Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Kostenfestsetzung. Bestimmung des Streitwerts. Zuständigkeitsstreit. Unfallversicherungsträger. Berufsgenossenschaft. dreifacher Jahresbeitrag. Unternehmen. vierfacher Auffangstreitwert
Leitsatz (amtlich)
Der Bestimmung des Streitwertes nach § 52 Abs 1 GKG bei einem Streit um den zuständigen Unfallversicherungsträger für ein Unternehmen nach §§ 121ff SGB 7 ist der dreifache Jahresbeitrag des Unfallversicherungsträgers gegen dessen Zuständigkeit das klagende Unternehmen sich wendet, mindestens aber der vierfache Auffangstreitwert zugrunde zu legen.
Normenkette
SGG § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1; GKG §§ 42, 52 Abs. 1; SGB 7 § 121; SGB 7 §§ 121ff
Verfahrensgang
Gründe
In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes (≪SGG≫ in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung aufgrund des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes ≪6. SGG-ÄndG≫ vom 17. August 2001, BGBl I 2144) genannten Personen gehören, werden nach § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben, wenn die Klage nach dem 1. Januar 2002 rechtshängig geworden ist (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24). Die in § 183 SGG genannten Personen sind Versicherte, Leistungsempfänger, einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch.
Die Voraussetzungen des § 183 SGG sind hier nicht erfüllt, vielmehr liegt ein Fall des § 197a SGG vor. Die Klägerin ist ein eingetragener Verein, der als Unternehmen mit der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) und dem beigeladenen Gemeindeunfallversicherungsverband um den für ihn zuständigen Unfallversicherungsträger nach §§ 121 ff des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) gestritten hat, und die Klage wurde am 13. März 2002 erhoben.
Anzuwenden sind die Vorschriften des GKG in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung des Art 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718), weil diese Fassung des GKG auf Rechtsmittel, die nach dem 1. Juli 2004 eingelegt worden sind, anwendbar ist (§ 72 Nr 1 GKG) und die Revision am 24. Oktober 2005 eingelegt wurde.
Die Festsetzung des Streitwerts hat von Amts wegen zu erfolgen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat, wenn eine Wertfestsetzung für die Zuständigkeit des Gerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht ergangen war oder nicht bindet (§ 63 Abs 2 Satz 1 GKG). Hier hat sich der Rechtsstreit durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten erledigt (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 125 RdNr 6) und eine bindende Wertfestsetzung ist bisher nicht erfolgt.
In Verfahren vor den Gerichten ua der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 GKG), jedoch darf kein Streitwert von über 2.500.000 Euro angenommen werden (§ 52 Abs 4 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG).
Mit der vorliegenden Klage ist keine bezifferte Geldleistung bzw kein entsprechender Verwaltungsakt begehrt worden, sondern die grundsätzliche Feststellung des zuständigen Unfallversicherungsträgers für das Unternehmen des Klägers.
Grundlage für die im Ermessen des Gerichts stehende Festsetzung ist demgemäß die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache (§ 52 Abs 1 GKG): Klageziel war die Bestimmung des zuständigen Unfallversicherungsträgers für das Unternehmen; die Bedeutung dieses Begehrens bestimmt sich durch die zu zahlenden Beiträge, die zu erbringenden Präventions- und Beratungsleistungen usw. In einem ähnlich gelagerten Fall hat der Senat in seiner Entscheidung vom 27. August 1981 (BSG SozR 1930 § 8 Nr 5) den Gegenstandswert nach § 116 Abs 2 Nr 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. Juli 1957 (BGBl I 907) idF des Kostenänderungsgesetzes vom 20. August 1975 (BGBl I 2189) auf das Achtfache des Jahresbeitrags, den das klagende Unternehmen an den beklagten Unfallversicherungsträger hätte zahlen müssen, festgesetzt und zur Begründung auf das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Entscheidung und deren Auswirkungen hingewiesen. Von diesem achtfachen Jahresbeitrag ist auch das LSG bei seiner vorinstanzlichen Streitwertfestsetzung auf 7627,54 Euro ausgegangen.
Im Hinblick auf die allgemeinen Wertvorschriften des mittlerweile auch für die genannten sozialgerichtlichen Verfahren geltenden, neugefassten GKG kann diese Rechtsprechung jedoch nicht ohne weiteres übertragen werden. Bei Miet-, Pacht- und ähnlichen Nutzungsverhältnissen ist das einjährige Entgelt eine Obergrenze (vgl § 41 Abs 1, 2 GKG), ähnliches gilt bei Unterhaltsleistungen (vgl § 42 Abs 1 GKG). Bei wiederkehrenden Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis oder von Arbeitnehmern sowie in sozialgerichtlichen Verfahren ist der dreifache Jahresbetrag der Leistung maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist (§ 42 Abs 3 Satz 1 GKG).
Diesem geänderten Kostenrecht hat der für Vertragsarztrecht zuständige Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mittlerweile seine Rechtsprechung angepasst und stellt zur Berechnung des Streitwertes in Zulassungsverfahren von Ärzten auf den Gewinn ab, den der Arzt in den nächsten drei Jahren aus der vertragsärztlichen Tätigkeit erzielen könnte (Beschluss vom 1. September 2005 - B 6 KA 41/04 R, vorgesehen zur Veröffentlichung in SozR). Der für die nicht-ärztlichen Leistungserbringer zuständige 3. Senat ist dem gefolgt (Beschluss vom 10. November 2005 - B 3 KR 36/05 B, vorgesehen zur Veröffentlichung in SozR). Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl 2005, § 164 Anh RdNr 14; Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl 2005, § 52 GKG Anh I B) sieht unter Nr 14 Freie Berufe für die Berufsberechtigung, Eintragung, Löschung, den Jahresbetrag des erzielten Gewinns, mindestens 15.000 Euro, für die Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bzw Befreiung den dreifachen Jahresbetrag des Beitrags sowie unter Nr 54 Wirtschaftsverwaltungsrecht zB für die Gewerbeerlaubnis/-untersagung bzw Eintragung oder Löschung in der Handwerksrolle den Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, verbunden mit einem Mindestbetrag von 15.000 Euro vor. Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs geht bei einem Streit um die Zulassung als Rechtsanwalt in ständiger Rechtsprechung von einem Geschäftswert von 50.000 Euro aus (vgl zuletzt Beschluss vom 7. März 2005 - AnwZ (B) 7/04).
Hiervon ausgehend ist der Bestimmung des Streitwertes nach § 52 Abs 1 GKG bei einem Streit um den zuständigen Unfallversicherungsträger für ein Unternehmen nach §§ 121 ff SGB VII der dreifache Jahresbeitrag des Unfallversicherungsträgers gegen dessen Zuständigkeit das klagende Unternehmen sich wendet, mindestens aber der vierfache Auffangstreitwert zugrunde zu legen. Dies rechtfertigt sich aus der erheblichen Bedeutung der Zuordnung eines Unternehmens zu einem bestimmten Unfallversicherungsträger aufgrund der sich daraus ergebenden Beitragsbelastung, die bei den verschiedenen Unfallversicherungsträgern sehr unterschiedlich ist (vgl Becker, BG 2004, 528). Hinzu kommen die von den Unfallversicherungsträgern für "ihre" Unternehmen zu erbringenden Präventionsleistungen, einschließlich der damit einhergehenden Überwachung und Beratung (vgl §§ 14 ff SGB VII). Gesteigert wird die Bedeutung dieser Zuordnung durch die relativ hohen Voraussetzungen für eine Überweisung von einem Unfallversicherungsträger zu einem anderen (vgl § 136 Abs 1 Satz 4 SGB VII; Schlagwort: "Katasterstetigkeit"). Hieraus folgt auch die Festlegung eines Mindeststreitwertes, weil die alleinige Orientierung an dem aktuellen Beitrag der langfristigen Bedeutung der sich in der Regel nicht ändernden Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers für ein Unternehmen nicht gerecht wird.
Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert in diesem Verfahren auf 20.000 Euro festzusetzen, weil um den zuständigen Unfallversicherungsträger für das Unternehmen des Klägers gestritten wurde und der dreifache Jahresbeitrag des Klägers an die Beklagte unter diesem Betrag liegen würde.
Fundstellen