Leitsatz (amtlich)

1. Die Rüge, das Landessozialgericht habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, entspricht nicht dem Formerfordernis des SGG § 164 Abs 2 S 2, wenn der Revisionskläger nicht angegeben hat, zu welchem Ergebnis nach seiner Ansicht die für erforderlich gehaltene Ermittlung geführt hätte.

2. Die Rüge, das Landessozialgericht habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten, entspricht nicht dem Formerfordernis des SGG § 164 Abs 2 S 2, wenn der Revisionskläger nicht angegeben hat, zu welchem Ergebnis nach seiner Ansicht eine gesetzmäßige Beweiswürdigung geführt hätte.

3. Verfahrensrügen, welche nicht dem Formerfordernis des SGG § 164 Abs 2 S 2 entsprechen, sind nicht geeignet, die Statthaftigkeit der Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 2 zu begründen.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 21. Juni 1956 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Juli 1956 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 21. Juni 1956 durch ihren Prozeßbevollmächtigten S bei dem Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen, Rechtsschutzsekretariat, Kassel, mit Schriftsatz vom 7. August 1956 am 8. August 1956 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Klägerin rügt die Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht), § 106 Abs. 2 Nr. 3 SGG (Einholung von Auskünften durch den Vorsitzenden vor der mündlichen Verhandlung) und des § 128 SGG (Überschreiten der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung); der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. G habe durch fernmündlichen Anruf ermittelt, daß der Gutachter Dr. M den Krankheitsbefund nur auf Grund klinischer, nicht aber auf Grund röntgenologischer Untersuchung erhoben habe; diese Ermittlung hätte das Landessozialgericht aber selbst anstellen müssen und hätte das Ergebnis der Ermittlungen des Prof. Glatzel nicht verwerten dürfen. Sie hat nicht angegeben, welches Ergebnis nach ihrer Ansicht eine durch das Gericht selbst durchgeführte Beweisaufnahme gehabt hätte; auch mittelbar kann aus ihren Angaben in der Revisionsbegründungsschrift kein Hinweis hierauf entnommen werden. Es ist zwar zu vermuten, daß sie diese Angabe unterlassen hat, weil sie das Ergebnis der Ermittlungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen für zutreffend hält, zum Ausdruck ist dies jedoch nicht gekommen. Diese Rüge entspricht nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach hat der Revisionskläger die Tatsachen, welche die von ihm gerügte Gesetzesverletzung ergeben sollen, zu bezeichnen, d. h. vollständig zu bezeichnen. Die Klägerin hätte danach auch angeben müssen, zu welchem Ergebnis die von ihr für erforderlich gehaltenen Ermittlungen nach ihrer Ansicht geführt hätten. Entsprechendes gilt hinsichtlich ihrer Rüge, das Landessozialgericht habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten. Die Klägerin hätte auch angeben müssen, zu welchem Ergebnis das Landessozialgericht bei einer gesetzmäßigen Beweiswürdigung nach ihrer Ansicht hätte kommen müssen. Wenn die Klägerin sich lediglich auf die Erhebung dieser Rügen beschränkt hätte, würde die Revision daher schon als unzulässig verworfen werden müssen, weil sie nicht gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 SGG begründet worden ist. Da aber ihre weitere Rüge, das Landessozialgericht habe noch ein neues Gutachten einholen müssen, den Erfordernissen des § 162 Abs. 2 Satz 2 SGG entspricht, mußte die Revision im Ergebnis als formgerecht begründet angesehen werden.

Die Revision ist jedoch nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGG nicht statthaft. Da das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG schon deshalb nicht vorliegen können, weil über einen Ursachenzusammenhang im Sinne dieser Vorschrift nicht entschieden worden ist und auch nicht zu entscheiden war, konnte sie nur statthaft sein, wenn ein von der Klägerin gerügter Verfahrensmangel durchgreifen würde (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob sich der gerichtlich bestellte Sachverständige noch im Rahmen des ihm zustehenden Rechts die für die Erstattung des Gutachtens erforderliche Aufklärung selbst vorzunehmen, gehalten hat oder ob das Gericht diese Ermittlungen hätte selbst anstellen müssen, jedenfalls greifen die in erster Linie erhobenen Rügen schon deshalb nicht durch, weil die Klägerin nicht angegeben hat, zu welchem Ergebnis nach ihrer Ansicht eine eigene Ermittlung und eine gesetzmäßige Beweiswürdigung des Gerichts geführt hätte. Wenn auch der Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG keine entsprechende Einschränkung erkennen läßt, so kann doch nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur eine solche Rüge gemeint sein, welche den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entspricht, denn es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber eine diesen Formerfordernissen nicht entsprechende Rüge zwar als nicht ordnungsgemäß erhoben, aber dennoch als geeignet ansehen wollte, die Statthaftigkeit der Revision zu begründen, zumal sie auch gemäß dem nach § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwendenden § 559 ZPO bei der Prüfung, ob die Revision begründet ist, unbeachtlich ist.

Die weitere Rüge der Klägerin, das Landessozialgericht habe noch ein Obergutachten einholen müssen, ist zwar - wie bereits ausgeführt - formgerecht erhoben, greift aber nicht durch. Das Landessozialgericht hat schlüssig begründet, warum es von der Einholung eines weiteren Gutachtens abgesehen hat. Da es, von der Revision nicht wirksam angegriffen, festgestellt hat, daß Dr. M keine Röntgenuntersuchung durchgeführt hat, durfte es durchaus der Schlußfolgerung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. G folgen und von der Einholung eines weiteren Gutachtens absehen; es ist grundsätzlich Sache des Tatsachengerichts, welchem Gutachten es den Vorzug gibt, und es entscheidet auch grundsätzlich nach freiem Ermessen über den Umfang der zu erhebenden Beweise. Die Überschreitung der Grenzen dieses Rechts ist nicht ersichtlich.

Da somit keiner der erhobenen Verfahrensmängel durchgreift, war die Revision nicht statthaft und mußte nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304703

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