Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Geltendmachung des Zulassungsgrundes der Divergenz. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung einer Zulassungsentscheidung. Bestehen eines besonderen oder lokalen Versorgungsbedarfs
Orientierungssatz
1. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung einer Zulassungsentscheidung, bei der den Zulassungsgremien ein der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zukommt, ist die Frage, ob die Zulassungsgremien von diesem sachgerecht Gebrauch gemacht haben. In diesem Rahmen können Gesichtspunkte der Versorgungs- und Bedarfssituation nur soweit berücksichtigt werden, wie sie den Zulassungsgremien bekannt waren. Haben sie relevante Umstände nicht in ihre Entscheidungsfindung einbezogen, ist die Entscheidung ggf fehlerhaft und es muss neu entschieden werden.
2. Bezüglich des besonderen Versorgungsbedarfs iS von Nr 24 S 1 Buchst b oder Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte hängt das Vorliegen eines Versorgungsdefizits von einer Vielzahl von Faktoren ab, ua von Zahl und Leistungsangebot der niedergelassenen Ärzte, Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur, Umfang und räumliche Verteilung der Nachfrage auf Grund der vorhandenen Verkehrsverbindungen (vgl BSG vom 19.3.1997 - 6 RKa 43/96 = SozR 3-2500 § 101 Nr 1). Für den Sonderfall eines lokalen Versorgungsbedarfs in Teilen eines Planungsbereichs nach Nr 24 S 1 Buchst a der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte gilt insoweit prinzipiell nichts anderes.
Normenkette
SGB 5 § 95 Abs. 1, § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; ÄBedarfsplRL Nr. 24 S. 1 Buchst. a Fassung: 1993-03-09, Buchst. b Fassung: 1993-03-09
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1952 geborene Beigeladene zu 7. ist seit dem 1. Oktober 1996 in B. als Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" zur ausschließlich psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im August 1998 beantragte er, am selben Ort wegen Sonderbedarfs als "Arzt für Psychiatrie mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie" zugelassen zu werden. Der betroffene Planungsbereich ist für die Neuzulassung von Nervenärzten wegen einer festgestellten Überversorgung gesperrt. Diesen Antrag lehnte der Zulassungsausschuss mit der Begründung ab, ein Versorgungsbedarf für einen weiteren Psychiater bestehe nicht.
Auf den Widerspruch des Beigeladenen zu 7. ließ ihn der beklagte Berufungsausschuss als Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie in B. mit der Begründung zu, dass ein besonderer Bedarf an psychiatrischen Leistungen in den nördlich von B. gelegenen Gemeinden bestehe. Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe zutreffend unter Berücksichtigung der Infrastruktur sowie der Verkehrsverhältnisse das Einzugsgebiet einer psychiatrischen Praxis in B. festgelegt und eine Einwohnerzahl von 35.000 ermittelt. Durch den in B. niedergelassenen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. sei für diesen Personenkreis eine ausreichende psychiatrische Versorgung nicht gewährleistet.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen verpflichtet, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 7. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden. Dieses Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beigeladenen zu 7. wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Das LSG hat sodann erneut das Urteil des SG und den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen verpflichtet, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 7. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses neu zu entscheiden (Urteil vom 30. April 2003).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Beigeladene zu 7. Verfahrensfehler geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Er rügt weiterhin, das Urteil des LSG weiche von der Rechtsprechung des (BSG) ab (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Schließlich seien Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg; sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit der Zulassungsgrund der Divergenz geltend gemacht wird, ist die Beschwerde unzulässig. Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG als Zulassungsgrund angeführt, muss die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG "bezeichnet" werden. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie stellt insbesondere keinen Rechtssatz des berufungsgerichtlichen Urteils dar, mit dem das LSG von den Rechtssätzen abgewichen sein soll, die die Beschwerdebegründung insbesondere dem Urteil des BSG vom 19. März 1997 - 6 RKa 43/96 - (BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 1) entnimmt. In dieser Entscheidung hat der Senat ausgeführt, den Zulassungsgremien stehe hinsichtlich der Voraussetzungen einer sog Sonderbedarfszulassung ein der gerichtlichen Nachprüfung nur beschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zur Verfügung. Inwiefern das Berufungsurteil auf einer davon abweichenden Rechtsaussage beruhen könnte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Auf Seite 11 der Urteilsausfertigung zitiert das LSG ausdrücklich und ohne Distanzierung das in der Beschwerdebegründung angeführte Senatsurteil (SozR aaO). Weshalb es gleichwohl einen Rechtssatz entwickelt haben könnte, der davon abweicht, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Vielmehr rügt der Beigeladene zu 7. in Übereinstimmung mit dem Beklagten, dass das Berufungsgericht in dem hier zu beurteilenden Fall den Beurteilungsspielraum des beklagten Berufungsausschusses nicht in ausreichender Weise respektiert bzw in dessen Beurteilungsspielraum zu Unrecht eingegriffen habe. Damit wird jedoch allenfalls vorgetragen, das LSG habe die von ihm im Ausgangspunkt geteilten Rechtsgrundsätze des Senats hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen der Zulassungsgremien über Sonderbedarfszulassungen konkret fehlerhaft angewandt. Eine allein als Grund für die Revisionszulassung in Betracht kommende Divergenz in den rechtsgrundsätzlichen Aussagen kann auf diese Weise nicht geltend gemacht werden.
Soweit der Beigeladene zu 7. dem Berufungsgericht einen Verfahrensmangel in Form der unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs vorhält, ist die Beschwerde nicht begründet. Der Beigeladene zu 7. rügt vorrangig, das LSG habe sich nach Zurückverweisung der Sache durch den erkennenden Senat im Wesentlichen auf eine Wiederholung seiner aufgehobenen Entscheidung vom 8. Mai 2002 beschränkt und sich insbesondere mit seinem - des Beigeladenen zu 7. - neuen Vortrag vom März 2003 nicht angemessen befasst. Ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könnte, liegt jedoch tatsächlich nicht vor.
Der Beigeladene zu 7. macht selbst nicht geltend, das LSG habe ihn nach Zurückverweisung der Sache in die Berufungsinstanz daran gehindert, diejenigen Gesichtspunkte vorzutragen, die er für bedeutsam hält. Er sieht weiterhin im Ausgangspunkt zutreffend, dass das LSG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem einzelnen Gesichtspunkt der Berufungserwiderung ausdrücklich in den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander zu setzen. Von seiner für die Beurteilung eines Verfahrensmangels maßgeblichen Rechtsauffassung aus hat sich das LSG insbesondere nicht gedrängt sehen müssen, sich mit der Entwicklung der Zahl der psychiatrischen Behandlungsfälle in der Praxis des Beigeladenen zu 7. in der Zeit nach der - von der Klägerin angefochtenen - Entscheidung des beklagten Berufungsausschusses auseinander zu setzen. Der Beklagte hat den Beigeladenen zu 7. (auch) als Arzt für Psychiatrie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, und im Hinblick auf den vom Beklagten angeordneten Sofortvollzug seiner Entscheidung war der Beigeladene zu 7. ab diesem Zeitpunkt berechtigt, auch psychiatrische Leistungen zu erbringen. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung einer Zulassungsentscheidung, bei der den Zulassungsgremien ein der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zukommt, ist die Frage, ob die Zulassungsgremien von diesem sachgerecht Gebrauch gemacht haben. In diesem Rahmen können Gesichtspunkte der Versorgungs- und Bedarfssituation nur soweit berücksichtigt werden, wie sie den Zulassungsgremien bekannt waren. Haben sie relevante Umstände nicht in ihre Entscheidungsfindung einbezogen, ist die Entscheidung ggf fehlerhaft und es muss neu entschieden werden.
