Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.01.2001) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der im Jahre 1953 geborene Kläger bezog wegen der Folgen zweier Arbeitsunfälle vom 22. September 1978 und 18. Dezember 1980 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um jeweils 10 vH. Er ist mit seinem Begehren auf Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 22. Dezember 1995 (Sturz von einem Container mit Fraktur des Stirnbeins, Schädelbeins und Oberkiefers sowie des Radius rechts und des Radiusköpfchens links) ohne Erfolg geblieben. Die Beklagte bewilligte ihm wegen der chirurgisch-orthopädischen Folgen dieses Arbeitsunfalls mit Bescheid vom 24. Juni 1997 Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH. Mit Widerspruch, Klage und Berufung machte der Kläger – erfolglos – darüber hinaus Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet (Wesensänderung, Seh- und Hörminderung, vollständiger Verlust des Riech- und Geschmacksempfindens) geltend.
Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 25. Januar 2001 im wesentlichen ausgeführt, es lägen allein Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet vor, die mit einer MdE um 20 vH zutreffend bewertet seien. Die Beweisaufnahme durch Einholung bzw Vorlage augenärztlicher, hals-nasen-ohren-fachärztlicher Gutachten sowie der folgenden neurologisch-psychiatrischen Gutachten (Dr. D.… vom 4. September 1996, Prof. Dr. F.… vom 2. März 1998, Dr. G.… vom 22. Februar und 28. Mai 1999, Prof. Dr. B.… vom 1. April und 2. Juli 1999, Dr. E.… vom 20. November 2000 und Dr. B.… vom 13. Dezember 2000) habe zur Überzeugung des Gerichts ergeben, daß eine Sehstörung, Hörstörung sowie Geschmacksstörung nicht bestünden und die Geruchsstörung auf dem Arbeitsunfall vom 18. Dezember 1980 beruhe. Neurologischpsychiatrisch zu beurteilende Folgen des Arbeitsunfalles vom 22. Dezember 1995 bestünden nicht. Die Ärzte Dr. D.…, Prof. Dr. F.… und Prof. Dr. B.… hätten nachvollziehbar ausgeführt, daß eine Hirnverletzung des Klägers nicht nachzuweisen sei. Die nach Angaben des Klägers kurze Zeit nach dem Unfall vorgelegene Bewußtlosigkeit sei mit einer folgenlos ausgeheilten Gehirnerschütterung vereinbar. Substantielle Hirnverletzungen seien in den unfallnah gefertigten Computertomogrammen und in der Kernspintomographie nicht nachzuweisen gewesen. Eine für eine Hirnverletzung typische initiale Beschwerdesymptomatik habe nicht vorgelegen. Die anfänglich einer organisch bedingten Leistungsminderung zugewiesene Verlangsamung sei nach allen Gutachten – mit Ausnahme des Gutachtens von Dr. E.… – Simulations- und Aggravationstendenzen zuzuschreiben. Die Beurteilung des Dr. E.…, beim Kläger liege eine unfallbedingte schwere Psychose mit gravierenden Denkstörungen und kognitiven Defiziten vor, sei nicht überzeugend. Eine gesicherte Diagnose liege dieser Beurteilung des Sachverständigen nach seinen eigenen Ausführungen nicht zugrunde. Denn auch er habe bei der Untersuchung des Klägers an drei Untersuchungstagen eine eindeutige Diagnose nicht stellen können; Selbst dann, wenn man von einer Psychose als erwiesener Gesundheitsstörung ausgehen würde, sei deren Zusammenhang mit dem Unfallereignis nicht wahrscheinlich. Dr. E.… selbst habe ausgeführt, die Ätiologie einer Psychose sei ungeklärt. Sofern Dr. E.… allein das Erleben des Unfallereignisses bei einer möglicherweise psychotischen Grundstruktur der Person des Klägers als wesentliche Teilursache diskutiere, überzeuge dies den Senat nicht. Zur Durchführung weiterer Ermittlungen, insbesondere zu der vom Kläger zuletzt hilfsweise beantragten Einholung eines weiteren neurologischen Gutachtens, habe keine Veranlassung bestanden. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt sei hinreichend aufgeklärt.
Mit der gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG gerichteten Beschwerde macht der Kläger als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geltend. Das LSG sei ohne hinreichende Begründung seinem in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren neurologischen Gutachtens nicht gefolgt. Aufgrund der vorliegenden widersprüchlichen Gutachten hätte sich das Gericht hierzu aber gedrängt fühlen müssen. Insbesondere habe auch die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2000 beantragt gehabt, ein weiteres Gutachten einzuholen, und als Sachverständigen Prof. Dr. S.… aus S.… vorgeschlagen.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ohne hinreichenden Grund bedeutet hier, daß die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 sowie ua Beschluß vom 7. November 2000 – B 2 U 300/00 B –). Zu einer weiteren Aufklärung hätte nur dann zwingende Veranlassung bestanden, wenn nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum – medizinischen – Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben wären (stRspr des Senats, s ua Beschluß vom 22. August 2000 – B 2 U 203/00 B –). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Es kann dahinstehen, ob der vom Kläger mit der Beschwerdebegründung bezeichnete Antrag in der mündlichen Verhandlung des LSG, ein neurologisches Gutachten einzuholen, ein prozeßordnungsgerechter Beweisantrag ist. Denn jedenfalls hat das LSG, entgegen der Beschwerdebegründung, eine zumindest hinreichende Begründung dafür gegeben, warum es davon absah, ein weiteres neurologisches Gutachten einzuholen. Widersprüchliche Gutachten allein zwingen nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens. Ein – neues – Gutachten ist nur dann einzuholen, wenn das Gericht sich aufgrund der schon vorliegenden – prozeßrechtlich verwertbaren – Gutachten keine hinreichend sichere Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt bilden kann und die Einholung eines Gutachtens insoweit erfolgversprechend ist. Das Gericht ist grundsätzlich in der Würdigung der Sachverständigengutachten frei und kann zB auch ohne Einholung weiterer Gutachten von einem bereits eingeholten Gutachten abweichen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 2440 II mwN). Zur Freiheit der Beweiswürdigung gehört die Entscheidung über den Umfang und die Art der Ermittlungen. Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten besteht nur dann, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich (nicht gegeneinander) widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (BSG Beschluß vom 11. Mai 1999 – B 2 U 60/99 B –). Diese Voraussetzungen sind dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Sie liegen auch nicht zutage. Vielmehr ist nach Aktenlage davon auszugehen, daß das LSG sich aufgrund der von ihm für überzeugend gehaltenen Gutachten der Ärzte Dr. D.…, Prof. Dr. F.… und Prof. Dr. B.… eine hinreichend sichere Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt gebildet hat.
Die weiteren Ausführungen des Klägers richten sich im Kern gegen die Beweiswürdigung durch das LSG. Derartige Rügen können jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, da eine Überprüfung der Beweiswürdigung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ausdrücklich ausgeschlossen ist. Dieser Hinweis soll keinesfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiswürdigung durch das LSG andeuten.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
SozVers 2002, 218 |
SozSi 2003, 179 |