Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Zustimmungserfordernis bei Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung. Vorherige Einholung der Zustimmung. Darlegungspflicht. Darlegung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Förderung der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung setzt u.a. voraussetzt, dass vor Beginn der Teilnahme die nach § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III (in der Fassung vor Inkrafttreten der Neuregelung dieser Vorschrift durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002) erforderliche Zustimmung des Arbeitsamts vorliegt. Eine nachträgliche Zustimmung ist nicht möglich (st.Rspr.; vgl. BSG, SozR 4-4300 § 77 Nr 1).

2. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Revisionsnichtzulassungs-Beschwerdeführer eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (d.h. ihre Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) darlegen, letzteres jedoch nur, soweit sich nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit die behauptete Breitenwirkung ergibt. Diesen Erfordernissen wird die lapidare Behauptung des Beschwerdeführers nicht gerecht, es seien die Fragen zu klären, ob die Verweigerung der Zustimmung zu einer Umschulung gegen Art. 12 GG verstoße und ob rückblickende Betrachtungen allgemein für die Auslegung von Normen herangezogen werden dürfen.

 

Normenkette

SGB III § 77 Abs. 1 Nr. 3; SGG § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 12

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 25.05.2004; Aktenzeichen L 7 AL 231/02)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.05.2005; Aktenzeichen 1 BvR 2792/04)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Antrag des Klägers aus dem Jahre 1998 auf Förderung einer Umschulung zum Rechtsanwaltsfachangestellten wurde von der Beklagten abgelehnt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung hauptsächlich ausgeführt, ungeachtet der übrigen Voraussetzungen könne der Kläger eine Förderung nach § 77 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht beanspruchen, weil die Beklagte der Teilnahme an der Maßnahme nicht vor deren Beginn zugestimmt habe (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 3. Juli 2003 – B 7 AL 66/02 R –, SozR 4-4300 § 77 Nr 1). Der Kläger macht die folgenden Zulassungsgründe geltend.

1. Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stelle sich: “Ist die Zustimmung nach § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III ein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt oder eine einfache Willenserklärung einer Behörde, die auch entsprechend dem bürgerlichen Recht nachträglich gegeben werden kann?”.

2. Eine Abweichung des Berufungsurteils von der zitierten BSG-Entscheidung liege darin, dass das LSG ausschließlich darauf abstelle, dass eine Zustimmung nach § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III fehle und diese nicht ersetzt werden könne, weil keinerlei Gesichtspunkte vorlägen, wonach die Beklagte ihn (den Kläger) etwa durch fehlerhafte Auskünfte von der rechtzeitigen Einschaltung des Arbeitsamtes abgehalten hätte. Das BSG habe jedoch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch lediglich als Beispielsfall für eine Ersetzung angeführt und keine Ausführungen dazu gemacht, dass dieser der einzige begründete Ausnahmefall sei. Demgegenüber sei das Berufungsurteil ersichtlich dahin zu verstehen, dass weitere Einzelfälle zur Ersetzung der Zustimmung nicht möglich seien.

3. Ungeklärt sei die grundsätzliche Frage, “ob die Auslegung des § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III dahingehend, dass sich der Regelungsinhalt dieser Vorschrift idF des AFRG mit hinreichender Deutlichkeit – rückblickend – aus § 77 SGB III idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I 4621) erschließe, verfassungsgemäß und mit Art 3 und Art 95 Grundgesetz (GG) vereinbar ist.” Diese Rechtsfrage sei auch klärungsbedürftig, zumindest in der Verallgemeinerung, ob rückblickende Betrachtungen allgemein für die Auslegung von Normen herangezogen werden dürften.

4. Klärungsbedürftig sei weiter die Frage, ob die Verweigerung der Zustimmung zu seiner (des Klägers) Umschulung durch die Beklagte gegen Art 12 GG verstoße.

5. Eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des BSG liege darin, dass das LSG sämtliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 417 SGB III unterlassen habe; hieraus lasse sich schließen, dass es § 417 SGB III für nicht anwendbar halte. Damit verstoße es gegen die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 14. Juli 1994 – 7 RAr 32/93 –, BSGE 75, 1 = SozR 3-4100 § 47 Nr 4). Er (der Kläger) habe vorgetragen, dass § 417 SGB III auf die Förderung der Umschulung anzuwenden sei. Er sei durch die Vorgaben der Rechtsanwaltskammer gezwungen gewesen, die Maßnahme als dreijährige Umschulung durchzuführen, weil die Rechtsanwaltskammer einer Verkürzung auf zwei Jahre nicht zustimme; das BSG habe in dem og Urteil ausgeführt, dass die Entscheidung über die Umschulungsdauer in die Kompetenz der Rechtsanwaltskammer falle und die Beklagte an diese Entscheidung gebunden sei.

6. Der Kläger rügt schließlich als Verfahrensmangel, dass das LSG in dem Urteil ausführe, für ihn habe die Möglichkeit zur Ersetzung der Zustimmung zur Förderung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bestanden, deshalb sei praktisch kein Raum mehr für eine nachträgliche Überprüfung der Entscheidung. Diese Begründung könne jedoch keinen Bestand haben, da er (der Kläger) genau dies versucht habe. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung sowie die dagegen gerichtete Beschwerde zu der “Kammer”, die nun auch das Urteil verkündet habe, seien mangels Anordnungsgrundes unter Verweis auf die Sozialhilfe abgewiesen worden. Dies verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, da, hätte man zum Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweilige Anordnung den jetzigen Sinn und Zweck des § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III schon erkannt, die Entscheidung ganz anders hätte ausfallen müssen; zumindest wäre der Hinweis auf Sozialhilfe kein zutreffendes Argument gewesen. Das LSG wäre daher verpflichtet gewesen, eine nachträgliche Prüfung der Voraussetzungen für die Umschulung durchzuführen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger aufgeworfenen Zweifel vermögen nicht erneut die Klärungsbedürftigkeit der bereits mit Senatsurteil vom 3. Juli 2003 (SozR 4-4300 § 77 Nr 1) entschiedenen Rechtsfragen zu begründen. Im Übrigen scheitert die Beschwerde bereits daran, dass sie die insoweit bestehenden Formvorschriften nicht einhält.

1. Der Senat hat mit Urteil vom Juli 2003 (aaO) entschieden, dass eine Förderung der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung ua voraussetzt, dass vor Beginn der Teilnahme die nach § 77 Abs 1 Nr 3 SGB III (vor Inkrafttreten der Neuregelung dieser Vorschrift durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl I 4621) erforderliche Zustimmung des Arbeitsamts vorliegt. Damit aber beantwortet sich die vom Kläger (siehe oben I 1) gestellte Rechtsfrage dahingehend, dass jedenfalls eine nachträgliche Zustimmung nicht möglich ist. Als einzige Ausnahme hat der Senat (aaO RdNr 38) angeführt, dass der Antragsteller aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein kann, als habe das Arbeitsamt vor Maßnahmebeginn zugestimmt. Diese Ausführungen versteht der Kläger (siehe oben I 2) falsch, wenn er meint, hieraus herleiten zu können, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch lediglich ein Beispielsfall für eine Ersetzung darstelle.

Insgesamt hält der Senat an seiner vom Kläger angegriffenen Auslegung der angeführten Vorschrift in der streitigen Gesetzesfassung fest; die vom Kläger gestellten Rechtsfragen sind auch in Kenntnis seiner Argumentation nicht erneut klärungsbedürftig.

2. Hinsichtlich der unter I 3 bis 6 dargestellten weiteren vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe fehlt es bereits daran, dass die grundsätzliche Bedeutung, die Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung bzw der Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt bzw bezeichnet sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen, letzteres jedoch nur, soweit sich nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit die behauptete Breitenwirkung ergibt.

Diesen Erfordernissen wird die lapidare Behauptung (zu I 3 und 4) nicht gerecht, es seien die Fragen zu klären, ob die Verweigerung der Zustimmung der Beklagten zur Umschulung des Klägers gegen Art 12 GG verstoße und, ob rückblickende Betrachtungen allgemein für die Auslegung von Normen herangezogen werden dürfen.

b) Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 163 ff, Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160 RdNr 13 ff). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn der Beschluss des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass der angefochtene Beschluss auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der angezogenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Beschluss des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67; Kummer, aaO, RdNr 168).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung (zu I 5) bereits deshalb nicht gerecht, weil sie weder einander widersprechende Rechtssätze des BSG einer- und des LSG andererseits gegenüberstellt noch geltend macht, das LSG habe einem Rechtssatz des BSG im Grundsätzlichen widersprochen. Diese Voraussetzungen lassen sich nicht ersetzen, indem man aus dem Umstand, dass sich das LSG zu einer Rechtsvorschrift nicht äußere, eine bestimmte Rechtsansicht des Berufungsgerichts unterstellt.

c) Soweit der Kläger (zu I 6) als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens rügt, wendet er sich gegen einen angeblichen Widerspruch zwischen Entscheidungen im Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz einerseits und dem Berufungsurteil andererseits. Selbst wenn ein solcher bestünde, wäre hieraus bereits deshalb kein Verfahrensmangel abzuleiten, weil es keinen verfahrensrechtlichen Rechtssatz des Inhalts gibt, dass die Entscheidung im Hauptsacheverfahren das materiellrechtliche Ergebnis des vorläufigen Verfahrens berücksichtigen muss.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1576220

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