Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage, mit der die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt wird, kann nicht Gegenstand einer neuen Klage sein. Eine Klage auf Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist daher unzulässig.

 

Normenkette

SGG § 55 Fassung: 1953-09-03, § 97 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

In Sachen …

wird der Antrag des Klägers des Revisionsklägers, ihm für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, abgelehnt.

 

Gründe

Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig vom 18. November 1960, durch das seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Schleswig vom 28. März 1960 als unzulässig verworfen wurde, mit einen von ihm unterzeichneten Schreiben Revision eingelegt und beantragt, ihm für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) das Armenrecht zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen.

Zwischen dem Kläger und der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) besteht Streit über die Rechtmäßigkeit von Honorarabstrichen, die die KV an mehreren Vierteljahresabrechnungen des Klägers für das Jahr 1958 vorgenommen hat. Der Kläger hat den ihm hierüber erteilten Bescheid beim SG Schleswig mit der Klage angefochten und beantragt, die Nichtigkeit dieses Bescheides festzustellen, hilfsweise: den Bescheid aufzuheben. Während dieses schwebenden Verfahrens verlangte der Kläger von der beklagten KV die sofortige Zahlung der von der KV nicht anerkannten Teilbeträge seiner Abrechnungen mit der Begründung, seine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit habe aufschiebende Wirkung. Als die beklagte KV dies mit Schreiben vom 22. Dezember 1959 ablehnte, erhob er beim SG Schleswig erneut Klage mit dem Antrag,

die Nichtigkeit des Bescheides vom 22. Dezember 1959 festzustellen sowie die Aufschubwirkung anzuordnen.

Das SG wies die Klage als unzulässig ab. Es ließ die Frage offen, ob das Schreiben der KV vom 22. Dezember 1959, mit dem sie abgelehnt hatte, der ersten Nichtigkeitsfeststellungsklage des Klägers aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, überhaupt ein anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei. Jedenfalls fehle es an dem Rechtsschutzinteresse für die zweite Nichtigkeitsfeststellungsklage; denn der Kläger hätte die von ihm angenommene aufschiebende Wirkung seiner ersten Klage - wenn überhaupt - in jenem Verfahren geltend machen können, in dem über die von ihm begehrte Feststellung der Nichtigkeit der Honorarabstriche zu entscheiden sei. - Auf die nicht zugelassene Berufung des Klägers hin hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen, weil es die Berufung als durch § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen angesehen hat.

Diese Auffassung des LSG beruht auf einem Rechtsirrtum. Die Honoraransprüche der Kassenärzte gegen die KV betreffen wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG (BSG 11, 102, 108); denn diese Ansprüche ergeben sich aus einem einheitlichen Stammrecht - dem Mitgliedschaftsverhältnis bei der KV - und werden der Art nach immer gleich regelmäßig wiederkehrend in vierteljährlichen Zeitabständen geltend gemacht ("abgerechnet"). Zu Unrecht sicht das LSG daher in der Geltendmachung von Honoraransprüchen, die sich auf mehrere Abrechnungsperioden beziehen, eine Klagenhäufung im Sinne des § 56 SGG oder, wie es in BSG 8, 228, 231 ausgedrückt ist, mehrere selbständige prozessuale Ansprüche. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft vielmehr einen Anspruch auf wiederkehrende - in vierteljährliche Abrechnungszeitabschnitte gegliederte - Leistungen, dessen Einheit noch dadurch verfahrensrechtlich besonders unterstrichen wird, daß der Kläger, verbunden mit der Anordnung der Aufschubwirkung, die Feststellung der Richtigkeit eines Bescheides der beklagten KV begehrt, mit dem diese eine den gesamten Anspruch erfassende Rechtsfolge zum Ausdruck gebracht hat.

Kann demnach auch nicht die Verwerfung der Berufung als unzulässig gebilligt werden, so müssen der beabsichtigten Rechtsverfolgung jedoch aus anderen Gründen Erfolgsaussichten abgesprochen werden. Zutreffend hat das SG die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen. Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger das Ziel, daß die nach seiner Ansicht mit der Erhebung einer früheren Klage eingetretene aufschiebende Wirkung (§ 97 Abs. 7 Nr. 3 SGG) nunmehr vom Gericht angeordnet wird; die außerdem begehrte Feststellung der Nichtigkeit des zur Frage der aufschiebenden Wirkung ergangenen Ablehnungsbescheides der beklagten KV tritt - wie bei der mit einer Leistungsklage verbundenen Klage auf Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsakts - hinter dem in erster Linie verfolgten Klageziel zurück. Angesichts der zu manchen Zweifeln Anlaß gebenden unbestimmten Fassung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 SGG (vgl. dazu Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGG, 2. Auflage Stand: Dezember 1961, § 97 Anm. 4 mit weiteren Nachweisen) ist nicht zu verkennen, daß nicht selten ein Bedürfnis nach einem klärenden Ausspruch des Gerichts darüber besteht, ob eine auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts gerichtete Klage tatsächlich aufschiebende Wirkung gehabt hat. Jedoch widerspräche es völlig der Systematik des SGG (vgl. §§ 54, 55 SGG) und auch der Prozeßökonomie, wenn über die Frage, ob eine Klage eine bestimmte verfahrensrechtliche Wirkung gehabt hat, in einem zweiten Prozeß gestritten werden könnte. Hierüber könnte - wenn überhaupt - nur in den durch die erste Klage ausgelösten Verfahren entschieden werden. Wie der 3. Senat des BSG erwogen hat (BSG 12, 185, 190), käme für eine solche Vorabentscheidung möglicherweise ein Zwischenurteil (§ 303 ZPO i.V.m. § 202 SGG) in Betracht. Jedenfalls ist nach dem geltenden Verfahrensrecht eine Klage auf gerichtliche Anordnung - oder Feststellung - der aufschiebenden Wirkung einer früher erhobenen Klage unzulässig.

Da hiernach die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts abzulehnen (§ 167 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 114, 126 der Zivilprozeßordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2351450

JR 1963, 457

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