Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Ehegatte, der ohne weitere Angehörige mit seinem Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt führt und außerhalb dieses Haushalts keine Angehörigen unterhält, seinen Ehegatten dann iS des AVG § 18 Abs 2 überwiegend unterhalten, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Haushalt größer ist als die Hälfte der Summe der Beiträge beider Ehegatten?
Normenkette
AVG § 18 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1241 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Sache wird gemäß § 42 des Sozialgerichtsgesetzes dem Großen Senat des Bundessozialgerichts zur Entscheidung der folgenden Rechtsfrage vorgelegt:
Hat ein Ehegatte, der ohne weitere Angehörige mit seinem Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt führt und außerhalb dieses Haushalts keine Angehörigen unterhält, seinen Ehegatten dann im Sinne des § 18 Abs. 2 AVG überwiegend unterhalten, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Haushalt größer ist als die Hälfte der Summe der Beiträge beider Ehegatten?
Gründe
Der im Jahre 1939 geborene Kläger erkrankte Ende April 1962 und wurde deshalb vom 4. Mai 1962 bis 20. Juni 1962 stationär behandelt. Er hatte zuletzt ein Nettogehalt von 608,95 DM bezogen, das ihm bis zum 15. Juni 1962 gezahlt wurde. Außerdem bewilligte ihm die Beklagte ein Heilverfahren.
Sie zahlte ihm deshalb vom 16. Juni 1962 an ein Übergangsgeld in Höhe von 7,80 DM täglich. Da die Ehefrau des Klägers damals ebenfalls erwerbstätig war und monatlich 335,98 DM netto (nicht 325,- DM netto, wie die Beklagte angenommen hat) verdiente, war die Beklagte bei der Berechnung des Übergangsgeldes davon ausgegangen, daß der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten habe (§ 18 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).
Nachdem der Kläger wiederholt die Höhe des Übergangsgeldes beanstandet hatte, erließ die Beklagte schließlich am 28. April 1964 einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid, in dem sie ausführte, nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1961 (BSG 14, 203) sei nur der Familienangehörige von dem Versicherten überwiegend unterhalten worden, für den dieser mehr als die Hälfte des Unterhalts getragen habe. Nach den vorgelegten Unterlagen habe der Kläger monatlich netto 600,95 DM verdient und seine Ehefrau monatlich netto 325,-- DM. Das Gesamteinkommen habe danach 993,95 DM betragen. Der Unterhaltsbedarf eines jeden Ehegatten belauf sich auf die Hälfte diese Betrages, also auf 466,97 DM. Da die Ehefrau des Klägers 325,-- DM selbst verdient habe, habe der Kläger zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs nur 141,97 DM aufgebracht. Dieser Zuschuß sei niedriger als der halbe Unterhaltsbedarf von 233,48 DM. Seine Ehefrau sei daher von ihm nicht überwiegend unterhalten worden.
Dagegen erhob der Kläger Klage mit dem Antrage,
die Beklagte zu verurteilen, ihm während der durchgeführten Heilmaßnahmen vom 16. Juni 1962 bis 23. Oktober 1962 Übergangsgeld nach § 18 Abs. 2 Satz 1 AVG unter Berücksichtigung der von ihm überwiegend unterhaltenen Ehefrau zu zahlen.
Das Sozialgericht (SG) Bremen gab der Klage statt, indem es sich auf das Urteil des 3. Senats des BSG vom 13. Februar 1964 - 3 RK 75/59 - (BSG 20, 148) berief; die Berufung wurde zugelassen. Die daraufhin von der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Bremen durch Urteil vom 22. Juli 1965 zurück, wobei es die Revision zuließ.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuweisen.
Sie rügt unrichtige Anwendung des Begriffs der überwiegenden Unterhaltsleistung, wie im einzelnen aus ihrem Schriftsatz vom 20. September 1965 ersichtlich ist, und beruft sich insbesondere noch auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 23. August 1966 (BSG 25, 157) und vom 30. November 1966 (4 RJ 137/66).
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
da das angefochtene Urteil richtig sei.
Selbst wenn man noch den Wert der Hausarbeit der Ehefrau mit 150,-- DM monatlich bewerte und ihrem Einkommen hinzurechne, sei das Einkommen des Klägers immer noch um mindestens 120,-- DM höher gewesen als das seiner Ehefrau, so daß er diese nach BSG 20, 148 überwiegend unterhalten habe.
