Rechtsfrage bezeichnet. Sie greift in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des LSG an. Auf die damit gerügte Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Beschwerde aber nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht gestützt werden.

Die somit nicht formgerecht begründete Beschwerde mußte als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653953

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge