Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsgremien. Prüfung. Zulassungsentziehung. weniger belastendes Mittel

 

Orientierungssatz

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet die Prüfung, ob ein weniger belastendes Mittel als die Entziehung der Zulassung ausreichend ist, um den Vertragsarzt nachhaltig zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (vgl BSG vom 15.4.1986 - 6 RKa 6/85 = BSGE 60, 76 = SozR 2200 § 368a Nr 15).

 

Normenkette

SGB 5 § 95 Abs. 6, § 98 Abs. 2; Ärzte-ZV § 27

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 29.04.1998; Aktenzeichen L 5 KA 2817/97)

SG Reutlingen (Urteil vom 09.07.1997; Aktenzeichen S 1 KA 381/97)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-sozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. April 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben dem Beklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.·

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist teils unbegründet, teils unzulässig. Soweit der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht wird, kommt es auf die dargelegte Rechtsfrage für die Entscheidung nicht an. Soweit Divergenz gerügt wird, entspricht die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Kläger haben sich mit ihrer Berufung erfolglos gegen das die Entziehung ihrer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung bestätigende Urteil des Sozialgerichts Reutlingen gewandt. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat den zur Zulassungsentziehung berechtigenden Vorwurf der gröblichen Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten wegen Falschabrechnungen und unwirtschaftlicher Behandlungsweise bestätigt und ist davon ausgegangen, daß der Kläger zu 1. die Entscheidungen des Klägers zu 2. zu den zu beanstandenden Abrechnungen gebilligt hat.

Die Kläger halten für grundsätzlich bedeutsam, ob einem Vertragsarzt im Rahmen des Zulassungsentziehungsverfahrens der Pflichtverstoß eines anderen Vertragsarztes zugerechnet werden kann, weil beide in der gleichen Gemeinschaftspraxis tätig sind.

Auf diese Rechtsfrage kommt es im anhängigen Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich an (Klärungsfähigkeit). Dabei kann offenbleiben, ob der als grundsätzlich angesehenen Rechtsfrage überhaupt generelle Bedeutung zukommt, oder ob nicht vielmehr ihre Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Ungeachtet dessen könnte das vorliegende Verfahren nicht zur Klärung der Rechtsfrage führen. Das LSG hat nämlich das Fehlverhalten des Klä-gers zu 2. bei der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen dem Kläger zu 1. nicht allein deshalb zugerechnet, weil dieser mit dem Kläger zu 2. in einer Gemeinschaftspraxis verbunden war. Vielmehr hat das LSG ausgeführt, der Kläger zu 1. habe die entsprechenden Entscheidungen des Klägers zu 2. gebilligt. Auf die von den Klägern formulierte Rechtsfrage kann es daher erst dann ankommen, wenn die konkrete Rechtsanwendung des LSG in diesem Punkt mit zur Zulassung der Revision führenden Rügen angegriffen worden wäre. Daran fehlt es, so daß der Senat - ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG - die aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheiden könnte.

Soweit die Kläger geltend machen, das LSG sei von der Senatsentscheidung vom 15. April 1986 (- 6 RKa 6/85 - BSGE 60, 76) abgewichen, entspricht die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, so daß die Beschwerde insoweit unzulässig ist. Wird eine Rechtsprechungsabweichung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend gemacht, ist die behauptete Divergenz durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Beru-fungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung zu "bezeichnen" (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Ferner ist darzulegen, inwiefern das Berufungsurteil auf der Abweichung beruht.

Zwar haben die Kläger den dem Senatsurteil vom 15. April 1986 (aaO) zugrundeliegenden Rechtssatz, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Prüfung gebietet, ob ein weniger belastendes Mittel als die Entziehung der Zulassung ausreichend ist, um den Vertragsarzt nachhaltig zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, dargestellt. Indessen zeigt die Beschwerde keinen im Berufungsurteil enthaltenen, davon abweichenden Rechtssatz auf. Die Beschwerde behauptet lediglich, daß das LSG der Rechtsprechung des BSG nicht gefolgt sei, weil es ohne weitere Prüfungen der Erfolgsaussichten von Disziplinarmaßnahmen davon ausgegangen sei, daß die Entziehung der Zulassung das einzige Mittel sei, mit dem auf die Pflichtverletzungen der Kläger habe reagiert werden können. Mithin hat die Beschwerde keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG aufgezeigt, sondern lediglich behauptet, das LSG habe das Recht falsch angewendet. Im übrigen hat das LSG jedoch, entgegen der Beschwerdebegründung, ausgehend von den Senatsurteilen (BSGE 60, 76 und 66, 6) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durchaus geprüft (vgl Urteilsumdruck S 26 oben), hat aber ersichtlich wegen des Gewichts der Pflichtverletzungen der Kläger davon abgesehen, Erörterungen zur Wirksamkeit allein von Disziplinarmaßnahmen anzustellen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI9798982

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