Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Orientierungssatz
§ 128 Abs 2 SGG soll verhindern, daß die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der die Beteiligten keine Veranlassung hatten, sich zu äußern. Das gilt insbesondere, wenn ein Rechtsmittelgericht dem Rechtsstreit eine neue Wendung geben will, mit der die Beteiligten nicht zu rechnen brauchten.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 128 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 05.04.1989; Aktenzeichen L 3 U 115/88) |
Gründe
Der Kläger ist mit seinem Begehren, den Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation als Folge eines Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1981 anzuerkennen und zu entschädigen, ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1984; Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 23. Mai 1986, des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 30. September 1987, des Bundessozialgerichts -BSG- vom 28. Juni 1988 sowie des LSG vom 5. April 1989). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, es habe sich nach dem Beweisergebnis nicht feststellen lassen, daß der Kläger auf einem mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach dem Ort der Tätigkeit verunglückt sei und sich dabei eine Bandscheibenschädigung, die eine zweimalige Operation notwendig gemacht habe, zugezogen habe. Für den nicht zu befahrenden Teil des Grundstücks seien die Schneeräumarbeiten eine eigenwirtschaftliche (unversicherte) Tätigkeit; für die Fahrstrecke seien sie als vorbereitende Tätigkeit nicht versichert gewesen.
Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Zwar weist der Beschwerdeführer auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Er macht geltend, das angegriffene Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Damit sind aber die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht so bezeichnet, wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangt diese Vorschrift, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54 und 58). Daran fehlt es der Beschwerde.
Der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe die Tagesberichte des (zuständigen) Straßenbauamtes S. und der Straßenmeisterei S. für den Unfalltag (21. Dezember 1981) nicht berücksichtigt, indem es auch nach ihrer "Wiederentdeckung" seine Meinung nicht geändert, den Schneefall bzw die Schneeverwehungen als unbedeutend erscheinen lassen und seine erforderlichen Arbeitsleistungen bagatellisiert habe (wie sich bereits aus dem Sachvortrag der Berichterstatterin im Termin am 5. April 1989 ergebe). Diese Vorwürfe betreffen im Kern die Beweiswürdigung des LSG iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG kann ein Zulassungsgrund nicht auf eine Verletzung dieser Vorschrift gestützt werden.
Ein auf Verletzung des § 170 Abs 5 SGG gestützter Verfahrensmangel ist nur dann nach § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend begründet, wenn erklärt wird, welche genau bestimmte entscheidungserhebliche rechtliche Aussage im angefochtenen Urteil mit welchem genau bestimmten Rechtssatz im zurückverweisenden Urteil des BSG unvereinbar ist (vgl Beschluß des Senats vom 4. April 1989 - 2 BU 193/88 -). Dem trägt die Beschwerde nicht Rechnung. Der Kläger zeigt keinen tragenden Rechtssatz des angefochtenen Urteils auf, der mit der Rechtsauffassung des Senats im zurückverweisenden Urteil vom 28. Juni 1988 nicht vereinbar wäre. Davon abgesehen ist das LSG unter ausdrücklicher Bezugnahme und teilweise wörtlicher Wiederholung der in diesem Urteil tragenden Rechtssätze (s insbesondere S 7/8 des angefochtenen Urteils) im Rahmen seines nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG im Beschwerdeverfahren nicht nachprüfbaren Rechts der freien Beweiswürdigung (s BSG SozR 1500 § 160 Nr 26 und SozR aaO § 160a Nr 60) zu der Überzeugung gelangt, daß die für die Fahrstrecke erforderlichen Schneeräumarbeiten nur vorbereitende Tätigkeiten und deshalb nicht versichert waren.
Die ferner vom Kläger gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 128 Abs 2 SGG) durch das LSG ist ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 2 SGG. Diese Vorschrift soll verhindern, daß die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der die Beteiligten keine Veranlassung hatten, sich zu äußern. Das gilt insbesondere, wenn ein Rechtsmittelgericht dem Rechtsstreit eine neue Wendung geben will, mit der die Beteiligten nicht zu rechnen brauchten (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, RdNr 8 zu § 62). Der sich daraus ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dem entsprechenden Hinweispflichten des Gerichts beziehen sich jedoch nur auf erhebliche Tatsachen, die dem Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Solche hat das LSG im vorliegenden Fall auch nach dem Vortrag des Beschwerdeführers aber nicht in das Verfahren eingebracht. Es hat lediglich das vorhandene Beweisergebnis anders als der Beschwerdeführer gewürdigt und dargelegt, weshalb es die Schneeräumarbeiten als nicht versicherte Tätigkeit angesehen hat. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gedanken zuvor mit den Beteiligten zu erörtern.
Gegenstand des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde ist, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, nicht die Frage, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Gerade aber dies macht der Beschwerdeführer im Kern zum Gegenstand seiner ausführlichen Beschwerdebegründung. Daran scheitert die Beschwerde.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen