Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anhörungsrüge. Verletzung rechtlichen Gehörs. behauptete Verletzung von Hinweispflichten durch das Revisionsgericht
Orientierungssatz
1. Richtet sich eine Anhörungsrüge - wie hier - gegen eine Entscheidung des Revisionsgerichts über die Nichtzulassung der Revision, muss dargelegt werden, dass das Revisionsgericht durch seine Entscheidung den Anspruch auf rechtliches Gehör neu und eigenständig verletzt hat (vgl BSG vom 9.9.2010 - B 11 AL 4/10 C = SozR 4-1500 § 178a Nr 10).
2. Mit der alleinigen Behauptung, der Senat habe § 139 ZPO verletzt, wird eine Gehörsverletzung indes nicht schlüssig begründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) enthält keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts (vgl BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 = BVerfGE 98, 218 und BSG vom 12.3.2021 - B 4 AS 378/20 B). Etwas anderes gilt nur zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
3. Das Revisionsgericht ist nicht verpflichtet, einem Beschwerdeführer - auch im Fall einer Bitte des Prozessbevollmächtigten um einen richterlichen Hinweis - vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen (vgl BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B und vom 30.3.2017 - B 13 R 53/17 B).
Normenkette
SGG § 178a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 5, § 62; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139
Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 24. August 2021 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Anhörungsrügeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Anhörungsrüge ist gemäß § 178a Abs 4 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht.
Nach § 178a Abs 2 Satz 5 SGG muss die Rüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Abs 1 Satz 1 Nr 2 genannten Voraussetzungen darlegen. Nach § 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese Darlegungen müssen bis zum Ablauf der Frist für die Erhebung der Anhörungsrüge erfolgen und eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schlüssig aufzeigen (BSG vom 9.9.2010 - B 11 AL 4/10 C - SozR 4-1500 § 178a Nr 10 RdNr 12 mwN). Richtet sich die Anhörungsrüge - wie hier - gegen eine Entscheidung des Revisionsgerichts über die Nichtzulassung der Revision, muss dargelegt werden, dass das Revisionsgericht durch seine Entscheidung den Anspruch auf rechtliches Gehör neu und eigenständig verletzt hat (BSG vom 9.9.2010 - B 11 AL 4/10 C - SozR 4-1500 § 178a Nr 10 RdNr 13).
Diesen Anforderungen wird die Anhörungsrüge der Klägerin nicht gerecht. In den Schriftsätzen vom 15.9.2021 und vom 11.10.2021 bringt die Klägerin lediglich vor, dass der Senat entgegen § 139 ZPO keinerlei Hinweis vor der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erteilt habe, nachdem und obwohl sie - die Klägerin - mit Schriftsätzen vom 14.6.2021, 24.7.2021, 14.8.2021 und 20.8.2021 umfangreich vorgetragen habe. Nachdem die Klägerin im Schriftsatz vom 15.9.2021 wohl noch vermutet hatte, dass dem Senat die genannten Schriftsätze nicht vollständig vorgelegen hätten, hat sie hieran - nach Akteneinsicht - nicht festgehalten, indem sie diese Vermutung zu Recht als "vermeintlich" beschrieben hat. Mit der Behauptung, der Senat habe § 139 ZPO verletzt, hat die Klägerin indes eine Gehörsverletzung nicht schlüssig behauptet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) enthält keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts (BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 [263] = juris RdNr 162; BSG vom 12.3.2021 - B 4 AS 378/20 B - juris RdNr 6 mwN). Etwas anderes gilt zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen nur, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; etwa BVerfG vom 7.10.2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 [345 f] = juris RdNr 14; BSG vom 4.7.2018 - B 11 AL 22/18 B - juris RdNr 4). Hierzu hat die Klägerin nichts schlüssig vorgetragen. Ihr Verweis darauf, dass keinerlei Hinweis des Senats nach § 139 ZPO vor seiner Entscheidung erfolgt sei, genügt insoweit nicht. Das BSG ist nicht verpflichtet, einem Beschwerdeführer - auch im Fall einer Bitte des Prozessbevollmächtigten um einen richterlichen Hinweis, falls weiterer Sachvortrag erforderlich sei - vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen (BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - juris RdNr 7; BSG vom 30.3.2017 - B 13 R 53/17 B - juris RdNr 6). Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG(BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - juris RdNr 7; BSG vom 20.1.2015 - B 13 R 439/14 B - RdNr 10 mwN) .
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG).
Fundstellen
Dokument-Index HI15073852 |