Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwartschaftserhaltende Zahlungen der Volkspolizei für Häftlinge

 

Orientierungssatz

1. Die Rechtsfrage, was als "zurückgelegte Beitragszeit" iS des § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) zu verstehen ist, insbesondere, ob von einer solchen Zeit nur dann gesprochen werden kann, wenn diese auch im Fremdland als Beitragszeit anerkannt ist, ist in dem Teil, in dem sie für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits tragend ist, bereits durch das BSG entschieden.

2. Um einen bestimmten Lebensabschnitt eines Versicherten als Beitragszeit iS der §§ 15, 17 FRG in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anrechnen zu können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen ist maßgebend, welchen Charakter das Rentenrecht des Herkunftslandes der streitigen Zeit beimißt. Zum anderen kommt es darauf an, ob die Rechtsposition des Herkunftslandes in der Bundesrepublik einer Zeit gleichzustellen ist, die nach Bundesrecht versicherungsrelevant zurückgelegt werden kann.

3. Da durch § 15 FRG der Verlust einer anwartschaftsbegründenden fremden Zeit entschädigt werden soll, scheidet aus, daß diese erst durch das innerstaatliche Recht fingiert wird (hier: § 1397 Abs 6 RVO).

 

Normenkette

FRG §§ 15, 17; RVO § 1397 Abs 6

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 22.02.1988; Aktenzeichen L 1 J 27/85)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. Der Kläger hat sich zwar auf alle Möglichkeiten berufen, aber keine davon hinreichend substantiiert vorgetragen.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung "dargelegt" werden. Der Beschwerdeführer hat hiernach ua aufzuzeigen, daß die von ihm als grundsätzlich ausgegebene Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist, inwiefern folglich ihre Beantwortung zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl BSG in SozR 1500 § 160a Nrn 17, 54, 60; BVerfG in SozR 1500 § 160a Nr 48). Das hat der Kläger nicht getan. Die von ihm formulierte Rechtsfrage, was als "zurückgelegte Beitragszeit" iS des § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) zu verstehen ist, insbesondere, ob von einer solchen Zeit nur dann gesprochen werden kann, wenn diese auch im Fremdland als Beitragszeit anerkannt ist, ist in dem Teil, in dem sie für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits tragend ist, bereits durch das BSG entschieden.

Um einen bestimmten Lebensabschnitt eines Versicherten als Beitragszeit iS der §§ 15, 17 FRG in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anrechnen zu können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen ist maßgebend, welchen Charakter das Rentenrecht des Herkunftslandes der streitigen Zeit beimißt. Zum anderen kommt es darauf an, ob die Rechtsposition des Herkunftslandes in der Bundesrepublik einer Zeit gleichzustellen ist, die nach Bundesrecht versicherungsrelevant zurückgelegt werden kann. Dies hat der Große Senat (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Beschluß vom 4. Juni 1986 (Az GS 1/85; SozR 5050 § 15 Nr 32) mit Bezug auf den in der DDR abgeleisteten Grundwehrdienst als einer Zeit ohne tatsächliche Beitragsentrichtung formuliert. Hiermit hat er - wie sich auch aus der Wiederaufnahme der daran angeschlossenen Ausführungen in seinem Beschluß vom 25. November 1987 (Az.: GS 2/85; SozR 5050 § 15 Nr 35) erkennen läßt - die Merkmale für eine Anerkennung von versicherungsrechtlichen Positionen im deutschen Rentenversicherungssystem allgemein gültig bestimmt.

Unter dem ersten Blickwinkel ist die Rechtslage in dem Umfang, wie sie für die Entscheidung des Rechtsstreites des Klägers erheblich ist, bereits durch das Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juli 1980 (Az 5 RJ 50/79) hinreichend geklärt. Da nach §§ 15, 17 Abs 1a FRG der Verlust von Zeiten entschädigt werden soll, die nach fremden Recht eine Anwartschaft begründet und nicht nur erhalten haben, ist es auch für die Anwendung des § 15 FRG entscheidend, ob nach fremdem Recht Beitragszeiten vorliegen. Beitragszeit iS des § 15 Abs 1 FRG ist jede auf Versicherungspflicht beruhende Zugehörigkeit zu einer Versicherungseinrichtung, die den Anforderungen des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG genügt und die durch ein irgendwie geartetes Beitragssystem finanziert wird. Da durch § 15 FRG der Verlust einer anwartschaftsbegründenden fremden Zeit entschädigt werden soll, scheidet aus, daß diese erst durch das innerstaatliche Recht fingiert wird. Ungeachtet dessen, ob § 1397 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) überhaupt anzuwenden ist, wenn eine staatliche Gefängnisverwaltung vom Lohn der Gefangenen Beträge abzieht, ohne sie an den Sozialversicherungsträger weiter abzuführen, kann jedenfalls aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden, daß außerhalb der Bundesrepublik - also dort, wo die Regelung nicht gilt - Beitragszeiten bestehen, die dann wieder über § 15 FRG in der Bundesrepublik zu berücksichtigen sind. Bloße anwartschaftserhaltende Zahlungen, die von der Volkspolizei für Häftlinge entrichtet wurden, waren keine Beiträge und begründeten auch keine Beitragszeiten. Solche Anwartschaftsgebühren dienten lediglich der Erhaltung schon erworbener Rechte aus Beitragszeiten, ließen im übrigen aber die versicherungsrechtliche Stellung des Häftlings unverändert. Mit diesen Ausführungen des erkennenden Senats, an denen er festhält, ist die Frage beantwortet, wie die vom Kläger behauptete Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen entgegen dem förmlich geltenden Recht der DDR in der fraglichen Zeit - selbst einmal unterstellt, die Behauptung des Klägers träfe zu - rechtlich allgemein zu beurteilen ist.

