Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache
Orientierungssatz
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne von § 160a Abs 2 S 3 SGG muss die Beschwerdebegründung ausführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darstellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 = SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48 und BSG vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B = juris RdNr 6).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. September 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Rentnerin.
Die im Jahr 1950 geborene Klägerin war zuletzt ab dem Jahr 2001 gesetzlich krankenversichert. Sie hat zwei Kinder und nahm erstmals am 1.4.1966 eine Berufstätigkeit auf. Ihren im August 2017 gestellten Antrag auf Aufnahme in die Pflichtversicherung der Rentner lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18.8.2017, Widerspruchsbescheid vom 26.6.2018).
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (SG Gerichtsbescheid vom 14.12.2021, LSG Urteil vom 6.9.2022). Die Klägerin erfülle die erforderliche Vorversicherungszeit von 9/10 der zweiten Hälfte des Erwerbslebens nicht. Auch unter Berücksichtigung von drei Jahren Kindererziehungszeit pro Kind sei die erforderliche Vorversicherungszeit von 21 Jahren, sieben Monaten und 14 Tagen nicht erreicht. Die erforderliche 9/10-Belegung verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6).
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) schon deshalb nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
b) Unabhängig hiervon legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der am Ende der Beschwerdebegründung behaupteten "Rechtsfrage des Beginns der Berufstätigkeit sowie die weiteren vorgenannten begleiteten Umstände" und der "Definition der zweiten Hälfte des Berufslebens" nicht hinreichend dar. Die Klägerin führt aus, dass sie mehrfach ungleich behandelt werde. Weil sie in jungen Jahren bereits berufstätig gewesen sei, sei ein sehr langer Zeitraum der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Andererseits habe sie im hohen Alter keine Vorversicherungszeit mehr erfüllen können, weil sie wegen Schwerbehinderung frühzeitig in Rente gegangen sei. Weiterhin würden die Zeiten, in denen sie ihren Pflichten als Mutter nachgegangen und ihre eigene Mutter gepflegt habe, nicht hinreichend berücksichtigt. Schließlich werde sie ungleich behandelt, weil ihr früherer Ehemann sich für eine in der GKV versicherungsfreie berufliche Karriere entschieden habe. Damit macht sie sinngemäß geltend, dass die Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V wegen einer außergewöhnlichen Kumulation von zu ihren Lasten zu berücksichtigender Umstände in ihrem konkreten Einzelfall zu ungerechten Ergebnissen führe. Zur Darlegung einer grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit ist aber eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Frage von allgemeiner Bedeutung aufzuzeigen. Soweit die Klägerin auf zwei Entscheidungen des BSG (Urteil vom 26.6.1996 - 12 RK 8/95 - BSGE 78, 297 = SozR 3-2500 § 5 Nr 29 und Urteil vom 27.6.2012 - B 12 KR 11/10 R - SozR 4-2500 § 175 Nr 4) Bezug nimmt, wird nicht ausgeführt, inwiefern grundsätzliche Fragen zur Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V offen geblieben sind.
Es genügt auch nicht, einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu behaupten, ohne sich substantiiert mit der zu Art 3 Abs 1 GG ergangenen Rechtsprechung des BSG (vgl zu den Zugangsvoraussetzungen zur Rentnerkrankenversicherung Urteil vom 4.6.2009 - B 12 KR 26/07 R - BSGE 103, 235 = SozR 4-2500 § 5 Nr 8 mwN) sowie des BVerfG und etwaigen sachlichen Differenzierungsgründen auseinanderzusetzen. Letztlich rügt die Klägerin die Ungerechtigkeit der auch aus ihrer Sicht zutreffenden Anwendung des geltenden Rechts durch die Vorinstanzen im konkreten Einzelfall. Das kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 1.9.2021 - B 12 KR 27/21 B - juris RdNr 9 mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. |
Heinz |
Bergner |
Padé |
Fundstellen
Dokument-Index HI15702554 |