Verfahrensgang
SG Aurich (Entscheidung vom 18.07.2019; Aktenzeichen S 45 AS 113/18) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 23.06.2021; Aktenzeichen L 13 AS 210/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Juni 2021 - L 13 AS 210/19 - wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Weise bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG), mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger behauptet zwar, das LSG habe in Abweichung zum Urteil des BSG mit dem Aktenzeichen B 14 AS 12/18 R entschieden, wonach eine Aufteilung des Gebiets in einzelne Wohnungsmärkte mit unterschiedlichem Preisniveau unzulässig sei. Damit legt der Kläger aber keine Divergenz im Grundsätzlichen dar, sondern behauptet nur, das LSG habe in der Sache unrichtig entschieden. Darüber hinaus teilt der Kläger nicht mit, ob das LSG bei seiner Prüfung und Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten vom Bestehen eines (schlüssigen) Konzepts im Zuständigkeitsbereich des Beklagten ausgegangen ist, worauf sich aber die Aussagen in dem von ihm angeführten Urteil des BSG beziehen. Nichts anderes gilt, wenn der Kläger behauptet, es liege eine Abweichung zum Urteil im Verfahren B 14 AS 13/12 R vor, weil sein Verbrauch an kalten Betriebskosten angemessen sei und diese daher hätten übernommen werden müssen bzw das BSG fordere, dass ein schlüssiges Konzept zu kalten Betriebskosten vorliegen müsse, ansonsten diese in tatsächlicher Höhe zu übernehmen seien.
Soweit der Kläger eine Abweichung zum Urteil im Verfahren B 14 AS 15/11 R damit begründet, das BSG habe entschieden, dass bei laufenden Mietzinsforderungen von ihrer Angemessenheit auszugehen sei, solange kein Kostensenkungsverfahren eingeleitet worden sei, ist das zur Begründung einer angeblichen Divergenz Vorgebrachte unschlüssig. Denn er trägt selbst vor, dass er in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten ohne vorherige Zusicherung der Kostenübernahme durch den früheren Träger umgezogen sei. Von einer "laufenden Mietzinsforderung" ist also schon nach seinem eigenen Vortrag nicht auszugehen. Dass der Kläger der Auffassung ist, eine vorherige Zusicherung sei nicht notwendig gewesen, ändert an der Unschlüssigkeit des Vortrags nichts.
Auch hinsichtlich des Urteils im Verfahren B 14 AS 60/12 R bringt der Kläger keine schlüssige Divergenzrüge vor, wenn er behauptet, es sei eine Wirtschaftlichkeitsprüfung in Bezug auf die Kostensenkung durch Umzug vorzunehmen gewesen, was das LSG nicht berücksichtigt habe.
Soweit er schließlich behauptet, das LSG habe divergierend zum Urteil im Verfahren B 4 AS 34/12 R entschieden, weil es unter Würdigung der erhobenen Beweise und der von ihm getätigten Aussagen zu Unrecht von einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau K ausgegangen sei, wird nicht eine Divergenz im Grundsätzlichen, sondern eine aus seiner Sicht unzutreffende Beweiswürdigung durch das LSG gerügt. Zwar können prinzipiell auch prozessuale Fragen grundsätzliche Bedeutung haben und eine Rechtsfortbildung im Verfahrensrecht erfordern oder Gegenstand einer Divergenzrüge sein. Dies darf aber nicht - wie hier - zur Umgehung von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG führen, soweit dieser die Nachprüfbarkeit von Verfahrensmängeln einschränkt (vgl nur BSG vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B - RdNr 14; BSG vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - RdNr 22). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann jedoch auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ein Verfahrensmangel nicht gestützt werden.
Aber auch die ausdrücklich geltend gemachten Verfahrensmängel hat der Kläger nicht ordnungsgemäß dargelegt. Soweit er einen Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG behauptet, weil ihm keine Möglichkeit gegeben worden sei, zu den Zeugenaussagen seines Vermieters Stellung zu nehmen, denn dieser sei erst "nach der mündlichen Verhandlung vernommen worden" macht er geltend, ihm sei rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) nicht gewährt worden. Gleiches gilt, soweit er behauptet, anders als vom LSG protokolliert sei keine gemeinsame mündliche Verhandlung (mit den Verfahren der Frau K) durchgeführt worden. Die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist damit jedoch nicht hinreichend aufgezeigt. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dies gilt insbesondere für eine die Instanz abschließende Entscheidung. Demgemäß darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG).
Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge ist, dass der Kläger darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl nur BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 33/90 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG vom 20.1.1998 - B 13 RJ 207/97 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; BSG vom 13.3.2018 - B 11 AL 79/17 B - RdNr 9 mwN), was - in der Situation der mündlichen Verhandlung - einen Antrag auf Vertagung (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO) oder auf Schriftsatzfrist (§ 202 SGG iVm § 283 ZPO) umfasst (vgl zB BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 33/90 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG vom 26.6.1991 - 5 BJ 141/90 - juris RdNr 4; BSG vom 3.4.2013 - B 9 V 59/12 B - RdNr 13). Der Kläger hat schon nicht behauptet, entsprechende Anträge gestellt zu haben.