Die Frage, wann bei kinderlosen Ehepaaren der eine Ehegatte den anderen überwiegend unterhalten hat, ist sowohl für die Höhe des Kranken- bzw. Hausgeldes nach den §§ 182, 186 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch für die Höhe des Übergangsgeldes nach § 18 Abs. 2 Satz 1 AVG (= § 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO) von Bedeutung. Nach diesen Bestimmungen erhöhen sich das Kranken-, Haus- und Übergangsgeld für jeden Familienangehörigen, den der Versicherte oder der Betreute ganz oder überwiegend unterhalten hat. Hierzu hat der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 13. Februar 1964 (BSG 20, 148) in Anlehnung an die GE Nr. 3379 des früheren Reichsversicherungsamtes (RVA) (AN 1929, 145, 146) ausgesprochen, werde das gesamte Einkommen des Versicherten und seines Ehegatten zur Bestreitung des Familienunterhalts verwandt und werde der Haushalt von ihnen gemeinsam geführt, so habe der Versicherte seinen Ehegatten bisher überwiegend unterhalten im Sinne der §§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, 186 Abs. 1 Satz 2 RVO, beide Vorschriften idF des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 26. Juni 1957 (BGBl I 649 - Erstes LeistungsverbesserungsG), wenn er während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor Eintritt des Versicherungsfalles mehr als sein Ehegatte verdient und daher eine höheren Beitrag zum gemeinsamen Familienunterhalt geleistet habe. Die gleiche Auffassung hat der 3. Senat in seinem Urteil 3 RK 20/63 vom 16. Dezember 1965 für die §§ 182, 186 RVO idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913 - Zweites LeistungsverbesserungsG) vertreten. Zur Begründung führte der genannte Senat an, es entspreche der Lebenserfahrung, daß bei Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft das beiderseitige Einkommen in der Regel zusammengelegt und gemeinsam verbraucht werde, und daß der verbrauchte Anteil jedes Ehegatten am gemeinsamen Familienunterhalt gleich noch sei, d.h. die Hälfte des Gesamtverbrauchs der Familiengemeinschaft ausmache. Nach der Umgestaltung des Unterhaltsrechts durch den Gleichberechtigungsgrundsatz sei an die Stelle der Unterhaltsansprüche nach § 1360 BGB aF die Verpflichtung beider Ehegatten getreten, gemeinsam zum angemessenen Familienunterhalt beizutragen (§ 1360 Satz 1 BGB nF). Dieser Verpflichtung entspreche es, wenn die mitverdienende Ehefrau mit ihrem Arbeitsverdienst zum gemeinsamen Haushalt beitrage. Hiernach sei es ausgeschlossen, ihren Unterhaltsbeitrag allein auf ihren eigenen Unterhalt anzurechnen.
Dann hätte nämlich die Ehefrau nichts zum gemeinsamer Familienunterhalt und damit dem Unterhalt des Ehemannes beigetragen. Besonders deutlich werde dies dann, wenn der Unterhaltsbeitrag des einen Ehegatten nicht in Geld, sondern in der Haushaltsführung besteht, was insbesondere dann der Fall sein werde, wem nur der andere Ehegatte berufstätig ist. Hier sei es augenfällig, daß dieser Unterhaltsbeitrag - anders als bei einem eingebrachten Arbeitsverdienst, bei dem immerhin die Annahme möglich sei, daß der Verdienende ihn vorweg für sich verbrauche - immer nur als Beitrag zum gemeinsamen Familienunterhalt gewertet werden könne und der seinen Beitrag zum Familienunterhalt in dieser Form leistende Ehegatte damit nicht nur sich selbst unterhalten habe. Wenn daher (wie zB auch im vorliegenden Fall) die Ehefrau etwa ein Drittel und der Ehemann etwa zwei Drittel zum Familienunterhalt beigetragen habe, so seien die gesamten Haushaltsausgaben dieser Familiengemeinschaft zu einem Drittel von der Ehefrau und zu zwei Dritteln vom Ehemann bestritten worden. Sowohl der auf die Ehefrau als auch der auf den Ehemann fallende Verbrauch sei somit zu einem Drittel von der Ehefrau und zu zwei Dritteln vom Ehemann getragen worden. Der mehr verdienende Ehegatte habe somit in solchen Fällen den anderen Ehegatten überwiegend unterhalten.
Demgegenüber vertritt der 4. Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. BSG 25, 157 sowie das Urteil - 4 RJ 137/66 - vom 30. November 1966) in Anlehnung an ein zu § 589 RVO aF ergangenes Urteil des 2. Senats (BSG 14, 203), allerdings für ein Ehepaar mit Kindern, eine andere Auffassung. Das Tatbestandsmerkmal, daß die Existenz des Angehörigen überwiegend, d.h. mehr als zur Hälfte vom Versicherten bzw. Betreuten sichergestellt sein müsse, werde nicht schon dadurch verwirklicht, daß der Versicherte mehr als einer der Angehörigen oder als alle zusammen einbringt; ein Familienangehöriger sei so lange nicht vom Betreuten überwiegend unterhalten, als aus seinem Beitrag wenigstens die Hälfte des auf ihn entfallenden Unterhaltsaufwandes gedeckt sei.
Der beschließende Senat ist jedoch der Auffassung, daß die Frage, ob der eine Ehegatte den anderen überwiegend unterhalten hat, nicht nach grundsätzlich verschiedenen Methoden beantwortet werden kann, je nach dem, ob Kinder vorhanden sind oder nicht; er neigt zudem dazu, sich der Auffassung des 3. Senats insoweit anzuschließen, als dieser den wirtschaftlichen Wert des Unterhaltsbeitrages des einen Ehegatten nicht vorweg ganz auf den auf ihn entfallenden Anteil am Unterhalsaufwand angerechnet wissen will. Da der Senats damit jedoch in der Sache von der Rechtsprechung des 4. Senats abweichen würde, hat er den Großen Senat nach § 42 SGG angerufen Klärung der Frage, ob ein Ehegatte, der ohne weitere Angehörige mit seinem Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt führt und außerhalb dieses Haushalts keine Angehörigen unterhält, seinen Ehegatten schon dann im Sinne des § 18 Abs. 2 AVß überwiegend unterhalten hat, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Haushalt größer ist als die Hälfte der Summe der Beiträge beider Ehegatten. Denn von der Entscheidung dieser Frage hängt es vornehmlich ab, ob der Berechnungsweise des 3. Senats oder der des 2. und 4. Senats des BSG zu folgen ist.
Fundstellen