Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 9. August 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente im Anschluss an eine vorläufige Entschädigung.
Die Beklagte entzog dem Kläger eine als vorläufige Entschädigung bewilligte Verletztenrente und lehnte einen Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit ab. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16.11.2021). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 9.8.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), weil er seine Bedenken bzgl der Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), ggf in einem Termin zur mündlichen Verhandlung durch einen medizinischen Sachverständigen unterstützt, nicht habe darlegen können. Er erlebe die seit dem Unfallereignis beklagten Beschwerden tagtäglich, die ausreichend in den medizinischen Gutachten, insbesondere bei der Ermittlung des Broberg und Morrey Score (BMS) dargelegt worden sind. Das Vordergericht sei dem zu Unrecht nicht gefolgt und habe sich insoweit der nach § 109 SGG bestimmten Gutachterin angeschlossen. Mit diesem Vorbringen bezeichnet der Kläger indes nicht schlüssig eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG).
Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Dem Gebot ist indes Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass Beteiligte mit ihrem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" werden. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (zB BVerfG Kammerbeschlüsse vom 30.9.2022 - 2 BvR 2222/21 - juris RdNr 27 und vom 9.2.2022 - 2 BvR 613/21 - juris RdNr 4; BSG Beschlüsse vom 13.10.2023 - B 2 U 104/22 B - juris RdNr 8 mwN und vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 6 mwN). Zur Begründung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist zudem nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, an welchem Vorbringen der Beschwerdeführer gehindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann sowie, dass der Beschwerdeführer seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (zB BSG Beschlüsse vom 13.10.2023 - B 2 U 104/22 B - juris RdNr 10, vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 8 und vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38 RdNr 5, jeweils mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Insbesondere führt sie selbst an, dass das LSG sich über die vom Kläger vorgetragenen Bedenken hinweggesetzt habe. Der Kläger hat demnach seine Ansichten und Bedenken vortragen können. Im Weiteren enthält die Beschwerdebegründung auch keinen Vortrag dazu, dass die Entscheidung des LSG auf dem unterbliebenen Vorbringen des Klägers beruhen könne. Hierzu genügt insbesondere der Vortrag nicht, dass der BMS für die Ermittlung der MdE geeignet sei. Denn dies lässt offen, ob im Falle der Berücksichtigung des BMS der Kläger den streitgegenständlichen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 vH (§ 56 Abs 1 SGB VII) hätte haben können. Schließlich legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar, dass der Kläger alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Soweit der Kläger anführt, dass er für seine Ansicht in einer mündlichen Verhandlung sachverständige Hilfe hinzugezogen hätte, hätte er einen damit verbundenen weiteren Aufklärungsbedarf durch die Stellung eines förmlichen Beweisantrags (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) zum Ausdruck bringen müssen. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält (zB BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13 mwN und vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 6 mwN).
Im Kern wendet sich der Kläger gegen die Bewertung der MdE mit der Folge einer Ablehnung einer unbefristeten Rente im Anschluss an eine vorläufige Entschädigung nach § 62 SGB VII. Die Bemessung des Grades der MdE ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Tatsachengericht unter Berücksichtigung der gesamtem Umstände des Einzelfalls gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung trifft (vgl nur BSG Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - BSGE 122, 232 = SozR 4-2700 § 56 Nr 4, RdNr 15 mwN). Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse dabei zur Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts (vgl zB BSG Urteil vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9 = juris RdNr 18 mwN). Selbst in einem Revisionsverfahren ist sie als Verfahrensfehler (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) nur eingeschränkt und nur in Grenzen überprüfbar. Dagegen scheidet sie als Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich aus. Beteiligten obliegt es vielmehr, vor den Tatsachengerichten insbesondere durch Beweisanträge (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) und Ausübung des Fragerechts (§ 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO) angenommene Mängel in vorhandenen Gutachten und Stellungnahmen aufklären zu lassen und so auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Verletzungen dieser Verfahrensrechte sind als Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 103 SGG, Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG) rügefähig. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung wie dargelegt nicht gerecht. Falls der Kläger in dem BMS und der benannten Dissertation einen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstand sieht, der von den Gerichten als Grundlage der Bewertung der MdE zu berücksichtigen ist (zB BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 2 U 9/20 R - juris RdNr 21 ff), hätte er dies durch die Beantragung entsprechender Sachaufklärung (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2, § 103 SGG) in das Verfahren einführen müssen.
b) Der Kläger rügt im Weiteren, dass das LSG gegen seinen Willen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden habe. Mit seinem Vortrag dazu bezeichnet er indes keinen Verstoß gegen die in § 153 Abs 4 SGG enthaltene Befugnis zu einer Entscheidung durch Beschluss. Gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vorher zu hören. Einen Verstoß gegen § 153 Abs 4 Satz 1 SGG und die damit verbundene Besetzungsrüge (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2, § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) und den Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) zeigt die Beschwerdebegründung vorliegend nicht auf. Sie führt weder an, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht vorgelegen hätten, noch, dass das LSG von seiner Befugnis auf Rechtsfolgenseite fehlerhaft Gebrauch gemacht habe. Der Ermessensgebrauch ist indes nur auf die Heranziehung sachfremder Erwägungen und grobe Fehleinschätzung überprüfbar (vgl zB BSG Beschluss vom 13.4.2023 - B 2 U 115/22 B - juris RdNr 9; BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13, juris RdNr 21; s auch Beschlüsse vom 14.3.2019 - B 5 R 22/18 B - juris RdNr 45 und vom 23.3.2018 - B 1 KR 80/17 B - juris RdNr 8). Von einer Zustimmung der Beteiligten hängt die Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG hingegen im Gegensatz zu einer solchen nach § 124 Abs 2 SGG auf Tatbestandsebene nicht ab. Ebenso wenig begründet allein die fehlende Befolgung eines Antrags eines Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine ermessensfehlerhafte Entscheidung auf Rechtsfolgenseite. Eine grobe Fehleinschätzung liegt vielmehr erst dann vor, wenn bei Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände - wie die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen - die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung gegen den ausdrücklichen Willen eines Beteiligten unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist (zB BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 5 R 22/18 B - juris RdNr 45 mwN und BSG Beschluss vom 23.3.2018 - B 1 KR 80/17 B - juris RdNr 8 mwN). Dies ist hier nicht gegeben.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eine zu knappe Begründung der Ermessensentscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG rügt, ist damit auch ein Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 iVm § 128 Abs 1 Satz 2 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Gemäß § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält das Urteil die Entscheidungsgründe; in dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG). Folglich muss aus den Entscheidungsgründen lediglich ersichtlich sein, auf welchen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen die Entscheidung in der Sache beruht, dh welche Rechtsnormen angewendet worden sind und welche ihrer Tatbestandsmerkmale aufgrund welcher Überlegungen vorliegen bzw nicht vorliegen. Gerichte müssen nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abhandeln (zB BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 1/23 B - juris RdNr 9, vom 10.5.2023 - B 2 U 123/22 B - juris RdNr 12 und vom 21.2.2023 - B 2 U 47/22 B - juris RdNr 9, jeweils mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16226623 |