Nichts anderes gilt, soweit der Kläger behauptet, er sei nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden. Es fehlt bereits Vortrag dazu, weshalb der Kläger meint, in seinem eigenen Verfahren zur Verweigerung der Aussage berechtigt zu sein; jedenfalls fehlt es aber an einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Sitzungsprotokolls auf Seite 9, wonach sich der Kläger damit einverstanden erklärt hat, dass seine Zeugenaussage in den Verfahren der Frau K als Vortrag in seinen eigenen Verfahren verwertet wird und darüber hinaus, dass deren Angaben im Verfahren des Klägers verwertet werden, was vom LSG laut diktiert und genehmigt worden ist.
Auch dringt der Kläger nicht damit durch, das Sitzungsprotokoll könne schon deshalb nicht zum Beweis des tatsächlichen Geschehens herangezogen werden, weil es weder vom Vorsitzenden noch der Urkundsbeamtin unterschrieben sei (§ 202 SGG iVm § 163 ZPO) und damit keine wirksame öffentliche Urkunde bilde (§ 415 ZPO). Da die Verfahren L 13 AS 266/19, L 13 AS 267/19, L 13 AS 268/19, L 13 AS 120/20, L 13 AS 209/19, L 13 AS 210/19 und L 13 AS 211/19 gemeinsam verhandelt worden sind, hätte es weiterer Darlegungen bedurft, dass in keinem der weiteren Akten ein unterschriebenes Protokoll enthalten ist bzw woraus sich eine Verpflichtung des LSG ergeben könnte, jede Abschrift eines Protokolls, das in die entsprechende Verfahrensakte aufgenommen wird, ebenfalls zu unterschreiben. Solcher Vortrag fehlt.
Soweit der Kläger als Verfahrensmangel geltend macht, ihm sei aufgrund der "Sitzordnung" im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG eine Kommunikation mit seinem Rechtsanwalt nicht möglich gewesen, weil zwischen ihnen Frau K gesessen habe, behauptet er zwar (zumindest sinngemäß), sein Anspruch auf ein faires Verfahren sei verletzt worden. Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist jedoch nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BVerfG vom 26.4.1988 - 1 BvR 669/87 ua - BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG vom 15.2.1993 - 1 BvR 1045/92 - SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG vom 31.3.1998 - B 8 KN 7/97 R - SozR 3-1750 § 565 Nr 1; BSG vom 21.6.2000 - B 5 RJ 24/00 B - SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B - juris). Insbesondere angesichts des Umstandes, dass ausweislich des Sitzungsprotokolls des LSG in einer mehr als sechsstündigen mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten das Sach- und Streitverhältnis erörtert worden ist, hätte es weiteren Vortrags dazu bedurft, weshalb es ihm, dem Kläger, nicht möglich war, zB durch entsprechende Anträge gegenüber dem Gericht die behaupteten Kommunikationsprobleme zu beseitigen. Da der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls am Ende der mündlichen Verhandlung auch Sachanträge gestellt hat, hätte es zudem Ausführungen dazu bedurft, weshalb darin nicht zugleich ein Verzicht auf das Rügerecht (§ 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO) zu sehen ist.
Wenn der Kläger schließlich behauptet, er hätte aufgrund des bisherigen Verfahrensverlaufs nicht damit rechnen müssen, im Rahmen der Berufungsverhandlung zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit der Zeugin K befragt zu werden, sodass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei, genügt auch dieser Vortrag nicht der ordnungsgemäßen Begründung der Gehörsrüge. Er bringt lediglich zur Begründung vor, er hätte sich anderenfalls zB mittels vorhandener Unterlagen darauf vorbereiten können, den Nachweis zu führen, dass keine Bedarfsgemeinschaft besteht. Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge ist aber, dass der Beschwerdeführer auch darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, was - in der Situation der mündlichen Verhandlung - einen Antrag auf Vertagung (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO) oder auf Schriftsatzfrist (§ 202 SGG iVm § 283 ZPO) umfasst (vgl zB BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 33/90 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG vom 26.6.1991 - 5 BJ 141/90 - juris RdNr 4; BSG vom 3.4.2013 - B 9 V 59/12 B - RdNr 13). Solche Anträge gestellt zu haben, behauptet der Kläger nicht.
Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang gegen die Beweiswürdigung des LSG wendet (sie als Unterstellungen bezeichnet) und im Sitzungsprotokoll niedergelegte Aussagen anders würdigt als das Gericht, verkennt er, dass die Rüge einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, wie ausgeführt, nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht zum Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde führen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
S. Knickrehm Harich Siefert
Fundstellen
Dokument-Index HI15092174 |