Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.12.1996) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 1996 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, als er am 4. August 1995 einen Unfall erlitt.
Der Kläger studierte damals Rechtswissenschaften an der Universität Köln. Er wohnte in W. Am 4. August 1995 verunglückte er dort mit einem Leichtkraftroller, wobei er sich erhebliche Verletzungen zuzog, als er sich auf dem direkten Weg von seiner Wohnung zum Postamt befand, um eine studienplanmäßig vorgeschriebene Universitäts-Hausarbeit aufzugeben, die er an diesem Tag fertiggestellt hatte. Sie mußte spätestens am 4. August 1995 entweder bei der Universität in Köln abgegeben oder mit der Post abgesandt werden, wobei für das Einhalten der Frist das Datum des Poststempels maßgeblich war.
Das beklagte Land lehnte es ab, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen (Bescheid vom 24. November 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1996): Die Fertigung der Hausarbeit im privaten Bereich habe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil diese Tätigkeit außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule verrichtet worden sei. Bei der Abgabe der Hausarbeit durch Aufgabe zur Post habe es sich um eine ausstrahlende Maßnahme im Zusammenhang mit dieser Hausarbeit gehandelt, die deshalb ebenfalls nicht versichert gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 4. September 1996 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß die vom Kläger bei dem Verkehrsunfall am 4. August 1995 erlittenen Verletzungen Folgen eines Arbeitsunfalles seien. Zwar seien Studierende an Hochschulen nicht schlechthin bei allen studienbezogenen Verrichtungen versichert. Der Versicherungsschutz erfasse nicht nur die eigentliche Teilnahme an Vorlesungsveranstaltungen, sondern auch das Aufsuchen anderer Hochschuleinrichtungen, wie Universitätsbibliothek, Seminare und Institute, zu Studienzwecken. Dagegen unterliege das Anfertigen von Hausarbeiten in privater Umgebung nicht dem Versicherungsschutz. Für die Abgrenzung der unversicherten privaten Sphäre des Studenten vom geschützten Bereich komme es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im jeweiligen Einzelfall darauf an, ob die zum Unfall führende Tätigkeit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen sei oder nicht. die Beförderung der Hausarbeit zur Post stelle keine mit der Anfertigung der Arbeit zusammenhängende „ausstrahlende Maßnahme” dar, weil der Weg zur Post zeitlich nach der Fertigung der Arbeit erfolge und räumlich außerhalb der ungeschützten privaten Sphäre begonnen habe, so daß er versicherungsrechtlich gesondert zu beurteilen sei. Da sich der Kläger mit der fertigen Hausarbeit nicht zur Abgabe zur Universität in Köln habe begeben wollen, sondern zum Postamt in W. gefahren sei, habe er sich im Unfallzeitpunkt auf einem der Hochschulausbildung wesentlich dienenden, dem Besuch einer Lehrveranstaltung gleichstehenden Betriebsweg befunden. Denn die Abgabe der schriftlichen Arbeit sei zur Erlangung des Übungsscheins erforderlich gewesen. Dieser wiederum habe zu den zwingenden Zulassungsvoraussetzungen für die erste juristische Staatsprüfung gehört. Außerdem habe sich der Kläger bei der Abgabe der Arbeit an die von der Universität gesetzte Frist halten müssen, die am Unfalltage geendet habe. Die vom Kläger zu beachtenden Förmlichkeiten hätten organisatorische Maßnahmen der Universität dargestellt. Sie hätten es auch den außerhalb Kölns wohnenden Teilnehmern ermöglichen sollen, die Bearbeitungszeit voll auszuschöpfen. Insofern sei der Kläger in den universitären Ausbildungsbetrieb eingebunden gewesen, so daß der zum Unfall führende Weg ebenso dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen sei, wie etwa das Abholen eines Übungsscheines an der Ausgabestelle des einschlägigen Instituts, was ebenfalls als Verrichtung einer versicherten Tätigkeit des Studenten angesehen werden kann.
Der Beklagte hat die – vom LSG zugelassene – Revision eingelegt und dazu vorgetragen, das Anfertigen von Hausarbeiten für das Studium in privater Umgebung unterliege nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dazu gehöre iS der Ausstrahlung auch das Verbringen der Hausarbeit zum Postamt. Soweit das LSG dieser Argumentation nicht folge, könne der Beklagte dem nicht zustimmen und sei weiterhin der Ansicht, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 1996 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 4. September 1996 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unzulässig. Er hat sein Rechtsmittel nicht ausreichend begründet.
Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision zu begründen. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung des Rechtsmittels soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten. Daher muß nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (s ua BSGE 70,186; BSG SozR 1500 § 164 Nrn 12, 20, 25; SozR 3-1500 § 164 Nr 9; SozR 3-5555 § 15 Nr 1; SozR 3-2500 § 106 Nr 12 jeweils mwN; BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17) die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet sein. Die Bezeichnung allein der verletzten Rechtsnorm genügt diesen Erfordernissen nicht. Es ist vielmehr darzulegen, daß und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muß sich, – zumindest kurz – mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, daß und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl schon BSG SozR 1500 § 164 Nr 12). Aus dem Inhalt der Darlegung muß sich ergeben, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat, und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Es reicht hierzu nicht aus, lediglich Rechtsansichten der Vorinstanz als unrichtig zu bezeichnen; vielmehr ist hinzuzufügen, warum sie nicht geteilt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vorinstanz ihre Rechtsauffassung näher begründet hat; in diesem Fall ist ein Eingehen auf den Gedankengang des Berufungsgerichts unumgänglich (BSG SozR 1500 § 164 Nr 20; BSG Beschluß vom 4. Februar 1997- 2 RU 43196 –).
Diesen Anforderungen wird die vom Beklagten mit Schriftsatz vom 29. Januar 1997 eingereichte Revisionsbegründung nicht gerecht. Ihr läßt sich nur entnehmen, daß nach Ansicht des Beklagten auch das Verbringen der Hausarbeit zum Postamt iS der Ausstrahlung zum nicht unter dem Schutz der Unfallversicherung stehenden Anfertigen von Hausarbeiten in privater Umgebung im Rahmen des Studiums gehöre. Der Rechtsansicht des LSG, der der Beklagte nicht zustimmen könne, hat er lediglich seine eigene gegenübergestellt. Das LSG hat im angefochtenen Urteil eingehend dargelegt, aus welchen Erwägungen es hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes des Klägers zu der vom Beklagten für unrichtig gehaltenen Ansicht gelangt ist. Hierauf ist der Beklagte nicht eingegangen. Er hat sich nicht einmal ansatzweise mit den Argumenten des Berufungsgerichts auseinandergesetzt. Das wäre aber erforderlich gewesen, um aufzuzeigen, weshalb er bei der Auslegung des angewandten Rechts anderer Auffassung ist und worin er die fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts durch das LSG erblickt. Der formelhafte und nichtssagende Vortrag des Beklagten bleibt deutlich hinter den Mindestanforderungen an eine Revisionsbegründung zurück.
Die nicht hinreichend begründete Revision des Beklagten mußte daher als unzulässig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen werden (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen