Orientierungssatz
Aufhebung des Vorlagebeschlusses an den EuGH:
1. Hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so ist ein im Ausgangsverfahren ergangener Vorlagebeschluß an den EuGH aufzuheben.
2. Der Aufhebungsbeschluß ergeht wie der Vorlagebeschluß in der Besetzung, die für den Erlaß eines Urteils vorgesehen ist, in Verfahren nach dem SGG also unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Normenkette
SGG § 101 Abs. 2; EWGVtr Art. 177
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.03.1987; Aktenzeichen L 6 Ar 87/86) |
Gründe
Der Kläger ist Niederländer und wohnt seit 1957 in der Bundesrepublik Deutschland. Vom 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1984 war er in der Schweiz als Schiffsführer bei einer Reederei in Basel beschäftigt. Arbeitslosenversicherungsbeiträge wurden zum Volkswirtschaftsbund Basel entrichtet. Vom 1. Januar bis zum 31. März 1985 war er arbeitslos. Beide Vorinstanzen haben die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) verurteilt, Arbeitslosengeld (Alg) vom 28. Januar 1985 bis zum 31. März 1985 zu gewähren.
Auf die Revision der Beklagten hat der erkennende Senat im Beschluß vom 14. Juni 1988 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung dort näher bezeichnete Fragen vorgelegt, die sich aus dem EWG-Recht hinsichtlich einer Anrechnung von in Drittstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten ergeben, und das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt. Nach Eingang der Schriftsätze im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften hat die Beklagte im vorliegenden Revisionsverfahren den Anspruch des Klägers auf Alg einschließlich des Anspruchs auf Erstattung der im Rechtsstreit entstandenen Kosten anerkannt. Der Kläger hat sich hiermit einverstanden erklärt mit dem Zusatz, er klage ferner hiermit die nach § 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) zustehenden Zinsen sowie die Krankenversicherungsbeiträge ein, und bitte um Vergütung von zwei Fahrten zu Verhandlungen. Auch dies hat die Beklagte zugestanden.
Damit hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Nach § 101 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erledigt das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs den Rechtsstreit in der Hauptsache. Der Kläger hat die Annahme des Anerkenntnisses nicht an die Erfüllung der von ihm erhobenen zusätzlichen Forderungen geknüpft, sondern diese selbständig geltend gemacht. Überdies hat sich die Beklagte verpflichtet, auch diesen Forderungen zu entsprechen. Anerkenntnis und dessen Annahme können mit der Rechtsfolge des § 101 Abs 2 SGG nicht nur in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts erklärt werden, sondern auch außerhalb der mündlichen Verhandlung durch schriftliche Erklärung erfolgen (BSG SozR 1500 § 101 Nr 6). Wegen der damit eingetretenen Erledigung auch des Revisionsverfahrens hat der Senat den Beschluß über die Vorlage und über die Aussetzung des Verfahrens aufgehoben.
Für eine Aufhebung des Vorlagebeschlusses nach Beendigung des Ausgangsverfahrens enthält das für den Senat maßgebende Verfahrensrecht zwar keine unmittelbare Rechtsgrundlage. Das Verfahren zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist jedoch ähnlich wie das Verfahren aufgrund einer Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Sinne des Art 100 des Grundgesetzes (GG) vom Ausgangsverfahren gelöst (vgl zum Vorlageverfahren BVerfGE 49, 217, 219). Das erlaubt es, für den Tatbestand der Erledigung des Ausgangsverfahrens auf die zum Vorlageverfahren entwickelten Rechtsgrundsätze zurückzugreifen. Zum Vorlageverfahren haben die Gerichte sich zunächst damit begnügt, dem BVerfG mitzuteilen, daß im Ausgangsverfahren keine Entscheidung mehr zu treffen sei (BVerfGE 13, 165, 166) bzw daß der angefochtene Beschluß wirkungslos geworden sei (BVerfGE 14, 140, 142). Nunmehr ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, daß der Vorlagebeschluß im Ausgangsverfahren aufzuheben ist, wenn im Ausgangsverfahren keine Entscheidung mehr zu treffen ist. Das BVerfG beachtet somit im Vorlageverfahren Prozeßhandlungen im Ausgangsverfahren, die die Vorlage gegenstandslos machen oder sonst das Gericht berechtigen, den Vorlagebeschluß aufzuheben (BVerfGE 49, 217, 219). Auch zum Verfahren nach der Zivilprozeßordnung ist anerkannt, daß ein Aussetzungs- und Vorlagebeschluß nach Art 100 GG vom vorlegenden Gericht aufgehoben werden kann, wenn bei ihm Ereignisse eintreten, die eine Entscheidung über die verfassungsrechtlichen Fragen erübrigen, insbesondere ein Prozeßvergleich, die Klagerücknahme und der Verzicht (BGH NJW 1968, 503). Der Aufhebungsbeschluß ergeht wie der Vorlagebeschluß in der Besetzung, die für den Erlaß eines Urteils vorgesehen ist, in Verfahren nach dem SGG also unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Dem steht nicht entgegen, daß der Beschluß nach § 102 Satz 3 SGG über den Ausspruch der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter ergeht.
Diese Grundsätze gelten für einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entsprechend. Ein Eingriff in die Kompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften liegt darin nicht, da diesem die Entscheidung darüber verbleibt, ob das bei ihm anhängige Vorlageverfahren nach Aufhebung des Vorlagebeschlusses einzustellen oder fortzusetzen ist.
Fundstellen