Ist eine Rechtsfrage aber bereits vom Revisionsgericht entschieden, so ist sie nur dann klärungsbedürftig im anfangs genannten Sinn, wenn der Rechtsprechung des Revisionsgerichts in nicht geringfügigem Umfang (in der juristischen Literatur) widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Derartige Gegenstimmen sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat Gesichtspunkte, die über die Erwägungen in dem genannten Urteil hinausgehen, nicht aufgezeigt.

Der Kläger hat auch nicht die von ihm gerügte Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des BSG in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise "bezeichnen" können. Zwar hat er die Entscheidung des BSG, von der das Landessozialgericht (LSG) abgewichen sein soll, mit der Nennung der Entscheidung des BSG vom 30. Januar 1985 - Az 1 RJ 72/84; SozR 5050 § 15 Nr 28 - hinreichend genau zitiert. Er hat aber nicht deutlich genug dartun können, zu welcher spezifischen Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt, dh in welchem abstrakt formulierten Rechtssatz sich das vorinstanzliche Urteil von welchem abstrakt formulierten Rechtssatz der abweichungsbegründenden BSG-Entscheidung unterscheidet (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29). Das Urteil aus dem Jahr 1985 hat zu der Frage Stellung genommen, welche rechtliche Situation gegeben ist, wenn im Herkunftsland (im entschiedenen Fall: DDR) in Abweichung von den offiziell verkündeten einschlägigen Normentexten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend einer dort als verbindlich anerkannten allgemeinen Rechtsübung entrichtet worden sind. Das angefochtene Urteil geht in den gedanklichen Voraussetzungen seiner Entscheidungsgründe erkennbar von dieser Rechtsprechung des BSG aus, wenn es zum einen auf Seite 11 ausführt: "Nach dem damaligen Recht der DDR ist auch unwahrscheinlich, daß Beiträge für den Kläger entrichtet wurden" und daran anschließend zur damaligen Rechtslage in der DDR Stellung nimmt, zum anderen vor allem aber auf Seite 12/13 den Satz enthält: "Daß im Widerspruch zum damals geltenden Recht in der DDR aufgrund einer allgemein geübten Rechtspraxis dennoch für arbeitende Strafgefangene von ihrem Lohn Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgezogen und abgeführt wurden, ist jedenfalls für den Bereich des Zuchthauses Luckau weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht". Diese vom Kläger nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffene (dazu siehe unten) rechtliche Feststellung des LSG ist in der Revisionsinstanz nicht nachprüfbar, da es sich beim Recht der DDR nicht um Bundesrecht oder sonstiges im Bereich des Berufungsgerichts geltendes, über den Bereich des Berufungsgerichtes hinausgehendes Recht, also nicht um revisibles Recht handelt; insoweit sind die rechtlichen Wertungen des LSG für das Revisionsgericht bindend (§ 162 SGG, § 202 SGG iVm § 562 der Zivilprozeßordnung -ZPO-; BSG SozR 5050 § 15 Nr 7).

Ob der Kläger zugleich eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des GS des BSG vom 4. Juni 1986 - Az GS 1/85 - rügt, ist aus seiner Beschwerdebegründung zwar nicht eindeutig zu entnehmen. Selbst wenn dies aber der Fall sein sollte, hat er auch insofern nicht hinreichend klargemacht, zu welcher spezifischen Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Im Gegenteil hat er selber wiederholt darauf hingewiesen, daß der GS in der zitierten Entscheidung sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie eine im Herkunftsland bestimmte beitragsfreie Zeit in der Bundesrepublik zu berücksichtigen sei. Da das angefochtene Urteil es mit einer solchen Problematik nicht zu tun hatte, kann eine Abweichung also auch nicht gegeben sein.

Mit der Rüge, das LSG hätte nicht auf die vom Kläger beantragte Vernehmung von Zeugen, die im Urteil des LSG Berlin vom 16. November 1979 genannt seien, verzichten dürfen, macht der Kläger als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 103 Satz 1 SGG geltend. Hiermit kann er jedoch schon nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 202 SGG entsprechend geltenden Vorschriften der §§ 558, 295 ZPO (s erkennender Senat Beschluß vom 30. Dezember 1987, Az 5a BKn 10/86; SozR 1750 § 295 Nr 3) nicht gehört werden. Zwar hat er die Vernehmung dieser Zeugen noch im Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Januar 1988 beantragt. Bei der darauffolgenden mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 1988 hat er aber, obgleich er durch seinen anwesenden Prozeßbevollmächtigten vertreten war, einen gleichartigen Antrag nicht mehr gestellt und damit den behaupteten Mangel nicht mehr gerügt.

Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 ZPO und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654335

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