Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Zulassung. Nichtzulassungsgrund. Darlegung. Grundsätzliche Rechtsfrage. Häusliche Krankenpflege. Diabetiker-Teststreifen. Fehlende Preisvereinbarung. Krankenkasse. Pharmazeutisches Unternehmen
Orientierungssatz
1. Aufgabe der Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Klärung von grundsätzlichen Rechtsfragen zur Erhaltung der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts (vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 = SozR 1500 § 160a Nr 7), nicht jedoch die weitere Entscheidung des Rechtsstreits im Einzelfall.
2. Die Rechtsprechung des BSG bzgl der Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege dahingehend, dass beim Fehlen konkreter vertraglicher Vereinbarungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf die Regelung des § 612 BGB zurückgegriffen werden kann, weil dies dem gesetzlichen Erfordernis nach gesonderten Vertragsabschlüssen widersprechen und zudem jegliche Motivation entfallen lassen würde, sich um eigenständige Vertragsabschlüsse zu bemühen (vgl BSG vom 13.5.2004 - B 3 KR 2/03 R = SozR 4-2500 § 132a Nr 1) hat (hier: Vergütung von Diabetiker-Teststreifen bei Fehlen einer Preisvereinbarung zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmen) wegen des in allen Fällen identischen Ausgangspunktes in § 69 S 3 SGB 5 ebenfalls Bedeutung.
3. Bei mehreren selbstständigen Begründungselementen für eine Entscheidung durch das Berufungsgericht ist für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde erforderlich, für jedes Einzelne ein Nichtzulassungsgrund schlüssig darzulegen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2; BGB § 612 Abs. 2; SGB 5 § 69 S. 3, §§ 129, § 129ff, § 132a Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin (damaliger Sitz in Schleswig-Holstein) vertreibt Diagnostika für den Diabetikerbedarf, stellt diese aber nicht selbst her. Sie lieferte im Zeitraum Dezember 2000 bis Februar 2001 an in Hessen wohnende Versicherte der beklagten Krankenkasse Diabetiker-Teststreifen und erstellte hierüber Rechnungen in Höhe von insgesamt 907,44 €. Die Beklagte kürzte diese Rechnungen um 62,79 €, weil dies den Preisen entspreche, die sie üblicherweise in Hessen bezahlen müsse. Einer Aufforderung der Beklagten nachzuweisen, dass sie von anderen Krankenkassen höhere Preise erziele, kam die Klägerin nicht nach. Vertragliche Vereinbarungen über die Preisgestaltung für Diabetiker-Teststreifen bestehen zwischen den Beteiligten nicht.
Die Vorinstanzen haben die zunächst auf Feststellung der Zahlungspflicht gerichtete und später auf Zahlung des noch offen stehenden Restbetrages umgestellte Klage abgewiesen (Urteile des Sozialgerichts vom 9. Januar 2003 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 15. März 2005). Auf das streitige Rechtsverhältnis sei das zivilrechtliche Vertragsrecht anzuwenden. Wegen des fehlenden Nachweises einer höheren Preisvereinbarung mit anderen Versicherungsträgern rechtfertige sich nur die von der Beklagten gezahlte - geringere - Vergütung. Entweder sei mangels einer Einigung über den Preis kein Kaufvertrag zu Stande gekommen, deshalb das Bereicherungsrecht anzuwenden und von der Beklagten nur Wertersatz in Höhe der in Hessen ersparten Aufwendungen zu leisten oder aber auf § 453 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung (aF) und damit auf die Preise am Erfüllungsort in Hessen zurückzugreifen. Hiernach habe sich die Beklagte zutreffend gerichtet.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 2, 169 Satz 1 bis 3 SGG).
Die Klägerin macht geltend, das angegriffene Urteil betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist es erforderlich, die grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 sowie BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51, § 160a Nr 13 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8); erforderlichenfalls muss dargelegt werden, dass die Entscheidung in der Rechtsprechung anderer Gerichte oder in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen ist, sodass deutlich wird, dass die Rechtsfrage weiterhin klärungsbedürftig ist (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 7, 7a und § 160a RdNr 14e mwN). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Die Klägerin hat schon keine Rechtsfrage klar bezeichnet, über die das Bundessozialgericht (BSG) im Falle der Zulassung der Revision entscheiden könnte. Sie wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Berufungsverfahren, in dem sie ausgeführt hat, dass zur Ermittlung des maßgeblichen Preises auf die Vorschrift des § 612 BGB zurückzugreifen sei. Damit wird jedoch keine konkrete Rechtsfrage gestellt, sondern zunächst nur die Richtigkeit der Rechtsauffassung des LSG in Zweifel gezogen. Dies reicht jedoch nicht aus, denn Aufgabe der Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Klärung von grundsätzlichen Rechtsfragen zur Erhaltung der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7), nicht jedoch die weitere Entscheidung des Rechtsstreits im Einzelfall (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, IX. Kap RdNr 181 mwN).
Die Klägerin hat aber auch die Klärungsbedürftigkeit einer etwaiger Rechtsfrage nicht hinreichend dargelegt. Der Senat hat in jüngerer Vergangenheit wiederholt entschieden, dass beim Fehlen konkreter vertraglicher Vereinbarungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf die Regelung des § 612 BGB zurückgegriffen werden kann, weil dies dem gesetzlichen Erfordernis nach gesonderten Vertragsabschlüssen widersprechen und zudem jegliche Motivation entfallen lassen würde, sich um eigenständige Vertragsabschlüsse zu bemühen (BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 1 RdNr 12 und SozR 3-2500 § 132a Nr 1 S 5). Diese Rechtsprechung betrifft zwar die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege, sie besitzt vorliegend wegen des in allen Fällen identischen Ausgangspunktes in § 69 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) jedoch ebenfalls Bedeutung. Hiermit hätte sich die Klägerin auseinander setzen müssen, zumal sie eingangs der Beschwerdebegründung selbst bestätigt, dass § 69 Satz 3 SGB V auch bei der fraglichen Vergütung für Diabetiker-Teststreifen den Weg in das Zivilrecht eröffnet. Hinzu kommt, dass die Klägerin mit einem zweiten Argument ausdrücklich die Nichtanwendung der §§ 315 f BGB durch das LSG angreift, der Senat sich aber in den vorbezeichneten Entscheidungen gerade mit dieser Problematik ausführlich befasst und dargelegt hat, dass und warum diese zivilrechtlichen Vorschriften keine Anwendung finden können (BSG aaO RdNr 11 und aaO S 4). Es hätte also der Klägerin oblegen darzutun, dass und warum diese Rechtsprechung des Senats im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist oder dass die Entscheidungen in der Rechtsprechung anderer Gerichte oder in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen sind, sodass die darin behandelten Rechtsfragen weiterhin klärungsbedürftig sind. Dies ist nicht geschehen.
Im Übrigen hat das Berufungsgericht zwei alternative Lösungen des Streitfalles aufgezeigt und ist auf beiden Wegen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klageforderung unbegründet ist: Entweder liege ein Einigungsmangel über den Preis vor, sodass Bereicherungsrecht anzuwenden und von der Beklagten nur Wertersatz in Höhe der in Hessen ersparten Aufwendungen zu leisten ist, oder es sei auf § 453 BGB aF und damit auf die Preise am Erfüllungsort in Hessen zurückzugreifen. Auf diesen letzteren - vom LSG besonders herausgearbeiteten - Lösungsansatz geht die Beschwerde überhaupt nicht ein. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, denn bei mehreren selbstständigen Begründungselementen ist für jedes Einzelne ein Nichtzulassungsgrund schlüssig darzulegen (vgl Krasney/Udsching aaO RdNr 188).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 gelten Fassung.
Fundstellen