Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Mai 2020 wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie leidet an einer beidseitigen Ptosis mammae (Hängebrust). Nach einem ersten abgelehnten Antrag beantragte sie erneut die Versorgung mit einer stationär durchzuführenden Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik - MRP) unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen, die ihr Begehren stützten. Die MRP sollte vorrangig ihre Nacken-Schulterbeschwerden mit Kopfschmerzen lindern bzw beseitigen. Die Beklagte holte sowohl im Antragsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren jeweils ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein. Beide Gutachten verneinten einen Zusammenhang zwischen den glaubhaft geschilderten Beschwerden und der Größe sowie der Form der Brüste. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren bei der Beklagten und vor dem SG erfolglos geblieben (Bescheid vom 2.12.2016, Widerspruchsbescheid vom 29.9.2017, Gerichtsbescheid vom 25.7.2019). Sie ließ die MRP am 31.7.2019 durchführen. Das Krankenhaus rechnete die Fallpauschale J24B ab (4966,46 Euro). Die Klägerin ist mit ihrem zuletzt auf Erstattung dieses Betrags gerichteten Begehren auch beim LSG erfolglos geblieben (Urteil vom 11.5.2020).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Die Klägerin hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde versäumt (dazu a). Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist abzulehnen (dazu b). Im Übrigen wäre die Beschwerde ungeachtet der Verfristung auch deswegen unzulässig, weil die Begründung nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des hier allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) entspricht (dazu c).
a) Die Beschwerde der Klägerin ist verfristet. Nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils - hier: 12.5.2020 - einzulegen. Die Beschwerde ist jedoch nicht innerhalb der am 12.6.2020 abgelaufenen Frist beim BSG eingegangen, sondern erst am 16.6.2020.
b) Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) - schuldlose Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde - sind nicht erfüllt. Das Vorbringen der Klägerin schließt es aus, dass ihre Prozessbevollmächtigte durch eine zweckmäßige Büroorganisation ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen getroffen oder eine hinreichende Einzelanweisung erteilt hat.
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (stRspr; vgl zB BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 10/01 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN; BSG vom 3.3.2009 - B 1 KR 69/08 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 5 mwN; BSG vom 27.5.2008 - B 2 U 5/07 R - SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO; vgl BSG vom 28.6.2018 - B 1 KR 59/17 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 15 RdNr 7 mwN).
Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist. Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten ist dagegen nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BSG vom 28.6.2018 - B 1 KR 59/17 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 15 RdNr 7 mwN; s ferner Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 233 RdNr 23.13 mwN, Stichwort Büropersonal und -organisation; Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl 2021, § 233 RdNr 144 ff). Auf fehlerhafte oder fehlende allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es allerdings dann nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt einer Bürokraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hatte, eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (stRspr des BGH; vgl zB BGH vom 1.7.2002 - II ZB 11/01 - juris RdNr 4 mwN; BGH vom 23.9.2020 - XII ZB 94/20 - juris RdNr 17 mwN; ähnlich, aber wohl offengelassen von BSG vom 18.1.2006 - B 6 KA 41/05 R - juris RdNr 11).
Bei fristwahrenden Schriftsätzen, die per Fax übermittelt werden, ist vorzusehen, dass anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts kontrolliert wird, dass der Schriftsatz abgesandt worden ist, dh keine Fehlermeldung vorliegt. Grundsätzlich muss der Rechtsanwalt seinen Mitarbeitern daher die allgemeine Weisung erteilen, bei der Übermittlung fristwahrender Schriftstücke per Telefax einen Einzelnachweis über den Sendevorgang nicht nur auszudrucken, sondern diesen auch zu prüfen. Hierzu gehört eine Kontrolle, durch die insbesondere sichergestellt wird, dass Fehler bei der Verwendung von Faxnummern nach Möglichkeit vermieden werden (vgl BSG vom 12.3.2002 - B 11 AL 3/02 B - juris RdNr 4; BSG vom 29.4.2005 - B 13 RJ 50/04 R - juris RdNr 6 unter Hinweis auf BSG vom 22.8.1990 - 9b RAr 14/90 - juris; BSG vom 9.2.2010 - B 11 AL 194/09 B - juris RdNr 3). Dies entspricht auch der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte (vgl zB BGH vom 19.11.1997 - VIII ZB 33/97 - juris RdNr 5; BGH vom 7.5.2001 - II ZB 16/00 - juris RdNr 13; BGH vom 18.5.2004 - VI ZB 12/03 - juris RdNr 4; BGH vom 25.2.2016 - III ZB 42/15 - juris RdNr 10; BAG vom 25.5.2016 - 5 AZR 614/15 - juris RdNr 22; BVerwG vom 9.1.2008 - 6 B 51/07 - juris RdNr 3; BFH vom 18.9.2007 - I R 39/04 - juris RdNr 7; s ferner Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl 2021, § 233 RdNr 164, Stichwort Sendebericht).