Auf dieser rechtlichen Grundlage ist der Umstand, dass der Beigeladene zu 7. auf der Grundlage des Sofortvollzugs tatsächlich in größerem und offenbar kontinuierlich steigendem Umfang psychiatrische Behandlungen durchgeführt hat, nicht entscheidungserheblich. Da der Beigeladene zu 7. bereits seit 1991 (auch) Arzt für Psychiatrie ist und zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft war, dass ihm daran gelegen war und ist, in B. auch als Vertragsarzt psychiatrisch tätig zu werden, liegt es auf der Hand, dass er von der Möglichkeit einer psychiatrischen Tätigkeit auf der Grundlage der Vollzugsentscheidung des Beklagten Gebrauch gemacht hat. Für die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten erteilten und von der Klägerin angegriffenen Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 7. ist jedoch nicht entscheidend, ob dieser tatsächlich in größerem Umfang psychiatrische Behandlungen durchführt, sondern, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt hinsichtlich der psychiatrischen Versorgung im betroffenen Planungsbereich trotz der vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgestellten Überversorgung ein Versorgungsdefizit bestanden hat. Dafür ist das tatsächliche Versorgungsgeschehen nach der Zulassung des Beigeladenen zu 7. auf der Grundlage des Sofortvollzuges ohne Bedeutung. Würde dies anders gesehen, wäre den am Zulassungsverfahren Beteiligten die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Sonderbedarfszulassungen, deren Vollzug angeordnet worden ist, praktisch unmöglich.
Im Übrigen hat das Berufungsgericht verdeutlicht, dass es die Entscheidung des Beklagten deshalb aufgehoben hat, weil ihr ein unzureichend ermittelter Sachverhalt zu Grunde liege. Das LSG hat nicht selbst über das Zulassungsbegehren des Beigeladenen zu 7. abschließend befunden, sondern den Beklagten lediglich verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts darüber nach näherer Sachaufklärung im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums erneut zu entscheiden. Auf diesem rechtlichen Hintergrund leidet das Urteil des Berufungsgerichts nicht deshalb an einem Verfahrensmangel, weil es sich mit den Einzelheiten des Vorbringens des Beigeladenen zu 7. insbesondere hinsichtlich der Verkehrsverbindungen im Kreis B. und der Möglichkeit bzw Unmöglichkeit der Versicherten, Psychiater in F. zur Behandlung aufzusuchen, nicht näher auseinander gesetzt hat.
Unbegründet ist die Beschwerde schließlich auch, soweit sie sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung stützt. Sie hält für grundsätzlich bedeutsam, "inwieweit die Angabe eines vor Ort niedergelassenen Facharztes zu freien Kapazitäten in seiner Praxis einem lokalen Sonderbedarf gemäß Ziffer 24a Bedarfsplanungsrichtlinie-Ärzte entgegen gehalten werden kann, wenn die Bevölkerungszahl des gemeinsamen Versorgungsbereichs der fachärztlichen Praxen die Verhältniszahl der Bedarfsplanung um mehr als 50 % entsprechend Ziffer 29 Bedarfsplanungsrichtlinie-Ärzte überschreitet". Diese Rechtsfrage wäre in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren jedoch weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Zu dem "besonderen Versorgungsbedarf" im Sinne von Nr 24 Satz 1 Buchst b der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte idF vom 9. März 1993 (BAnz Beil Nr 110a) hat der Senat entschieden, dass das Vorliegen eines Versorgungsdefizits von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, ua von Zahl und Leistungsangebot der niedergelassenen Ärzte, Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur, Umfang und räumliche Verteilung der Nachfrage auf Grund der vorhandenen Verkehrsverbindungen (BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 1 S 4). Für den Sonderfall eines lokalen Versorgungsbedarfs in Teilen eines Planungsbereichs nach Nr 24 Satz 1 Buchst a der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte, der hier umstritten ist, gilt insoweit prinzipiell nichts anderes. Über den Einzelfall hinaus gültige Aussagen, ab welchen - wie auch immer zu berechnenden - Versorgungsdefiziten in welchen näher zu bestimmenden Teilen von Planungsbereichen Sonderbedarfszulassungen in Betracht kommen, sind deshalb nicht möglich.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen