Verfahrensgang
SG Regensburg (Entscheidung vom 16.03.2021; Aktenzeichen S 2 KR 59/20) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 27.10.2023; Aktenzeichen L 4 KR 128/23) |
Tenor
Die Anträge des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 2023 sowie für das Prozesskostenhilfeverfahren, jeweils unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, werden abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger hat mit per Telefax vom 26.11.2023 beim BSG eingegangenen Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 16.11.2023 zugestellten Urteil des Bayerischen LSG vom 27.10.2023 sowie zur Durchführung des PKH-Verfahrens, jeweils unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
Ein Erklärungsformular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war seinen Telefaxen nicht beigefügt.
II
1. Für das Verfahren des Antrags auf PKH besteht kein Anspruch auf PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 114 Abs 1 Satz 1 ZPO(BVerfG vom 2.7.2012 - 2 BvR 2377/10 - juris RdNr 12 ;BGH vom 30.5.1984 - VIII ZR 298/83 - BGHZ 91, 311, 312 ) . Das PKH-Verfahren stellt nur einen unselbständigen Teil der Prozessführung in der Hauptsache dar.
2. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg(vgl § 73a Abs 1 SGG iVm§ 114 Abs 1 Satz 1 ZPO ) , weil die einzulegende Beschwerde verfristet wäre und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts(vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 ZPO ) .
Dem Kläger kann hinsichtlich der versäumten Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist wie hier die Rechtsmittelfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG einzuhalten(§ 67 Abs 1 SGG ) .
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dann in Betracht kommen, wenn ein Beteiligter infolge seiner Mittellosigkeit gehindert war, eine Beschwerde fristgerecht durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einzulegen, und die Beschwerde dann von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten nachgeholt wird. Die Mittellosigkeit ist im PKH-Verfahren zu prüfen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann PKH nur einem Beteiligten gewährt werden, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Ein sich aus der Mittellosigkeit und der Dauer ihrer Prüfung ergebender Wiedereinsetzungsgrund kommt aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn innerhalb der Beschwerdefrist sowohl ein PKH-Antrag als auch eine Erklärung iS des § 117 Abs 2 ZPO über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (im Folgenden: Erklärung) eingereicht werden; für die Erklärung muss sich der Beteiligte der hierfür eingeführten Formulare bedienen und entsprechende Belege beifügen( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 117 Abs 2 ,4 ZPO ) . Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Beteiligte auch hieran ohne Verschulden gehindert war(stRspr; vglBSG vom 13.4.1981 - 11 BA 46/81 - SozR 1750 § 117 Nr 1 S 2;BSG vom 30.4.1982 - 7 BH 10/82 - SozR 1750 § 117 Nr 3 S 4;BSG vom 3.4.2001 - B 7 AL 14/01 B - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.1.2017 - B 8 SO 68/16 B - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.4.2018 - B 12 KR 10/17 R - juris RdNr 7 ) . Der Hinderungsgrund ist vom Beteiligten darzulegen und soll von ihm ggf glaubhaft gemacht werden(§ 67 Abs 2 Satz 2 SGG ) . Wiedereinsetzungsgründe liegen hier nicht vor.
b) Der Antrag und die Erklärung auf dem vorgeschriebenen Formular müssen innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem angerufenen Gericht eingehen(vgl zBBSG vom 25.7.2007 - B 1 KR 80/07 B - mwN;BSG vom 13.4.1981 - 11 BA 46/81 - SozR 1750 § 117 Nr 1;BSG vom 30.4.1982 - 7 BH 10/82 - SozR 1750 § 117 Nr 3;BVerfG vom 20.10.1981 - 2 BvR 1058/81 - SozR 1750 § 117 Nr 2; zur Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der fristgerechten Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 13.4.1988 - 1 BvR 392/88 - SozR 1750 § 117 Nr 6) . Der Kläger hat innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist, die mit der Zustellung des LSG-Urteils am 16.11.2023 begann und mit Ablauf des 18.12.2023 endete(§ 160a Abs 1 Satz 2 ,§ 64 Abs 2 und 3,§ 63 Abs 2 SGG ,§ 180 ZPO ) , weder PKH beantragt noch die Erklärung vorgelegt. Den PKH-Antrag hat er zwar gestellt, der auch innerhalb der Beschwerdefrist eingegangen ist. Eine Erklärung hat er aber nicht bloß nicht fristgerecht, sondern überhaupt nicht eingereicht.
c) Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Frist gemäß § 67 SGG sind nicht ersichtlich. Ob der Kläger aufgrund einer etwaigen Mittellosigkeit daran gehindert war, binnen der Monatsfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, vermag der Senat schon aufgrund der fehlenden Erklärung nicht zu beurteilen. Aber auch bei unterstellter Mittellosigkeit war der Kläger nicht iS des § 67 Abs 1 SGG "ohne Verschulden" gehindert, innerhalb der Monatsfrist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden PKH-Antrag zu stellen. Der Kläger ist auf das Erfordernis der fristgerechten Einreichung der PKH-Erklärung in der dem Urteil des LSG beigefügten Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden. Auch war er hieran nicht wegen Krankheit oder durch sonstige in seiner Person liegende Umstände gehindert. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er krankheitsbedingt oder durch sonstige in seiner Person liegende Umstände weder in der Lage gewesen wäre, selbst zu handeln noch einen Dritten hiermit zu beauftragen(stRspr; vglBSG vom 25.2.1992 - 9a BVg 10/91 - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.10.2022 - B 1 KR 46/22 BH - juris RdNr 4 ; jeweils zur Krankheit).
aa) Es ist weder vom Kläger ausreichend dargetan noch sonst ersichtlich, dass er an der fristgerechten Vorlage der Erklärung ohne Verschulden gehindert war. Er verweist zwar pauschal auf seine dauerhaften Einschränkungen aufgrund seiner "Überlastung und Erkrankung". Er sei "nicht in der Lage seine Angelegenheiten, insbesondere die vorliegende, insbesondere seinen Schriftverkehr, das heißt auch einschließlich des Schriftverkehrs zur vorliegenden Angelegenheit, mit der erforderlichen Sorgfalt und im erforderlichen Umfang zeitgerecht zu erledigen".
Der vom Kläger geltend gemachte Hinderungsgrund der Erkrankung schließt ein Verschulden jedoch nur aus, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass er nicht selbst handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann(BVerfG vom 17.7.2007 - 2 BvR 1164/07 - NJW 2007, 1717 ;BSG vom 15.3.2017 - B 9 SB 10/17 B - juris RdNr 3 ;BSG vom 12.4.2018 - B 12 KR 10/17 R - juris RdNr 7 ) . Der Hinderungsgrund ist vom Kläger darzulegen und soll von ihm ggf glaubhaft gemacht werden(§ 67 Abs 2 Satz 2 SGG ) . Den Ausführungen des Klägers ist bereits nicht zu entnehmen, welche Erkrankung seine Handlungsfähigkeit in einem Maß beeinträchtigt, dass er auch nicht einen anderen mit den zur Fristwahrung notwendigen Verfahrensschritten, hier dem Antrag auf PKH und dem Ausfüllen und Übermitteln der Erklärung nebst Unterlagen, hätte beauftragen können. Dem LSG-Urteil ist lediglich zu entnehmen, dass der Kläger an einer dialysepflichtigen Nierenerkrankung leidet. Mit dieser Erkrankung geht weder zwingend die Handlungsunfähigkeit einher noch kann angesichts der vom Kläger in diesem Verfahren eingereichten Schreiben und Unterlagen von seiner völligen Handlungsunfähigkeit ausgegangen werden. Ohne Anhaltspunkte für einen Hinderungsgrund muss auch das Gericht keine Ermittlungen ins Blaue hinein anstellen(BSG vom 24.10.1957 - 10 RV 285/55 - SozR SGG § 67 Nr 13 = juris RdNr 14; allgemein zur AmtsermittlungspflichtBSG vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 - BSGE 78, 207, 213 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 24 = juris RdNr 37;BSG vom 5.4.2001 - B 13 RJ 23/00 R - SozR 3-2600 § 43 Nr 25 = juris RdNr 27).
bb) Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann(vgl§ 71 Abs 1 SGG ) , also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. An die Annahme einer Prozessunfähigkeit sind auch mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht strenge Anforderungen zu stellen. Es reicht nicht aus, dass der Betroffene seit längerem an geistigen oder seelischen Störungen leidet. Ebenso wenig reichen eine bloße Willensschwäche oder die bloße Unfähigkeit eines Beteiligten, seine Rechte in einer mündlichen Verhandlung selbst wahrzunehmen(vglBSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 23/18 B - juris RdNr 6 mwN) . Für eine Prozessunfähigkeit des Klägers gibt es keine ausreichend tragfähigen Anhaltspunkte.
Aufgrund vom Kläger im Schreiben vom 8.2.2024 erwähnten, bisher aber nicht realisierten Möglichkeit einer Betreuung, ist nicht bereits von seiner Prozessunfähigkeit auszugehen. Denn selbst bei Bestellung eines Betreuers richtet sich die Prozessfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften(§ 53 Abs 1 ZPO ) . Auch wenn nach dem vorgelegten Schreiben des Landratsamtes Regensburg vom 15.1.2019 dieses eine Betreuung zur Regelung behördlicher Angelegenheiten für erforderlich erachtet hat, bietet dies keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen von Prozessunfähigkeit im Jahr 2023. Auch ist das vorgenannte Schreiben nicht geeignet, die vom Kläger behauptete Handlungsunfähigkeit zu belegen. Er hat in dem weiteren beim Senat anhängigen Verfahren B 1 KR 10/24 BH mitgeteilt, dass er einer vom Bayerischen VGH angeregten rechtlichen Betreuung nicht zugestimmt habe, da er seine Autonomie nicht aufgeben wolle. Soweit diese Anregung des Bayerischen VGH der Abhilfe der vom Kläger geltend gemachten Überlastung dienen sollte, liegt in der Überlastung ebenfalls kein Wiedereinsetzungsgrund. Denn entweder könnte der Kläger mit der Zustimmung zu einer rechtlichen Betreuung seine Überlastung beenden oder er hätte bei einer nach dem übermittelten Schreiben des Landratsamtes Regensburg seit 2019 bestehenden "Überlastung" in der Zwischenzeit bis zum hiesigen Antrag für eine anderweitige Abhilfe sorgen müssen.
d) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht durch das Gericht in Betracht. Allerdings darf ein Gericht unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Dementsprechend ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen. Welche Prüfungs- und Fürsorgepflichten das angegangene Gericht hat, hängt weitgehend von den Verhältnissen des Einzelfalls ab. Einerseits ist der Richter zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten verpflichtet. Andererseits muss auch die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden. Die Gerichte sind daher nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang eines fristwahrenden Schriftsatzes bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eingereichter Schriftstücke sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. Dies nähme den Verfahrensbeteiligten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens. Ein Prozessbeteiligter kann aber erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt werden und dass die notwendigen Maßnahmen innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden(vglBSG vom 12.10.2022 - B 1 KR 46/22 BH - juris RdNr 5 ff mwN) .
Danach ist ein Verschulden des BSG dafür, dass der Kläger keine Erklärung vorgelegt hat, nicht gegeben. Dem Kläger ist bereits mit Schreiben des BSG vom 27.11.2023, abgesandt am 28.11.2023, ein Hinweis über die Notwendigkeit der fristgerechten Einreichung der Erklärung unter Mitübersendung eines entsprechenden PKH-Vordrucks erteilt worden.
Estelmann |
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Matthäus |
Fundstellen
Dokument-Index HI16444000 |