Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisnotstand. Beweiserleichterungsrichtlinie
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung darf einem "Beweisnotstand" dadurch Rechnung getragen werden, daß das Tatsachengericht an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen weniger hohe Anforderungen stellt als grundsätzlich vorgeschrieben.
2. Allgemeingültige Beweiserleichterungsrichtlinien widersprechen dem in § 128 Abs 1 S 1 SGG verankerten Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung.
Normenkette
SGG § 128 Abs 1 S 1, § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr Hinterbliebenenentschädigung wegen des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes am 13. April 1984 aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu gewähren, in zweiter Instanz ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 30. Mai 1986, Urteile des Sozialgerichts -SG- Bayreuth vom 14. August 1987 - S 1 UL 44/86 - und des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 15. Februar 1989 - L 2 U 276/87 -).
Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Die Beschwerde war deshalb entsprechend § 169 SGG und mit der Kostenfolge entsprechend § 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Beschwerdeführerin weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Damit sind aber die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht so "dargelegt" und "bezeichnet", wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangt diese Vorschrift, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54, 58). Daran fehlt es der Beschwerde.
1.
Zur Begründung der Grundsätzlichkeit einer Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Eine vom Revisionsgericht bereits geklärte Rechtsfrage ist im Regelfall nicht mehr klärungsbedürftig. Macht die Beschwerdeführerin gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so hat sie zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache vorzutragen, ob und von welcher Seite der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist, und welche Einwendungen gegen sie vorgebracht worden sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). An der Klärungsbedürftigkeit der geltend gemachten Rechtsfrage fehlt es der Beschwerde.
a)
Die Beschwerdeführerin mißt der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob im Fall des Beweisnotstandes die Anforderungen an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen gemäß §§ 118, 128 SGG trotz des Grundsatzes freier Beweiswürdigung zu reduzieren sind.
Diese Frage hat der Senat jedoch längst entschieden. Schon in dem von der Beschwerdeführerin angeführten Urteil vom 29. März 1963 (BSGE 19, 52, 56) hat der Senat ausgeführt, im Rahmen der freien Beweiswürdigung dürfe einem "Beweisnotstand" dadurch Rechnung getragen werden, daß das Tatsachengericht an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen weniger hohe Anforderungen stellt als grundsätzlich vorgeschrieben (bestätigt in BSGE 24, 25, 28 f, und im Urteil des 8. Senats des BSG vom 20. Januar 1977 - 8 RU 48/76 -). Zu Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalles abhänge, welche Anforderungen im Fall des sog "Beweisnotstandes" zu stellen seien, um den vorgeschriebenen Beweis als erbracht anzusehen.
b)
Die Beschwerdeführerin mißt der weiteren Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob bei Darlegungs- und Beweisnotstand abweichend von den §§ 118, 128 SGG die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Arbeits-(Wege-)Unfalls genüge.
Auch diese Frage ist bereits höchstrichterlich entschieden worden. Der Senat hat in BSGE 58, 76, 79 und 80, 83 sowie in BSGE 61, 127, 128 ausführlich dargestellt, welche Beweisanforderungen grundsätzlich an das Vorhandensein versicherter Tätigkeit einerseits und an die kausale Verknüpfung zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallgeschehen andererseits zu stellen sind. Nach der oa Rechtsprechung zum sog "Beweisnotstand" gilt, daß je nach den Umständen des Einzelfalls entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden dürfen. Damit hat der Senat zugleich entschieden, wie sich aus dem Gegenschluß ergibt, daß sich eine Verallgemeinerung, wie sie die Beschwerdeführerin höchstrichterlich entschieden haben will, verbietet. Allgemeingültige Beweiserleichterungsrichtlinien würden insoweit dem in § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widersprechen.
c)
Danach sind beide Fragen nicht mehr klärungsbedürftig, zumal die Beschwerdeführerin auch nicht dargelegt hat, daß dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden sei. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG kann der Rechtssache deshalb auch nicht zukommen.
Soweit die Beschwerde hinter den vorgeschobenen Rechtsfragen auf die Beweiswürdigung durch das LSG im vorliegenden Einzelfall zielt und sie für sachlich falsch hält, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen; denn § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG schließt es aus, die Nichtzulassungsbeschwerde auf Fehler der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu stützen.
2.
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend begründet, wenn erklärt wird, mit welcher genau bestimmten, tragenden rechtlichen Aussage das angegriffene Urteil von welchem genau bestimmten, tragenden Rechtssatz einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29). Daran fehlt es der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin hat keinen tragenden Rechtssatz des LSG bezeichnet, der von solchen der genannten höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht, sondern nur eine vermeintliche Abweichung im Entscheidungsergebnis herausgestellt. Damit ist jedoch eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht schlüssig bezeichnet. Das gilt um so mehr, als der Wortlaut der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils die vermeintliche Abweichung unmittelbar widerlegt. Denn im Anschluß an den Hinweis auf die Entscheidung des Senats in BSGE 19, 52 führt das LSG in Abwägung aller Umstände aus, es habe sich auch unter Berücksichtigung des Darlegungs-/Beweisnotstandes der Klägerin nicht davon überzeugen können, daß sich der Ehemann der Klägerin zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls auf einem Weg befunden habe, der im inneren Zusammenhang mit seinem landwirtschaftlichen Unternehmen gestanden habe. Damit hat das LSG keine Abweichung, sondern eine Übereinstimmung mit den Rechtssätzen in BSGE 19, 52 zum Ausdruck gebracht.
Fundstellen