Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Akteneinsichtsrecht des Angeschuldigten in einem Opferentschädigungsverfahren. Einzelfall. Divergenz. Begriff des rechtlichen Interesses. Behauptung einer fehlerhaften Rechtsauslegung. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Die Formulierung einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage, mit welcher ein Beschwerdeführer die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG (hier: Versagung des Rechts auf Akteneinsicht gegenüber dem Angeschuldigten in einem Opferentschädigungsverfahren) erreichen will, darf nicht nur auf seinen Einzelfall bezogen sein.
2. Der Beschwerdeführer benennt keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Urteil, wenn er lediglich vorträgt, dass das LSG einen Rechtsbegriff (hier: den Begriff des rechtlichen Interesses eines Beteiligten iS des § 12 Abs 2 S 1 SGB 10) fehlerhaft ausgelegt habe.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S. 3, § 160 Abs 2 Nr. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 2; SGB X § 12 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 S. 1, § 25
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. November 2018 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Akteneinsicht in einem Opferentschädigungsverfahren einer anderen Person. Diesen Anspruch hat das LSG verneint (Urteil vom 20.11.2018). Eine Beteiligung des Klägers kraft Gesetzes oder durch Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren komme nicht in Betracht. Als Zeuge oder möglicher Beschuldigter sei der Kläger nicht Beteiligter und sei als solcher nicht zum Verwaltungsverfahren hinzuzuziehen. Damit habe er auch kein Recht auf Akteneinsicht.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 4.3.2019 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - Juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - Juris RdNr 4). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hat bereits keine abstrakt-generellen Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet. Sofern er vorträgt, er stelle die Frage, "ob der Kläger tatsächlich in diesem Verfahren nicht als Antragsgegner im Sinn von § 12 SGB X zu beteiligen ist", in die "umfassende Prüfungspflicht durch das Revisionsgericht", und durch das Revisionsgericht sei zu prüfen, "ob allein durch die Mitteilung aus dem Jahr 2015 der Beklagte durch sein eigenes Handeln den Beteiligtenstatus des Klägers automatisch eröffnet hat, indem er ihn aufgefordert hat, zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen", hat der Kläger damit ersichtlich auf seinen Einzelfall bezogene Fragestellungen formuliert. Entsprechendes gilt, wenn er ausführt, "abweichend von § 12 Abs 2 SGB X" sei "festzustellen, dass der Beklagte den Kläger hier nicht nur von der Einleitung des Verfahrens benachrichtigt hat, sondern ihn zur Mitwirkung aufgefordert hat", und vorträgt, das Revisionsgericht habe zu prüfen, "ob sich die Beteiligtenstellung des Klägers aufgrund seines eigenen Antrags ergibt und dieser Antrag hätte entsprechend ausgelegt werden müssen, da über diesen Antrag keine ordnungsgemäße Entscheidung bis zum jetzigen Zeitpunkt vorliegt". Insgesamt sind die Ausführungen des Klägers in der Beschwerdebegründung unter verschiedenen Blickwinkeln allgemein auf die rechtliche Bewertung des konkreten Sachverhalts im vorliegenden Einzelfall und somit gegen die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils gerichtet. Hierauf kann jedoch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auch im Rahmen einer Grundsatzrüge nicht zulässig gestützt werden (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 24.1.2019 - B 13 R 370/17 B - Juris RdNr 5 mwN).
2. Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu in Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB BSG Beschluss vom 13.12.2017 - B 5 R 256/17 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - Juris RdNr 12 f). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger trägt vor: Das BSG habe in seinem Beschluss vom 30.11.1994 (11 RAr 89/94 - SozR 3-1300 § 25 Nr 3) ausgeführt, dass der Begriff des rechtlichen Interesses enger zu verstehen sei als derjenige des berechtigten Interesses. Ein rechtliches Interesse eines Beteiligten sei gegeben, wenn die Einsichtnahme bezwecke, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich-relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten. Von dieser Rechtsprechung sei das LSG abwichen, weil ihm rechtsfehlerhaft das Akteneinsichtsrecht verwehrt worden sei.
Mit diesem und seinem weiteren Vorbringen hat der Kläger keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bezeichnet. Er benennt keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Urteil. Er trägt vielmehr nur vor, dass nach seiner Auffassung das Berufungsgericht den Begriff des rechtlichen Interesses eines Beteiligten "rechtsfehlerhaft" ausgelegt habe. Damit rügt der Kläger aber lediglich die vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG. Sein Vortrag geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus. Zudem setzt die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in dem angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist aber selbst dann nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 7.10.2016 - B 9 V 28/16 B - Juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 9.5.2017 - B 13 R 240/16 B - Juris RdNr 20 mwN).
3. Schließlich war der Senat nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, falls weiterer Sachvortrag für erforderlich erachtet wird, vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 9.1.2019 - B 9 SB 62/18 B - Juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 14.3.2018 - B 9 SB 2/18 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 47 Abs 3, § 52 Abs 2 GKG.
Fundstellen