Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 06.07.1993) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Juli 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Berufungsgericht dahin entschieden, daß bei dem Kläger wegen seiner früheren Alkoholabhängigkeit keine Behinderung iS des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) festzustellen sei. Organische Schäden seien nicht zurückgeblieben. Eine überwundene, latente Alkoholkrankheit könne möglicherweise im Hinblick auf die stets vorhandene Rückfallgefahr zwar als regelwidriger körperlicher Zustand iS des § 3 Abs 1 SchwbG bezeichnet werden, bewirke jedoch keine Funktionsbeeinträchtigung. Zwar dürfe der Kläger auch normale Mengen Alkohol nicht zu sich nehmen, wenn er den Rückfall vermeiden wolle; dies sei jedoch keine Behinderung, auch keine soziale Beeinträchtigung. Er müsse Dritten gegenüber die Gründe für seine Abstinenz nicht preisgeben. Wer ärztlichen Anweisungen oder Empfehlungen folge, die den bisherigen Neigungen und Lebensgewohnheiten widersprächen, sei nicht allein deshalb behindert. Im übrigen habe das behauptete Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung keinen Einfluß auf den Gesamt-Grad der Behinderung (GdB).
Mit seiner Beschwerde erstrebt der Kläger die Zulassung der Revision. Nach seiner Auffassung ist über die Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, ob die Unfähigkeit zum Konsum von normalen Mengen Alkohol eine Funktionsbeeinträchtigung iS des SchwbG darstelle, und ob eine soziale Beeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhe, ebenso eine solche Funktionsbeeinträchtigung darstelle.
Fraglich ist schon, ob die Beschwerde formgerecht begründet ist. Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein wird, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Es ist schon zweifelhaft, ob die Beschwerdebegründung schlüssig darlegt, daß die aufgeworfenen Rechtsfragen klärungsfähig sind, daß sie also Auswirkungen auf die Streitentscheidung haben. Nicht der einzelne GdB ist von ausschlaggebender Bedeutung, sondern der Gesamt-GdB. In bezug auf die vom Kläger geltend gemachte Funktionsbeeinträchtigung hat das angefochtene Urteil aber eine Auswirkung auf den Gesamt-GdB verneint.
Als Rechtsfrage kann auch nicht allein bezeichnet werden, ob eine bestimmte Erkrankung eine Funktionsbeeinträchtigung darstellt. Zum einen stellt das Gesetz nicht einmal auf die Funktionsbeeinträchtigung, sondern auf ihre Auswirkung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft ab (§ 3 Abs 1 Satz 1 SchwbG); zum anderen handelt es sich bei der Entscheidung darüber, ob bestimmte regelwidrige Körperzustände Funktionsbeeinträchtigungen zur Folge haben, um Fragen, die im wesentlichen der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten sind.
Führt man den in der Beschwerde zur Prüfung gestellten Sachverhalt auf die Rechtsfrage zurück, ob es für den Begriff der Funktionsbeeinträchtigung genügt, daß ein regelwidriger körperlicher Zustand ein bestimmtes eigenverantwortliches Verhalten des Betroffenen gebietet, ist die Beschwerde zulässig, jedoch nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, die klärungsbedürftig ist. Die Frage darf sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz oder der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 mwN). Diese Voraussetzung erfüllt die vom Kläger herausgestellte Frage nicht, wiewohl sie bisher noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, geht es im Schwerbehindertenrecht um die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, so daß nicht die Diagnosen oder körperlichen Defizite, sondern die Behinderung zu erfassen ist, die darin besteht, daß der von Krankheit betroffene Mensch nicht mehr die Gesamtheit der ihm sozial zugeschriebenen Funktionen unbeeinträchtigt und ungefährdet wahrnehmen kann (vgl BSG SozR 3870 § 4 Nr 3 mwN; BSG, SGb 1993, 579). Unter diesem rechtlichen Ausgangspunkt kann die Antwort auf die mit der Beschwerde gestellten Frage nicht zweifelhaft sein. Wer krankmachende Stoffe meidet, ist nur dann behindert, wenn er damit in den genannten Bezügen, also in Arbeit, Beruf und Gesellschaft auffällig wird. Sind in diesen Bereichen Defizite nicht wahrzunehmen, fehlt es zumindest an den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen. Damit wird die in der Beschwerde gestellte Frage ohne weiteres beantwortet: Die Abstinenz von Suchtmitteln hat selbst dann keine Behinderung zur Folge, wenn die Abstinenz maßgeblich auf einem regelwidrigem Körperzustand und nicht auf freier Willensentschließung beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen