Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 27.10.1995) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.
Gründe
Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Revisionsverfahren vor dem BSG nur dann Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Prozeßbevollmächtigter beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, denn auch eine formgerecht eingelegte und begründete Revision würde voraussichtlich keinen Erfolg haben.
Das LSG hat die in erster Linie streiterhebliche Frage, ob die Klägerin die Klagefrist versäumt hat, im Ergebnis zutreffend verneint. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. Juli 1993 gilt der Klägerin als am 22. Juli 1993 zugestellt. Als die Klage beim SG Augsburg einging (6. September 1993), war die am 23. August 1993 (einem Montag) endende Klagefrist abgelaufen.
Gemäß § 87 Abs 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Zustellung des Verwaltungsaktes zu erheben. Der von der Klägerin angefochtene Widerspruchsbescheid ist zwar ausweislich eines auf dem Bescheid angebrachten Stempels am 16. Juli 1993 vom Rechtsmitteldezernat „zur Post” gegangen. Hierbei handelt es sich aber lediglich um die Bestätigung eines innerbehördlichen Vorgangs, nämlich um die Zuleitung an die Poststelle der Beklagten, die den Versand durch das öffentliche Beförderungsunternehmen (dh die Deutsche Bundespost; heute: Deutsche Post AG) zu veranlassen hatte. In bezug auf diesen nachfolgenden Vorgang enthalten die Verwaltungsakten der Beklagten den weiteren Vermerk der Poststelle der Beklagten vom 2. September 1993, daß nach der im Selbstbucherverfahren vorgenommenen und von der Post (dh der Deutschen Bundespost) bestätigten Eintragung in die Einlieferungsliste der eingeschriebenen Sendungen (Posteinlieferungsbuch) an die Klägerin am 19. Juli 1993 mit der Einlieferungsnummer 821 ein eingeschriebener Brief (dh der Widerspruchsbescheid) zur Post (dh der Deutschen Bundespost) aufgegeben wurde. Die Einlieferung wird in einer bei den Verwaltungsakten befindlichen Auskunft der Deutschen Bundespost vom 13. September 1993 bestätigt.
Die gemäß § 65 Abs 2 SGB X, Art 1 Abs 1 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes, § 4 VwZG vorgesehene Zustellung war wirksam. Bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes gilt dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 4 Abs 1 VwZG). Der 19. Juli 1993 ist als Tag der „Aufgabe zur Post” anzusehen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht, soweit ersichtlich, als offenbar selbstverständlich davon aus, daß auf die Übergabe an die Deutsche Bundespost abzustellen ist (vgl BSG in MDR 1970, 87 und SozR Nrn 7, 9 und 11 zu § 4 VwZG; BFHE 95, 419). Dies folgt auch nach der Auffassung des Senats aus dem Wortlaut von § 4 Abs 1 VwZG. Da dort ua von einer Zustellung durch die Post „mittels eingeschriebenen Briefes” die Rede ist, kann mit dem Wort „Post” nur diejenige Institution gemeint sein, bei der eingeschriebene Briefe befördert werden. Eine solche Möglichkeit bestand im Juli 1993 allein bei der Deutschen Bundespost. Richtigerweise ist deshalb nicht ein früherer Tag der Zuleitung von der Fachabteilung an die innerbehördliche Poststelle zugrunde zu legen. Außerdem ergibt sich aus § 3 VwZG iVm § 195 Abs 2 ZPO und § 39 der Postordnung, daß Zustellungen im Rechtssinne nur durch Bedienstete der Deutschen Bundespost wirksam vorgenommen werden können. Anderenfalls könnte der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post im Streitfall auch nicht durch eine öffentliche Urkunde der Deutschen Bundespost, den Einlieferungsschein oder das Posteinlieferungsbuch, nachgewiesen werden. Demzufolge gilt der Widerspruchsbescheid als am 22. Juli 1993, dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Deutschen Bundespost, zugestellt.
Die gesetzliche Zustellungsvermutung ist zwar dadurch in Frage gestellt geworden, daß die Klägerin den Zugang des Widerspruchsbescheides bestritten hat. Die Beklagte hat dann aber, wie das LSG rechtsfehlerfrei festgestellt hat, den ihr gemäß § 4 Abs 1 VwZG obliegenden Beweis für den Zugang und dessen Zeitpunkt durch die Auskünfte der Deutschen Bundespost vom 13. und 15. September 1993 geführt. Danach wurde die vorgenannte Sendung am 20. Juli 1993 der Klägerin ausgehändigt. Gleichwohl ist hierdurch das gesetzlich vermutete Zustellungsdatum (22. Juli 1993) nicht außer Kraft gesetzt worden, sondern weiterhin maßgebend (BVerwGE 22, 11; BFHE 87, 542).
Schließlich ist dem Erfordernis des § 4 Abs 2 VwZG Genüge getan, daß der Tag der Aufgabe zur Post „in den Akten zu vermerken” ist. Vermerken bedeutet lediglich, daß der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, daß auch eine mit der Sache bisher nicht befaßte Person ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluß über den Tag der Aufgabe des Briefes zur Post gibt (Engelhardt/App, VwVG-VwZG-Komm, 4. Aufl 1996, § 4 Anm 8 mwN). Einen solchen Hinweis enthält nicht nur der Vermerk der Poststelle der Beklagten vom 2. September 1993, sondern auch die in den Akten der Beklagten enthaltene Auskunft der Deutschen Bundespost vom 13. September 1993, welche die Einlieferung der Sendung am 19. Juli 1993 – in Übereinstimmung mit dem bei der Beklagten verwahrten Posteinlieferungsbuch – bestätigt hat. Daß diese Erklärungen erst einige Zeit nach der Einlieferung zu den Akten der Beklagten gelangt sind, ist unschädlich (Engelhardt/App, aaO, mwN).
Nicht erforderlich ist, daß der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt bzw – was das LSG zur Zulassung der Revision veranlaßt hat – ein Vermerk über die Aufgabe zur Post auf dem Verwaltungsakt angebracht ist. Hierfür bieten der Gesetzeswortlaut sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung oder die Literatur keinen Anhalt. § 4 Abs 2 VwZG schreibt weder eine spezifische Form noch einen bestimmten Inhalt des Aktenvermerks vor; auch braucht der Bedienstete, der den Aktenvermerk anzulegen hat, nicht bezeichnet zu sein. Diese Auffassung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BSG (MDR 1970, 87 und SozR Nrn 7, 9 und 11 zu § 4 VwZG) und ist auch – soweit ersichtlich – von den anderen obersten Bundesgerichten nicht anders entschieden worden. Streit besteht lediglich, ob das Fehlen eines jeglichen Aktenvermerks zur Unwirksamkeit der Zustellung führt (vgl BSG, aaO; BVerwGE 39, 257; Engelhardt/App, aaO, und Zeihe, SGG-Komm, Stand 1. September 1993, § 4 VwZG Anm 4b und 6b, jeweils mwN; Krasney in WzS 1971, 297). Eine solche Frage stellt sich hier jedoch nicht und kann, da im vorliegenden Falle die Aufgabe zur Post nachgewiesen ist und ein ausreichender Aktenvermerk vorliegt, weiterhin unentschieden bleiben.
Somit hat das LSG zutreffend entschieden, daß die Klägerin die Klagefrist versäumt hat. Das LSG hat ihr insoweit auch rechtsfehlerfrei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert, weil die Klägerin ein Verschulden an dem Fristversäumnis trifft (§ 67 Abs 1 SGG). Ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG Augsburg ist deshalb zu Recht zurückgewiesen worden.
Da der Klägerin keine Prozeßkostenhilfe zusteht, war ihr Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ebenfalls abzulehnen.
Die gleichzeitig mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe eingelegte Revision der Klägerin entspricht nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Denn sie ist nicht von einem nach § 166 SGG für das Verfahren vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet. Der Senat hat die somit unzulässige Revision durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen