Verfahrensgang
SG Lüneburg (Entscheidung vom 23.01.2019; Aktenzeichen S 4 R 225/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.06.2019; Aktenzeichen L 2 R 146/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 26.6.2019 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung eines höheren Zugangsfaktors trotz Vorbezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Der Kläger misst den Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung bei,
1. "ob § 77 Abs. 3 Satz 2 SGB VI ausschließlich für Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung gilt, oder auch für Renten wegen voller Erwerbsminderung",
2. "ob diese Regelung verfassungsgemäß ist, da sie gleiche Dinge ungleich behandelt und somit gegen Art. 3 GG verstößt" und 3. "ob § 77 Abs. 3 Satz 2 SGB VI überhaupt ein taugliches Mittel darstellt, um das vom LSG auf mehreren Seiten dargestellte Ziel der Rentengleichheit zu erreichen."
Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit diesen Formulierungen aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgezeigt hat (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN). So lässt etwa die aufgeworfene Frage 1 offen, ob der Kläger eine verfassungskonforme Auslegung des § 77 Abs 3 Satz 2 SGB VI anstrebt oder dessen analoge Anwendbarkeit auf Renten wegen voller Erwerbsminderung. Ebenso bleibt unklar, auf welche konkreten rechtlichen Gesichtspunkte sich Frage 3 bezieht (Vereinbarkeit der Norm mit sonstigen verfassungsrechtlichen Grundsätzen?); überdies ist deren abstrakt-genereller Charakter aufgrund der Koppelung an die Rechtsausführungen des LSG in einem einzelnen Rechtsstreit zweifelhaft.
Jedenfalls hat die Beschwerdebegründung die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen sowie die Klärungsfähigkeit der Frage 3 nicht ausreichend dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Diesen Anforderungen ist nicht genügt.
Sollte der Kläger mit Frage 1 die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 77 Abs 3 Satz 2 SGB VI geklärt wissen möchten, fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Norm, der sich ausdrücklich nur auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht, und der Rechtsprechung des BVerfG, wonach die verfassungskonforme Auslegung im Wortlaut des Gesetzes und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers ihre Grenze findet (vgl nur BVerfG Beschluss vom 16.12.2014 - 1 BvR 2142/11 - juris RdNr 86 mwN). Sollte der Kläger die Klärung der Frage einer analogen Anwendbarkeit des § 77 Abs 3 Satz 2 SGB VI auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anstreben, fehlt es an der Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen einer Analogie (vgl hierzu BSG Urteil vom 23.7.2014 - B 12 P 1/12 R - SozR 4-2500 § 251 Nr 2 RdNr 21 ff mwN; BSG Urteil vom 18.6.2014 - B 3 P 7/13 R - SozR 4-3320 Art 45 Nr 1 RdNr 14 ff mwN) und der Darlegung, welche Auswirkungen die Anwendung der höchstrichterlichen Vorgaben auf die aufgeworfene Fragestellung hat bzw welche Fragen ungeklärt bleiben.
Leitet eine Beschwerde - wie hier Frage 2 - die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus der Verletzung einer Norm des GG ab, darf sie sich nicht auf die bloße Benennung eines angeblich verletzten Rechtsgrundsatzes beschränken, sondern muss unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der (konkret) gerügten Verfassungsnorm in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr, zB bereits BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 f = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 13 f). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG im Einzelnen dargelegt werden (stRspr, zB BSG Beschluss vom 12.7.2013 - B 1 KR 123/12 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - juris RdNr 6).
Dies ist hier nicht geschehen. Die Beschwerdebegründung befasst sich schon nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 3 Abs 1 GG. Sie beschäftigt sich weder allgemein mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Differenzierung in Bezug auf die Rechtsfolgen gleicher bzw ungleicher Sachverhalte noch geht sie auf Gesichtspunkte ein, die das BVerfG insbesondere im Bereich des Sozialversicherungsrechts als hinreichende sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung anerkannt hat (vgl zu dem Erfordernis dieser Darlegung BSG Beschluss vom 25.4.2017 - B 12 KR 102/16 B - juris RdNr 11). Der Kläger beschränkt sich vielmehr darauf zu erläutern, aus welchen Gründen er selbst davon ausgeht, dass § 77 Abs 3 Satz 2 SGB VI die Personengruppe von Rentnern, die eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, gegenüber der Gruppe von Rentnern, die eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhält, zu Unrecht ungleich behandelt.
Hinsichtlich der Frage 3 lassen sich der Beschwerdebegründung schließlich keine Ausführungen entnehmen, die hinreichend deutlich der Erläuterung ihrer Klärungsbedürftigkeit zugeordnet werden können. Abgesehen davon, zeigt der Kläger auch nicht die Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit der Frage 3 auf. Warum von ihrer Beantwortung die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13500540 |