Eine Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die diesen Voraussetzungen genügt, ist dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen. Die Klägerin legt nicht dar, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Weisung bestand, bei der Übermittlung fristwahrender Schriftstücke per Telefax einen Einzelnachweis über den Sendevorgang nicht nur auszudrucken, sondern diesen auch zu prüfen. Die Klägerin legt auch nicht dar, dass ihre Prozessbevollmächtigte eine Einzelanweisung erteilt habe, deren Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Sie macht nur geltend, dass ihre Prozessbevollmächtigte die Bürokraft nicht nur angewiesen habe, das Telefax zu übersenden und hierzu die Blätter einzeln in das Telefaxgerät einzulegen, sondern auch bei der Bürokraft die Versicherung eingeholt habe, dass das Telefax abgesandt worden sei, bevor sie am 12.6.2020 die Kanzlei verlassen habe. Damit zeigt die Klägerin auch nicht auf, dass die Prozessbevollmächtigte die Bürokraft zumindest im Einzelfall angewiesen hat, den Sendebericht auszudrucken und zu überprüfen, also im Einzelfall das Erforderliche zu tun. Die Bürokraft erklärt in ihrer eidesstattlichen Versicherung insoweit nur, das Protokoll des Sendeberichts habe einen Fehler aufgewiesen. Sie habe den fehlerhaften Sendebericht übersehen und könne sich dies nicht erklären.
Die Klägerin hat zudem weder hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Bürokraft der Prozessbevollmächtigten versucht hat, den Beschwerdeschriftsatz per Telefax zu versenden, noch dass jene den Sendebericht überhaupt ausgedruckt hat. Die Klägerin hat weder den maßgeblichen, angeblich einen Fehler aufweisenden Sendebericht vorgelegt noch begründet, warum dessen Vorlage nicht möglich ist.
c) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Wer sich - wie hier die Klägerin - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss unter anderem einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen (stRspr; vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 11 = juris RdNr 5). Dazu muss aufgezeigt werden, dass ein anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertretener Beteiligter - wie hier die Klägerin - zu Protokoll einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 SGG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder aufrechterhalten hat (vgl BSG vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris RdNr 14 mwN; vgl dazu auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Der Tatsacheninstanz soll durch einen Beweisantrag vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (stRspr; vgl insgesamt dazu zB BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisantritten, die in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind und ihrem Inhalt nach lediglich als Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluss von Amts wegen durchgeführter Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als Beweisantrag aufgegriffen werden; eine unsubstantiierte Bezugnahme auf frühere Beweisantritte genügt nicht (vgl BSG vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; BSG vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 6).
Ein Beteiligter hält einen zuvor mit einem Schriftsatz gestellten Beweisantrag auch dann nicht mehr aufrecht, wenn er sich, ohne den Beweisantrag zu wiederholen, gemäß § 124 Abs 2 SGG vorbehaltlos mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl BSG vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20; BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 6). Wird nicht aufgrund mündlicher Verhandlung, sondern im ausdrücklich erklärten vorbehaltlosen Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs 2 SGG durch Urteil entschieden, werden die Beteiligten, die Beweisanträge gestellt haben, grundsätzlich so behandelt, als hätten sich diese erledigt. Denn sie haben dem Gericht gegenüber nach dem objektiven Erklärungswert ihrer Mitteilung zum Ausdruck gebracht, dass das Gericht nunmehr entscheiden kann. Wird die § 124 Abs 2 SGG betreffende Anfrage des Gerichts im Laufe des Verfahrens an die Beteiligten gerichtet, so ist die Anfrage dahingehend zu verstehen, dass das Gericht nach dem nunmehr vorliegenden Ermittlungsstand und dem Inhalt der Akten entscheiden will. Jedenfalls jedem rechtskundig vertretenen Beteiligten, der vorbehaltlos sein Einverständnis gemäß § 124 Abs 2 SGG erklärt, muss danach klar sein, dass das Gericht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung entscheiden kann. Will ein Beteiligter dieses Ergebnis vermeiden, muss er das Einverständnis verweigern und auf der Durchführung der beantragten Beweisaufnahme beharren (vgl BSG vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f).
Für das Vorbringen, das LSG habe einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergangen, wäre hiernach besonderes Vorbringen nötig gewesen. Daran fehlt es. Die Klägerin trägt nur vor, mit der Begründung der eingelegten Berufung (Schriftsatz vom 10.12.2019) sei noch einmal Beweis angeboten worden (Zeugnis von W, H, G). Das LSG sei den Beweisanträgen nicht nachgekommen. Damit legt die Klägerin nicht dar, dass sie nach der Anfrage des LSG zur Zustimmung einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vom 30.3.2020, in der es zudem heißt, dass das LSG den Rechtsstreit für entscheidungsreif erachte, noch formelle Beweisanträge gestellt oder aufrechterhalten habe, also der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht vorbehaltlos zugestimmt habe. Auch in der Verfahrensakte finden sich dafür keine Anhaltspunkte.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14434264 |